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Sport: „Die Leipziger sehnen sich nach den Spielen“

Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee über Chancen und Konzepte, um Olympia 2012 nach Deutschland zu holen

Herr Tiefensee, zunächst einmal …

…zum Wetter, oder? Wir haben gerade richtig sonnige Tage hier in Leipzig. Wussten Sie, dass unsere Stadt angeblich Freiburg folgt in der Anzahl der Sonnenstunden?

Wie bitte?

Ja, wir liegen in einem Raum, in dem die Hochdruckgebiete aus dem südlichen Europa verweilen. Die Islandtiefs mit ihren Regen und Winden arbeiten sich meist schon am Harz ab. Bei uns scheint dann die Sonne.

Und damit wollen Sie das Internationale Olympische Komitee von Ihrer Bewerbung um Olympia 2012 überzeugen?

Also jetzt im Ernst: Wir überzeugen anders. Als erstes mit unserem Konzept der kurzen Wege, mit unserer Begeisterung für die olympische Idee und mit unserer handgreiflichen Aufbruchstimmung. Ich bin derzeit international unterwegs, um unsere Argumente vorzutragen.

Wie oft müssen Sie dabei das Wort Leipzig buchstabieren?

Leipzig muss international bekannter werden, aber diese Stadt hat sich einen Ruf erarbeitet als internationaler Messeplatz, als Kulturstadt mit Johann Sebastian Bach, den Thomanern und dem Gewandhausorchester, als Zentrum der friedlichen Revolution 1989 und des Neuaufbaus danach. Und natürlich sind wir auch eine Sportstadt. Viele Sportler, Trainer und Funktionäre kennen Leipzig noch von ihrer Ausbildung an der Deutschen Hochschule für Körperkultur.

Und wie viele Sportfunktionäre kennen inzwischen den Herrn Tiefensee?

Eine Menge. Aber ich halte von name dropping genauso wenig wie von number dropping. Wichtig ist etwas anderes: unser Auftritt als eine Stadt, die ohne Wenn und Aber hervorragende Olympische Spiele organisieren wird.

Jaques Rogge, der Chef des Internationalen Komitees, hat gesagt, er kenne New York, London und Paris sehr gut. Leipzig kenne er nicht.

Nun, das wird sich ändern und ist auch ein Vorteil.

Aha.

Eine bekannte Stadt ist bekannt mit Vor und Nachteilen. Wir haben die Möglichkeit, international auf unsere Vorzüge hinzuweisen. Wir freuen uns, dass Jaques Rogge uns in den nächsten sechs Monaten mal besuchen wird. Er wird diese Stadt lieben.

Eine sehr positive Sicht der Dinge.

Warum nicht? Ich reihe mich nicht in die Schar der Nörgler und Schwarzseher ein, die immer nur fragen: Habt ihr auch wirklich genug Hotels, warum habt ihr noch kein neues Olympia-Logo? Leipzig – was ist schon Leipzig? Ich verweise auf die Kraft dieser Stadt, auf sanierte Straßen oder auf neue Messehallen. Hier spürt man den Anspruch dieser Stadt. Läuft man durch die prächtige Innenstadt, setzt man sich dort in ein Café, spürt man den Flair von Klein-Paris.

Paris – ist das der Anspruch dieser Stadt?

Wir orientieren uns an den europäischen Metropolen. Wir wollen eine Stadt mit europäischer Geltung sein - weniger nicht. Wir Leipziger haben immer die Ziele ein wenig höher gelegt, um das Bestmögliche zu schaffen.

Gut, dann zählen Sie doch mal drei Dinge auf, die in Leipzig so einzigartig sind.

Gerne. Erstens: Wir Leipziger sind ein Völkchen, das sich schnell nach Krisen und Rückschlägen aufrappelt. Unsere Einwohnerzahl wächst heute wieder, überall in der Stadt wird gebaut. So ein Vertrauen in die Zukunft gibt es nicht überall. Zweitens sind wir eine Stadt, die sich immer nach außen geöffnet hat. Über Jahrzehnte sind Wissenschaftler, Industriepioniere und Händler aus aller Welt hierher geströmt. Junge Leute studierten hier die Wissenschaften und die Künste und gingen abends ins Gewandhaus oder in die Thomaskirche.

Und diese alten Geschichten erzählen Sie jetzt immer den Leuten vom Internationalen Olympischen Komitee?

Mit Verlaub, eine ziemlich blöde Frage. Ich beschreibe Leipzig als eine quirlige, junge Stadt, die aber eben auf Tradition ruht. Das ist das Spannungsfeld: Bach und BMW, 600 Jahre Universität und junge Medienfirmen, Tagebaulöcher und daraus entstehende Seen. Wir haben in 13 Jahren Enormes geschafft.

… und haben dennoch 20 Prozent Arbeitslosigkeit.

Furchtbare 18 Prozent.

Das ist trotzdem viel.

Ja, da gibt es noch viel zu tun. Aber wir lehnen uns nicht zurück und jammern. Das bringt uns nicht voran. 18 Prozent Arbeitslosigkeit ist zwar schlimm, heißt aber auch, dass 82 Prozent richtig ranklotzen dürfen. Hier wird aufgebaut, wir sanieren Schritt für Schritt die Stadtviertel, Straßen, Schulen und Sporthallen, wir bauen den Autobahnring und bereiten so ganz natürlich auch Olympia vor. Nicht, weil wir das müssten – sondern weil wir Leipziger so sind. Die Leipziger sehnen sich nach den Spielen.

