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Endlich mal aufjubeln. Raúl (rechts) und seine Schalker Mitspieler litten lange unter Magaths Alleinherrschaft – seit dem Trainerwechsel wirken sie wie befreit. Foto: firo

© firo Sportphoto

Sport: Die Nacht der Abnabelung

Schalke schlug Inter mit neuer Leichtigkeit, weil Rangnick auf Offensive und von Magath Aussortierte setzt

Es war schon fast beängstigend, wie gefasst die Spieler des FC Schalke 04 es hinnahmen, dass sie gerade ein historisches Ergebnis erzielt hatten. Als das 5:2 (2:2) über Inter Mailand im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League endgültig feststand, brachen die Schalker Profis nicht in Jubelarien aus oder liefen ziellos von ihren Emotionen überwältigt über das Feld des Giuseppe-Meazza-Stadions. Joel Matip und Edu kümmerten sich stattdessen lieber darum, ihre Gegenspieler Samuel Eto’o und Maicon zu trösten.

Auch in der tiefen Mailänder Nacht im Mannschaftshotel der Schalker herrschte zurückhaltende Zufriedenheit. Nur nicht zu früh freuen, hieß die Devise. Noch müssen die Schalker am kommenden Mittwoch ein Rückspiel in Gelsenkirchen bestreiten. „Wir haben einen guten, aber keinen endgültigen Schritt gemacht“, sagte Trainer Ralf Rangnick ohne den Ansatz eines Lächelns. Auch wenn er etwas irritiert feststellte: „Was soll man zu solch einem Spiel noch sagen?“ Dieser Erfolg war vor allem das taktische Werk Rangnicks, der den Mut besaß, die eklatanten Defensiv-Schwächen Inters trotz aller eigenen Personalprobleme für sich nutzen zu wollen und das Heil in der Offensive zu suchen.

Das war gewagt und außerhalb der seit Jahrzehnten bestehenden Norm für Außenseiterteams im internationalen Wettbewerb. Rangnick scheute sich auch nicht, mit Kyriakos Papadopoulos, Joel Matip, Alexander Baumjohann und José Manuel Jurado junge, international wenig erfahrene und vor einigen Wochen teilweise bereits aussortierte Spieler aufzubieten und ihnen zudem eine Schlüsselrolle in der Partie zukommen zu lassen.

Der neue Trainer hat dem gesamten Klub und damit seinen Schalkern in kürzester Zeit eine neue Leichtigkeit und damit auch zusätzliches Selbstvertrauen verliehen. Ralf Rangnick setzt auf Kommunikation und Austausch statt auf Schweigen, Strafen und Pflichterfüllung mit äußerst geringem Spaßfaktor. Und damit trifft er derzeit den Nerv der Spieler. „Es liegt am Umgang zurzeit. Wir wollen uns alle gegenseitig pushen“, ließ Torhüter Manuel Neuer dann auch einen kleinen Einblick in die gestreichelte Seele der Schalker Mannschaft zu.

Spötter hatten nach der Partie bereits gemutmaßt, dass so ein historisches Ereignis unter Felix Magath erst gar nicht hätte passieren können. In der Vergangenheit standen die Spieler vor beinahe unlösbaren Problemen, wenn sie in Rückstand gerieten. Doch noch nicht einmal der spektakulär zustande gekommene Rückstand nach nur 25 Sekunden durch Dejan Stankovic, der volley von der Mittellinie gegen den zuvor aus dem Tor geeilten Manuel Neuer verwandelte, noch der spätere, erneute Rückstand durch Diego Milito schien die Schalker zu beunruhigen. Joel Matip und Edu glichen zunächst jeweils aus, ehe in der zweiten Hälfte Raúl, Andrea Ranocchia mit einem Eigentor und erneut Edu den Endstand herstellten.

Diese jungenhafte Unbekümmertheit und Leidenschaft hatte zuletzt auch der Nationalmannschaft und dem ungeliebten Nachbarn aus Dortmund besonders gut getan. „Dass die Mannschaft so zurückgekommen ist, das spricht für sie“, sagte Rangnick, der von der großen Souveränität und Nervenstärke seines Teams genau wie 72 770 Zuschauer beeindruckt zu sein schien. Rangnick ist noch dabei, die Mannschaft genau kennen zu lernen und sich einen dezidierten Eindruck von den Spielern zu verschaffen.

Aber auch den Schalker Profis war diese Begegnung eine Lehre. Denn sie konnten erleben, dass sie ihrem Trainer Vertrauen schenken können, auch wenn er, wie an diesem Abend, ungewöhnliche Wege beschreitet. Diese Partie steht für die endgültige Abnabelung von Felix Magath, auch wenn die Mannschaft noch vollends die Handschrift des 57-Jährigen trägt.

Unter den vielen positiven Überraschungen dieser historischen Nacht stach mit Edu noch ein Spieler heraus. Der Brasilianer zeigte das Spiel seines Lebens. „Mir war klar, dass wenn wir etwas von Edu bekommen wollen, er in der Mitte und nicht mehr auf der Außenbahn spielen muss“, sagte Rangnick. Nicht nur Edu dankte es seinem Trainer. Es greift bereits eine neue Euphorie in Gelsenkirchen um sich, die der aus dem Jahr 1997 beim Uefa-Cup- Sieg gleicht. „Wir müssen uns jetzt erstmal auf die Bundesliga konzentrieren“, sagte Ralf Rangnick. Am Samstag wird dann der VfL Wolfsburg mit dem Trainer Felix Magath zu Gast in Schalke sein.

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