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Sport: Die letzte Bastion

Rostock ist der einzige ostdeutsche Fußball-Bundesligist – ein Abstieg hätte Folgen für die ganze Region

Rostock liegt im Regen. Schwere Wolken hängen über dem nördlichsten Standort der Fußball-Bundesliga. Antenne Mecklenburg-Vorpommern gibt seit Tagen Sturmwarnungen durch. Der FC Hansa hat Plakate mit der Aufschrift: „Das Land braucht Hansa – Hansa braucht Dich“ in Umlauf gebracht. Und heute kommt der SC Freiburg zum Rückrundenstart ins Ostseestadion. Hier gelang dem FC Hansa in der gesamten Hinrunde nicht ein einziger Sieg. Hansa steht ganz unten in der Tabelle. Ausgerechnet im zehnten Bundesligajahr droht der Abstieg. Es sieht nicht gut aus für Hansa, nicht für Rostock, nicht für ganz Mecklenburg-Vorpommern.

Peter Schmidt sitzt hinter einem Schreibtisch voller Eintrittskarten. Schmidt ist Fanbeauftragter des Vereins und koordiniert 170 Fanklubs. Er rechnet mit 25 000 Stadionbesuchern gegen Freiburg. Dieses Spiel sei so etwas wie der letzte Versuch, den Abstieg vielleicht doch noch abzuwenden. Wenn das nicht gelingt? Schmidt neigt seinen Kopf über die Ticketstapel und nuschelt: „Dann bleiben hier ’ne Menge Leute weg.“ Wenn es bloß das wäre. Gerd Kische wird deutlicher. „Was dann passiert? Wir müssen doch nur nach Cottbus gucken“, sagt Hansas Rekord-Nationalspieler und ehemaliger Vereinspräsident. „Manchen Leuten im Verein ist gar nicht bewusst, was dann auf sie zukommt – das blanke Chaos.“

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff hat den FC Hansa als einen „Leuchtturm“ bezeichnet, der weit über die Landesgrenzen hinausstrahle. Wolfgang Hering, IHK-Chef der Stadt Rostock, sieht in dem Bundesligisten gar ein „Beispiel dafür, wie sich ein ostdeutsches Unternehmen im wilden Wettbewerb behaupten kann. Bundesligafußball ist ein Stück Lebensqualität, die Selbstbewusstsein vermittelt.“ Ein Abstieg wäre ein „herber Rückschlag“ für den gesamten Standort, „das würde ganz schön die Stimmung drücken“, sagt Hering. Auf 150 Millionen Euro schätzen Wirtschaftsexperten den Werbewert des Klubs für die Stadt. Damit ist Klub der wichtigste Werbeträger Mecklenburg-Vorpommerns, 2000 Arbeitsplätze sind im Verein, der Gastronomie und dem Nahverkehr vom FC Hansa abhängig.

Wenn der FC Hansa am 28. Dezember sein 40-jähriges Gründungsjubiläum feiert, hat auch Peter Schmidt Geburtstag. Der Fanbeauftragte wird dann 44 Jahre alt. Schmidt ist seit 1972 bei fast jedem Spiel des FC Hansa dabei gewesen. „Viele sind hier arbeitslos und haben andere Sorgen. Warum sollen die dann noch ihr schmales Geld für die Heimspiele des FC Hansa ausgeben?“, sagt Schmidt.

Jörg Berger hastet über den Flur der Geschäftsstelle, grüßt kurz in jedes Zimmer hinein und verbreitet Optimismus. Das muss er auch. Im November hat der 60-Jährige den Trainerposten beim Abstiegskandidaten übernommen. Das Wort Schicksalsspiel gefällt Berger nicht. „Das Spiel ist verdammt wichtig, aber unter Schicksal verstehe ich etwas anderes“, sagt Berger, bei dem vor zwei Jahren Darmkrebs diagnostiziert worden war. Berger hat die Krankheit besiegt. „Für Siege gibt es keinen Ersatz, sie schaffen Selbstvertrauen und Mut.“ Berger gilt als Spezialist für schwierige Fälle, er hat schon Köln, Schalke und zweimal Frankfurt vor dem Abstieg gerettet. „Das hier ist wohl meine schwierigste Aufgabe“, sagt Berger. „Irgendwie ist Rostock ein bisschen weit weg vom großen Fußball.“ Zwei Drittel der Hansa-Fans kommen aus dem Umland oder von weiter her, „fünf Prozent fahren sogar 500 Kilometer, um ein Heimspiel zu sehen – einfache Strecke“, sagt Ralf Gawlack, Marketingchef und Vorstandsmitglied des Vereins. Die Arbeitslosenquote im Land liegt offiziell bei 20 Prozent. Gefühlt liegt sie bei 30 bis 35 Prozent. „Hier ist der FC Hansa das gesellschaftliche Ereignis, nur noch zu vergleichen mit dem Landespresseball“, sagt Gawlack. Vergangenen Samstag gab es im „Vita-Cola-Club“ des Ostseestadions die „Weiß-blaue Nacht“. Was Rang und Namen hat aus Politik, Wirtschaft und Kultur war geladen. Berger und die Mannschaft waren auch da. „Gefeiert wurde nicht“, sagt Gawlack, „wir haben gemeinsam diskutiert, wie wir den Klassenerhalt schaffen.“

Der Etat des FC Hansa beträgt 24,5 Millionen Euro. Der 1. FC Köln beispielsweise ist im vergangenen Jahr mit einem Etat von 36 Millionen abgestiegen. In der Zweiten Liga könne Hansa nur noch mit 12,5 Millionen kalkulieren. „Das fordert Kreativität und schweißt zusammen“, sagt Gawlack. Das Geschäftsjahr 2003/04 hat der Klub mit einem Plus von 510 000 Euro abgeschlossen. Hansa ist schuldenfrei. Trotzdem gab der Verein im Sommer nur 300 000 Euro für neue Spieler aus. Man war schließlich gerade Neunter geworden – Hansas beste Platzierung seit Jahren. „Im Erfolg macht man Fehler“, sagt Trainer Berger kurz. Kritiker werfen dem Management vor, den Verein zu Tode zu sparen. Was wüssten die Kritiker schon, wirft Rainer Jarohs ein. Er war früher einmal Mannschaftskapitän bei Hansa und ist jetzt erster Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden. „Wir tun ja, was wir können. Aber nur mit Sonnenschein und Ostsee kriegen wir keine Spieler hierher. Die meisten Spieler gucken doch nur aufs Geld, und das übersteigt unsere Möglichkeiten“, sagt Jarohs.

Jörg Berger bereitet sich auf das Nachmittagstraining mit der Mannschaft vor. „Möglich ist alles, wir dürfen nur nicht absteigen“. Und er weiß auch, warum. „Es geht um den Stolz der Menschen hier, die uns sagen: Ihr seid die letzte Bastion.“

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