Haben Sie schon mal daran gedacht, was passiert, wenn Leipzig gleich bei der ersten Auswahlphase rausfliegt?

Mir ist bewusst, dass es sich hier um einen Wettbewerb handelt. Da kann man auch unterliegen. Aber daran verschwende ich jetzt keinen Gedanken.

Was kostet die Leipziger Olympiabewerbung eigentlich den deutschen Steuerzahler?

Nicht mehr, als der Aufbau Ost in unserer Stadt sowieso kosten würde. Die Konzentration auf die Stadtregion Leipzig ist jetzt eher eine Frage des Zeithorizontes. Wir haben uns zum Beispiel mit unseren verkehrspolitischen Leitlinien aus dem Jahr 1992 vorgenommen, die Verkehrsinfrastruktur rund um Leipzig bis 2020 voll zu modernisieren. Das muss jetzt vorgezogen werden. Wenn wir im Osten einen wirklichen Aufschwung erleben wollen, ist genau das der richtige Weg. Wir brauchen den Autobahnring nicht wegen Olympia, sondern wegen der Ansiedlung des neuen BMW-Werks. Und was wäre die Alternative? Der Steuerzahler zahlt Jahr für Jahr zehn Millionen Euro zusätzlich an Sozialhilfe aus. Das ist eine Sackgasse. Es ist besser, in die Infrastruktur zu investieren und diesem Trend entgegen zu treten.

Gut, dann kommen wir zu den Investitionen. Sie müssen fast alle Sportstätten in Leipzig neu bauen. Was machen Sie später damit?

Wir setzen auf temporäre Bauten, die im Lande nachgenutzt werden können. Aus dem Olympiastadion mit 80 000 Zuschauern werden wir nach den Spielen ein Leichtathletikstadion für 18 000 Fans machen. Zudem finden die Ballwettbewerbe in den Messehallen statt, die später wieder anders genutzt werden. Insgesamt werden wir in der Stadt vier olympische Schwerpunkte haben. Unser modifiziertes Konzept sieht vor, dass alle wichtigen Wettkämpfe im Umkreis von zehn Kilometern stattfinden. Das werden also Spiele mitten in der Stadt, in Stätten, die nachhaltig genutzt werden. Oder symbolisch: Olympia rund um den Marktplatz.

Innenminister Schily sagt, das wird eng.

Kompakt heißt nicht eng. Weite Wege sind für Athleten furchtbar. Aber niemand kann erwarten, dass bei Olympischen Spielen in der Stadt nichts los ist. Aber wir werden rund um die Stadt ein Park-and-Ride-System aufbauen, das es erlaubt, schnell nach Leipzig zu kommen und danach zügig in die Innenstadt. Das rechnen Experten durch.

Der nächste Punkt: Leipzig muss 42 000 Hotelbetten vorweisen, bisher gibt es 25 000.

Rechnet man die bereits vorhandenen Stadtresidenzen mit, sind es Tausende mehr. Übrigens beanspruchen die Medienvertreter allein 17 000 Betten, die wir in hoher Qualität temporär errichten werden. Wir werden also Häuser aus der Gründerzeit renovieren und die Olympiagäste dann in den neuen Residenzen einquartieren. Für die Zeit der Spiele wird es in den Häusern Servicestationen geben für den Empfang und das Essen. Diese Quartiere werden mindestens Drei-Sterne-Niveau haben mit ganz eigener, privater Atmosphäre. So funktioniert dauerhafte Stadtentwicklung.

Die Frage ist nur, ob das Internationale Olympische Komitee das toll findet.

Da bin überzeugt davon, gerade weil es ein neuer und nachhaltiger Ansatz ist. Wir zeigen hervorragende, unkonventionelle Lösungen und setzen nicht auf das „Alles wie immer“.

Klaus Steinbach, Chef des NOK, hat gesagt, man könne nicht einfach alle Hallen und Stadien und Hotels am Stadtrand auf eine Wiese bauen. Genau das haben Sie aber vor.

Wir bauen nicht am Stadtrand auf einer Wiese, sondern inmitten der Stadt, das ist ja gerade der Charme: nahe, aber nicht zu dicht am Geschehen. Klaus Steinbach hat unser Konzept sehr stark unterstützt und ist ebenso glücklich wie ich über unsere kompakte Planung.

Mögen Sie Klaus Steinbach?

Ja, wir arbeiten gut und effektiv zusammen. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen. Es gab am Anfang der internationalen Bewerbungsphase in der Bewerbungsgesellschaft unterschiedliche Meinungen über eine Personalie. Aber so etwas ist doch ganz normal bei solch komplexen Vorgängen. Klaus Steinbach setzt sich mit all seiner Kraft und Eloquenz für Leipzig ein. Dafür bin ich ihm dankbar.

Aber der Star der Bewerbung sind Sie, der weltläufige Cellospieler, manchmal mit E-Gitarre.

Es gibt keine Stars, sondern ein Team mit Rollenverteilung.

Und was ist mit Ihrer Karriere?

Lassen Sie uns lieber übers Wetter reden.

Das Interview führte Robert Ide.

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