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Sport: Die menschliche Komponente

Weil die Harmonie im deutschen Bahnradvierer schwer gestört ist, starten vielleicht zwei Nachwuchsfahrer bei Olympia

Berlin. Die Verantwortlichen haben sich sofort entschuldigt. War ja auch peinlich die Sache mit dem „r“, das zu viel war. Im Programmheft des Berliner Sechstagerennens heißt der Debütant mit der schwarzen Nummer 17 auf dem blau-weißen Trikot Leif Lamparter. Der korrekte Name des 21-Jährigen ist Lampater, er gewann vor zwei Jahren in Berlin das internationale Zukunftsrennen. Sollte er auch 2005 zum Starterfeld gehören, dürfte es die Namensprobleme nicht mehr geben. Dann nämlich ist Leif Lampater nicht mehr der kleine Nachwuchsfahrer, sondern, wenn alles perfekt läuft, vielleicht sogar Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Athen. Dann kennt ihn jeder. Lampater soll künftig für den deutschen Bahnradvierer antreten, gemeinsam mit Robert Bartko und Guido Fulst und dem 20-jährigen Neuling Robert Bengsch. „Eine Medaille in Athen ist drin“, sagt Bartko nach den ersten gemeinsamen Trainingseinheiten. Beim Weltcup in Moskau im Februar muss sich der neue Vierer erstmals in einem Rennen bewähren.

„Ich bin da aus Versehen reingerutscht, ich kann ja noch U 23 fahren“, erzählt Lampater. Als der plötzliche Aufstieg seinen Anfang nahm, trat der junge Mann aus Schwaikheim bei Stuttgart nicht einmal in die Pedale, sondern saß auf der Tribüne bei der Bahnrad-WM in Stuttgart. Dort kam es im Sommer 2003 zum Eklat. Jens Lehmann fühlte sich betrogen, weil nicht er, sondern Bartko für die Einer-Verfolgung nominiert wurde. Anschließend weigerten sich Lehmann, Daniel Becke, Sebastian Siedler und Christian Bach auf Anweisung ihres gemeinsamen Heimtrainers, mit Fulst oder Bartko im Vierer anzutreten. Nur als Quartett wollten sie starten. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zog den Vierer, der 2000 in Sydney in der Besetzung Bartko, Fulst, Lehmann, Becke Olympiasieger geworden war, ganz aus dem Rennen zurück. Die aufmüpfigen Vier flogen vorübergehend aus der Nationalmannschaft, neue Fahrer mussten gefunden werden.

Die Chance war da für Lampater und Bengsch. Beide gehören einer Sportfördergruppe der Bundeswehr in Frankfurt an der Oder an. Lampater fährt für die RSG Heilbronn, Bengsch für das KED Bianchi Team und den Berliner TSC. Beim Sechstagerennen ist Lampater mit Thorsten Rund am Start, sein Viererkollege mit Ronny Lauke. Bengsch war mit dem Bahnvierer WM-Zweiter der Junioren. Lampater ist mit dem Vierer im Weltcup in Indonesien Zweiter, in Sydney Erster geworden. Nach den ersten Stunden beim Sechstagerennen stellte er fest: „Die Beine sagen nichts Schlechtes. Mein Ziel ist es, ohne große Schwierigkeiten durchzukommen.“

Am 10. Februar kommt es in Frankfurt an der Oder zum ersten Teil der internen Olympiaqualifikation. Nach dem Einzelfahren „steht bei jedem eine Zeit“, sagt Lampater. Auch Lehmann, Becke, Siedler und Bach sind dort startberechtigt. Bach, der sich als Einziger für sein Verhalten in Stuttgart entschuldigt hatte, war nur bis Ende 2003 aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen worden. Die Suspendierung der anderen drei Fahrer setzte der BDR vergangene Woche aus, um ihnen die Chance zu geben, sich für Olympia zu qualifizieren. Die Fahrer müssten nun auch ihre Teamfähigkeit unter Beweis stellen, forderte BRD-Präsidentin Sylvia Schenk.

Für den Weltcup in Moskau sind Lampater und Bengsch nominiert. Fliegen sie danach genauso schnell wieder aus dem Vierer, wie sie hineingekommen sind? Wird in Athen, wofür sich der Vierer bei der WM Ende Mai in Melbourne noch qualifizieren muss, das mittlerweile zerstrittene Siegerteam von Sydney am Start sein? Bengsch will sich „nicht äußern, das gibt sonst nur Ärger“. Lampater dagegen findet klare Worte: „Die Besten sollen fahren. Aber es hängt viel davon ab, wie Lehmann, Becke und Siedler sich verhalten, sie müssten sich bei Bartko und Fulst entschuldigen.“ Dass es für ihn dann ja gut wäre, wenn eine Entschuldigung ausbliebe, will er nicht kommentieren – aber „die menschliche Komponente ist bei mir besser als bei anderen Leuten“. Das sieht wohl auch Robert Bartko so, der es schade fände, wenn die Jungen wieder rausfliegen würden, mangels Nachwuchs „stehen wir dann spätestens 2008 vor einer Katastrophe“.

Außerdem kann der Doppel-Olympiasieger von Sydney sich schlicht „nicht vorstellen, mit Lehmann wieder Vierer zu fahren. Da würde ich den Erfolg zurückstellen.“ Dass er nicht antritt und es zu neuen Boykotts oder Kämpfen zwischen den Fahrern kommt, ist ein Risiko, dass der BRD wohl kaum wird eingehen können. Zumal „im Vierer Harmonie da sein muss“, wie Bartko betont. „Man muss ja nicht jede Minute des Tages zusammen verbringen, wir haben uns auch 2000 nicht dauernd gestreichelt“. Aber ohne Harmonie gehe es nicht, „und die Harmonie ist kaputt“.

Helen Ruwald

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