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Sport: Die Kunst des Verlierens

Gladbachs Jeff Strasser über Fußball in Luxemburg

Herr Strasser, sind Sie gut in Fußball-Statistik?

Statistik interessiert mich eigentlich nicht.

Der höchste Sieg der luxemburgischen Nationalmannschaft?

Keine Ahnung. Fünf-eins vielleicht?

1948 hat Luxemburg 6:0 gegen Afghanistan gewonnen. Aber wir wollen mit Ihnen nicht übers Gewinnen reden, sondern übers Verlieren. Eine Zeitung hat Luxemburg mal als das Land bezeichnet, wo das Verlieren zu Hause ist.

Ja, man kann natürlich an alles sarkastisch herangehen, wenn man das will. Andererseits wäre es schwierig, das Gegenteil zu behaupten. Gewonnen haben wir schließlich nicht so oft.

Sie haben das wenigstens schon mal erlebt.

Ich war 1995 beim letzten Sieg gegen Malta dabei. Im selben Jahr haben wir in der EM-Qualifikation auch die Tschechen geschlagen, die ein Jahr später im EM-Finale standen. Damals haben wir in unserer Gruppe zehn Punkte geholt. Das war die letzte große Ära. Aber da hatten wir auch fünf Profis in der Mannschaft.

Und jetzt?

Jetzt bin ich der Einzige. Seit Jahren.

In der Fifa-Weltrangliste liegt Luxemburg auf Platz 150, hinter Ländern wie Oman und Burkina Faso; in der Qualifikation zur EM 2004 hat die Mannschaft kein einziges Tor erzielt, und selbst gegen die Färöer haben Sie verloren. Kann man das überhaupt noch erklären?

Das Niveau in der Liga ist zu schlecht, und unsere Nationalspieler sind alle Amateure. In Luxemburg lebt man nicht vom Fußball. Einige arbeiten, einige sind Studenten, zwei gehen sogar noch zur Schule. Außerdem spielen viel zu viele Ausländer in der Liga. Es gibt zwölf Vereine, jeder hat, sagen wir, 20 Spieler – macht 240 Spieler. Davon sind 60 Prozent Ausländer. Das heißt, du hast gerade mal 100 Spieler, die für die Nationalmannschaft in Frage kommen.

Wie stark muss man sich die luxemburgische Liga vorstellen?

Die besten vier Mannschaften könnten in Deutschland in der Regionalliga spielen – gegen den Abstieg. Oder in der Oberliga um den Aufstieg. Bei F91 Düdelingen, dem Meister, spielt kein einziger Luxemburger. Das ist doch paradox!

Unternimmt der Verband nichts dagegen?

Guy Hellers, unser neuer Nationaltrainer, hat zusammen mit dem Verband eine Fußballschule aufgebaut. Da trainieren jetzt unsere besten Jugendspieler tagtäglich. Das hört sich banal an, aber bei uns hat es so etwas bisher noch nie gegeben. Einige der jungen Spieler bringen eine gewisse Qualität mit. Unsere U 17 hat England geschlagen und gegen Frankreich unentschieden gespielt. Aber bis die Nationalmannschaft davon profitiert, dauert es noch ein paar Jahre. Uns fehlt quasi eine ganze Generation.

Wie vereinbaren Sie die Frusterlebnisse in der Nationalmannschaft eigentlich mit Ihrem persönlichen Ehrgeiz?

Was soll ich machen? Ich erzähle doch schon seit Jahren das Gleiche. Eins steht jedenfalls fest: Die Nationalmannschaft bringt mir sportlich rein gar nichts mehr. Aber ich habe in Luxemburg auch eine Vorbildfunktion. Ich habe gut 300 Erstligaspiele in Frankreich und Deutschland bestritten; das hat wahrscheinlich kein anderer Luxemburger jemals geschafft. Natürlich bin ich ehrgeizig, wenn ich auf den Platz gehe. Aber irgendwann fällt das 0:1, und dann weißt du, dass du das Spiel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr gewinnen wirst.

Was macht denn dann den Reiz aus, für Luxemburg zu spielen?

