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Sport: Die Mannschaft Gottes

Auch bei dieser EM leisten Pfarrer Beistand, die Kirche geht mit Fanschals und Public Viewing in Gemeinden in die Offensive. Manchmal werden sogar Fußballer selbst zu Heiligen

Bei aller Liebe zum Fußball, die Reihenfolge soll man bitte nicht durcheinanderbringen: „Die Religion war zuerst da, der Fußball kam später“, sagt Christoph Sigrist. Weil das dem Schweizer Pfarrer so wichtig ist, sprach er sich auch gegen den Slogan aus, den sich die Schweizer und österreichischen Kirchen zur EM erst geben wollten. „Wir sind dabei“, sollte er heißen, das klang Sigrist, dem EM-Beauftragten des Schweizer Evangelischen Kirchenbundes, zu sehr nach „Wir sind auch dabei“. Am Ende entschieden sich die Kirchenleute mit der Unterstützung einer Werbeagentur für den Slogan „Am Ball seit 2008 Jahren“. Das sei historisch sicherlich nicht ganz korrekt, sagt Sigrist. „Dafür ist es eine tolle Marke.“

Zur EM führen die evangelischen, katholischen und ökumenischen Kirchengemeinden in Österreich und der Schweiz gerade eine Fußball-Offensive durch, der gemeinsame Name: „Kirche 08“. In Basel gab es einen großen Eröffnungsgottesdienst, nun bieten die Gemeinden Public Viewing an, und die Kirche produziert eigene Fußballschals. Rot sind sie und handgestrickt, ihre Aufschrift lautet – natürlich – „Kirche 08“. Derzeit betont die Kirche die Parallelen zwischen Fußball und Glaube sehr stark: Für beides brauche man ein eingespieltes Team, sagt die Kirchenleitung.

Österreich hat sogar einen eigenen EM-Pfarrer, Christoph Pelczar. Sein Arbeitsauftrag ist die geistliche Begleitung des Fußballereignises. Dieser Tage hat Pelczar viel zu tun, er besucht alle Mannschaften, spricht mit Schiedsrichtern und Fans. Für sie hat er eine Friedensmeile auf dem Wiener Josefsplatz eingerichtet, dort spendet er ihnen Trost, nach dem Spiel zwischen Deutschland und Polen fuhr er auch nach Klagenfurt und versuchte zu versöhnen. „Ich hatte selbst einen polnischen Fanschal um“, sagt er. „Und wenn ein Deutscher ihn mir abnehmen wollte, habe ich ihm einfach aufrichtig zum besseren Spiel gratuliert.“

Dass die Kirche derart Richtung Fußball rückt, ist eine neuere Entwicklung. Früher gab es die Annäherungen eher von Fußball-Seite aus – und die Kirche verwahrte sich dagegen. 1954 etwa zog der Fußballreporter Herbert Zimmermann klerikalen Zorn auf sich, weil er im Endspiel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn angesichts der Aktionen des deutschen Torhüters Toni Turek wiederholt ausrief: „Turek, du bist ein Teufelskerl, Turek, du bist ein Fußballgott.“ Auch Bundespräsident Theodor Heuss tadelte diese Aussagen als unangemessen. Trotzdem – die christlichen Verweise in der Fußballwelt setzten sich fort. Sei es, dass vom „Wunder von Bern“ oder dem „Heiligen Rasen“ die Rede war oder Wiener das Stadion vom SK Rapid Wien „Sankt-Hanappi“ nennen. Oder dass Fans ein „Te Diegum“ an Diego Maradona richten und der FC Schalke 04 seine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Schalke unser“ herausbringt. In Gelsenkirchen und Berlin gibt es sogar Stadionkapellen.

Doch auch in anderen Religionen jenseits des Christentums hat sich der Fußball eingerichtet: Direkt neben den buddhistischen Heiligen im Pariwas Tempel in Bangkok steht eine kleine Figur von David Beckham.

Oft sind diese religiösen Anklänge parodistisch gemeint. Trotzdem gibt es aber auch wirkliche Gemeinsamkeiten: Heute sammelt man Bilder von Fußballern wie früher die Heiligenbildchen, und am Sonntag geht man nicht mehr in die Kirche, sondern ins Stadion. Dort werden dann Fangesänge angestimmt, die der Musikpsychologe Reinhard Kopiez mit liturgischen Gesängen verglichen hat. Und am Ende eines Spiels reicht ein Funktionär einen Pokal unter den Fußballern umher wie den Kelch im Abendmahl.

Warum es diese Ähnlichkeiten gibt, versuchen Kulturwissenschaftler damit zu erklären, dass Religion ihre Wurzel in Ohnmachtserfahrungen hat. Was der Mensch nicht kontrollieren kann – und dazu zählt auch ein so ergebnisoffenes Spiel wie Fußball –, das versucht er zumindest durch Riten zu beeinflussen. Das sieht man auch an den Fußballspielern selbst, vor allem an den südamerikanischen: Viele Brasilianer, aber auch katholische Polen, bekreuzigen sich, wenn sie den Rasen betreten, und Lucio von Bayern München trug, bis man es ihm verbot, ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Jesus liebt dich“. Auf deutscher Seite gibt es auch Bekenntnisse. So sprach Oliver Kahn in Interviews oft über die Kraft seines Glaubens, und der ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann holte zur WM 2006 einen Pfarrer in sein Team.

Zurzeit der Weltmeisterschaft fing auch das Bemühen der Kirche um den Fußball an. Unter dem Motto „Fußball ist ein starkes Stück Leben“ luden 3000 Gemeinden in Deutschland zum Public Viewing. Die Billigung kommt von höchster Stelle: Kardinalsstaatssekretär Tarcisio Bertone, der zweitmächtigste Mann im Vatikan, hat im Frühjahr 2007 junge Priesteramtskandidaten zum „Clericus Cup“ antreten lassen, und der Papst selbst bezeichnete Fußball als Sinnbild des Lebens.

Christoph Pelczar, der EM-Pfarrer, hat ein Buch geschrieben, es heißt „Steilpass zum Menschsein“. Darin weist er darauf hin, dass viele Christen von Fußballern lernen könnten – etwa die Fähigkeit, ihre Gefühle auszuleben. Und damit die Fußballer umgekehrt auch fürs Leben lernen, hat er Situationen vom Platz wie „Elfmeter“ in Begriffe wie „Verletzung“ und „Wiederherstellung der Würde“ übersetzt. Pünktlich zum Beginn der EM hat er das Buch an die Mannschaften verteilt.

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