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Sport: Die Legende in seinen Händen

Der deutsche Torwart Bernd Trautmann hat mit gebrochenem Halswirbel gespielt und die Briten fasziniert nun pflegt er sein Erbe

Von Markus Hesselmann

Diese Hände! Sie beschreiben Kreise, sie teilen die Luft wie ein Schwert, sie greifen nach dem Arm des Gesprächspartners. Im nächsten Moment trommeln die Fingerkuppen auf den Tisch. Bernd Trautmann spricht mit den Händen. Mit langen, schlanken, starken Fingern. Diese Hände haben Charakter. Mit ihnen hat Trautmann einst den Strafraum beherrscht. Vorher haben diese Hände Bunker abgetragen und Bomben entschärft. Deutsche Bomben. Als Kriegsgefangener kam Trautmann 1945 nach England. Er war drei Jahre im Lager. Er hat mitgeholfen, die Hinterlassenschaften des Krieges zu beseitigen. Dann blieb Trautmann einfach da. Was sollte er in Deutschland? Da erwartete ihn nichts. Aus dem Kriegsgefangenen wurde einer der größten Stars des englischen Fußballs, ein erfolgreicher Torwart, vielleicht der beste aller Zeiten auf der Insel. Meine Erziehung, meine menschliche Entwicklung hat erst in England begonnen, sagt Trautmann. Mit 17 Jahren war er in den Krieg gezogen.

Er war 21, als ihn britische Soldaten kurz vor Kriegsende gefangen nahmen und auf die Insel brachten. Wir wurden mit einer unglaublichen Fairness empfangen, sagt Trautmann. Schon in den Augen der Menschen konnte ich sehen, dass sie nichts gegen mich hatten. Im Gegenteil, sie hatten Mitleid mit uns. Mehr als sechs Jahrzehnte später steht Trautmann vor dem City-Stadion in Manchester. Zwei-, dreimal im Jahr kommt er aus Spanien, wo er inzwischen lebt, zu seinem alten Verein zu Besuch. Fans umringen den Deutschen. Du bist eine Legende, ich liebe dich, ruft eine Frau mit nordenglischem Akzent. Und fällt ihm um den Hals. Selbst die Kinder erkennen den 83-Jährigen. Sie haben mich doch nie spielen gesehen, sagt Trautmann ein bisschen stolz, ein bisschen erstaunt, ein bisschen kokett. Der lange Deutsche ragt aus der Menschenmenge heraus. Eine distinguierte Erscheinung inmitten bunter Fanschals, Mützen, Trikots. Dunkler Anzug, Krawatte, das dichte, weiße Haar gescheitelt genau, aber nicht streng. Trautmann trägt eine große, golden gerahmte Sonnenbrille, die seit zwanzig Jahren schon öfters modern war. Jetzt gerade ist sie wieder angesagt.

Trautmann gibt geduldig Autogramme. Bert ist der Name, mit dem er unterschreibt. So haben ihn die Engländer immer genannt. Schon damals, als er im Gefangenenlager nicht weit von hier Fußball spielte und britische Offiziere sein Talent als Torwart entdeckten. Bert ist einfacher auszusprechen als Bernd.

Bald nach seiner Entlassung aus dem Lager bekam Trautmann Angebote von Fußballvereinen. Über den Amateurverein St. Helens Town kam er zu den Profis von Manchester City. Da war es mit der Freundlichkeit vorbei. Die Zeitungen begannen eine Kampagne gegen den Nazi im Team, jüdische Bürger protestierten, es gab Boykottaufrufe gegen Manchester City. Ich konnte das verstehen, sagt Trautmann. Doch die Stimmung im Stadion an der Maine Road änderte sich. Er hat die Zuschauer in wenigen Spielen für sich gewonnen, sagt George McDonald. Der 70-Jährige hat Trautmann einst spielen sehen. Er hat nie einen Ball fallen lassen, sagt McDonald. Sicher habe Trautmann die Bälle gefangen und seine Mannschaftskameraden geschickt ins Spiel gebracht. Bert warf den Ball meilenweit.

Manchester City ist längst nicht mehr an der Maine Road zu Hause, sondern zog wie viele englische Klubs in eine moderne Arena um. Vor dem silbern glitzernden Raumschiff stehen die jungen Fans hinter Trautmann und tuscheln. Er hat sich das Genick gebrochen, sagt einer. Selbst die Jüngsten wissen alles über 1956, das Pokalfinale in Wembley. Manchester City führt eine Viertelstunde vor Schluss 3:1 gegen Birmingham City. Bei einer spektakulären Parade trifft das Knie eines Stürmers den deutschen Torwart am Kopf. Trautmann bleibt zunächst bewusstlos liegen, spielt dann aber benommen weiter. Auswechslungen waren damals noch nicht möglich. Trautmanns Team holt den FA-Cup.

Erst später wird klar, dass sich der Torwart schwer verletzt hat. Der zweite Halswirbel war durch, sagt Trautmann. Mit gestreckten Fingern saust seine Hand diagonal durch die Luft. Ein Schnitt durch den Knochen. Dann schlägt er sich mit einer geballten Faust von unten auf die Innenfläche der anderen Hand. Der dritte Wirbel drängte nach oben gegen den zweiten. Es war eine Sache von Millimetern. Ich hätte gelähmt sein können oder tot. Trautmann hatte Glück. Er erholte sich und setzte seine Torwart-Karriere fort.

Die Erinnerung an seine Heldentat überstrahlt die triste Gegenwart bei Manchester City. Der Abstieg wurde knapp verhindert. Der große Rivale Manchester United gewann bei City 1:0 und holte die entscheidenden Punkte auf dem Weg zum Titel. Alle erinnern sich vor allem wegen 1956 an mich, sagt Trautmann. Dabei habe ich 600 Spiele für Manchester City gemacht. Für Deutschland ist Trautmann nie aufgelaufen, obwohl ihn Experten in den Fünfzigerjahren dort für den besten Torhüter hielten. Doch Bundestrainer Sepp Herberger wollte den Mann von der Insel nicht. Sepp scheute das Risiko, sagt Trautmann. Was wäre gewesen, wenn der Kerl aus England die Deutschen enttäuscht hätte?, sagt der Torwart. Und seine Hände finden keine Ruhe.

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