Es geht darum, die Mannschaft zu führen. Hellers hat jetzt mit der Verjüngung begonnen. Wenn ich in letzter Zeit zur Nationalmannschaft gefahren bin, musste ich erst einmal drei oder vier Spieler fragen, wie sie überhaupt heißen. Zwei sind dabei, die von ihren Eltern zum Training gebracht werden. Die haben noch gar keinen Führerschein.

Aber wenn man dauernd 0:7 verliert ...

... 0:7 habe ich noch nie verloren. Beim letzten Spiel gegen Deutschland, beim 0:7, war ich nicht dabei.

Okay, sagen wir: Wenn man dauernd 0:4 verliert ...

Wir haben in der WM-Qualifikation 0:4 gegen Portugal verloren – aber was erwartest du, wenn auf der anderen Seite Deco spielt, Cristiano Ronaldo, Figo, Simao und Pauleta? Wenn du das 0:4 dazu in Relation setzt, musst du eigentlich sagen: 0:4 ist ein starkes Resultat. Der Unterschied zwischen Luxemburg und Portugal ist viel größer als vier Tore. Die Leute in Luxemburg wissen auch, wann sie etwas von uns erwarten können – und wann nicht.

Welche Reputation hat die Nationalmannschaft in Ihrer Heimat?

Natürlich verstehen die Luxemburger nicht, warum wir so lange nicht mehr gewonnen haben. Trotzdem identifizieren sie sich mit uns. Fußball ist auch in Luxemburg der populärste Sport, aber in letzter Zeit ist es ein bisschen komisch geworden. Zu Spielen gegen kleinere Mannschaften kommen manchmal nur noch 2500 Zuschauer.

Luxemburg hat seit elf Jahren kein Spiel mehr gewonnen. Entwickelt man mit der Zeit so etwas wie eine Lust am Verlieren?

Es gibt keine Lust am Verlieren. Für einen Sportler wird es die niemals geben. Ich ärgere mich immer noch über jede Niederlage. Und ich kann wenigstens sagen, dass ich schon ein paar Spiele gewonnen habe. Aber natürlich könnte man mich fragen: Warum tust du dir das noch an? Wenn du den Jungs ein Vorbild sein willst, musst du auch für sie da sein. Die freuen sich jedes Mal wieder, wenn ich komme.

Aber Sie wissen schon, dass Sie nur deshalb gegen Deutschland spielen dürfen, weil Sie so schön verlieren?

Natürlich wissen wir das. Wenn ich einen Gegner für dieses Spiel hätte aussuchen dürfen, hätte ich wahrscheinlich auch Luxemburg genommen.

Empfinden Sie das nicht als Beleidigung?

Im Gegenteil. Für jeden von uns ist es eine große Ehre, so kurz vor der WM gegen den WM-Gastgeber spielen zu dürfen. Aber wir werden nicht nur als Sparringspartner auf den Platz gehen. Für unsere Jungs bedeutet jedes Spiel auf diesem Niveau eine besondere Motivation.

Wenn Sie nicht hoch genug verlieren, können Sie Deutschland in eine nationale Krise stürzen.

Mal angenommen, wir würden am 27. Mai gegen Deutschland gewinnen – und am 9. Juli wird Deutschland Weltmeister: Interessiert dann noch irgendjemanden, wie die Mannschaft gegen Luxemburg gespielt hat? Ich würde mir bei den Deutschen manchmal etwas mehr Patriotismus und etwas mehr Leidenschaft für die Nationalmannschaft wünschen. Die negative Haltung ärgert mich ein bisschen – obwohl ich kein Deutscher bin.

Haben Sie Ihren Mitspielern eigentlich schon gesagt, dass Sie als Kapitän nach dem Spiel das Erstzugriffsrecht auf das Trikot von Michael Ballack haben?

Ach, wissen Sie, wie oft ich schon gegen Ballack gespielt habe? Wenn er will, bekommt er mein Trikot.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

Jeff Strasser, 31 , spielt seit 1999 in

der Bundesliga. Derzeit ist er Kapitän bei

Borussia Mönchengladbach. Mit Luxemburg spielt er am Sonnabend in Freiburg gegen Deutschland.

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