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Sport: Die neue Freiheit

Klinsmann gibt seinen Spielern einen Tag samt einer Nacht Urlaub – was aber macht Hitzlsperger?

Berlin - Thomas Hitzlsperger ist so etwas wie der Gewinner der ersten Turnierwoche. Der deutsche Nationalspieler ist zwar bisher noch nicht zum Einsatz auf WM-Rasen gekommen, aber das könnte sich jetzt auszahlen. Im Unterschied zu Michael Ballack oder Philipp Lahm, an denen sich die Nation berauscht, könnte der Bayer vergleichsweise unbehelligt der Fan-Meile einen persönlichen Besuch abstatten. Das würde ihm eine herausragende Stellung innerhalb der Mannschaft einbringen, weil er von Volkes Rausch aus nächster Nähe probieren dürfte. Das blieb Nationalspielern hauptsächlich aus Gründen der persönlichen Unversehrtheit bisher vorenthalten.

Und wieder einmal könnte sich Jürgen Klinsmann feiern lassen für ein neues, gelungenes Reförmchen im deutschen Fußball. Der Bundestrainer gab seinen Nationalspielern in noch nie da gewesener Gönnerhaftigkeit 24 Stunden Auslauf.

Thomas Hitzlsperger wird auf Körperkontakt mit den deutschen Fans auf der Fan-Meile in Berlin wahrscheinlich verzichten. „Man weiß ja nie, wie die Leute dort reagieren“, sagte er gestern. Bisher sei dort alles ganz friedlich gewesen, was allerdings noch nicht einen seiner Mitspieler dazu veranlasst hatte, die Fan-Meile zu erleben. „Und ich werde bestimmt auch nicht der Erste sein, der es macht.“

Jürgen Klinsmann ist ein großzügiger Bundestrainer. Nach dem Auftaktsieg hatte er seiner Mannschaft schon einmal frei gegeben. Jetzt aber, nachdem sich die Mannschaft frühzeitig für das Achtelfinale qualifiziert hat, rief er die Freizeit „zur freien Gestaltung“ aus. Diesmal sind dem gestalterischen Geschick der Spieler tatsächlich keine Grenzen gesetzt. Einige Nationalspieler flogen gestern zu ihren Familien. Nächster Treffpunkt ist Samstag, 18 Uhr, auf dem Trainingsplatz.

Zu den wenigen, die im Hotel blieben, zählte beispielsweise Philipp Lahm. „Für mich ändert sich nichts“, sagte der linke Außenverteidiger, „ich lebe weiter im Hotel.“ Da seine Freundin erst am Sonntag nach Berlin kommen wird, wo am Dienstag das letzte Gruppenspiel gegen Ekuador ansteht, „werde ich noch etwas mit meinen Mannschaftskameraden unternehmen.“

Jürgen Klinsmann hatte sich Zeit seiner aktiven Stürmerzeit nicht zweimal bitten lassen, der Enge und Eintönigkeit eines Mannschaftsquartiers entkommen zu können. Bei der Weltmeisterschaft 1990 hatte der frühere Mailänder Profi sich mehrfach aus dem Staub gemacht, und sein Haus im nahe gelegenen Como aufgesucht. Auffassungen, wonach er seinerzeit heimlich ausgebüxt sei, widersprach Klinsmann gestern energisch. „Ich bin nicht ausgebüxt, ich bin einfach in aller Ruhe rausgefahren.“

Aber natürlich hat sich der Bundestrainer bei der Konzipierung der Quartiersfrage von seinen Erfahrungen von drei WM-Teilnahmen als Spieler leiten lassen. Ein Ausbüxen haben die Spieler von heute nicht mehr nötig, es sei aber auch nicht mehr möglich, wie Klinsmann sagt. Sie würden heute überall erkannt werden. „Das sind doch erwachsene Leute, da kann man doch mal sagen: Tut was ihr wollt, bis morgen 18 Uhr.“

Aus eigener Erfahrung weiß Klinsmann, dass seine Spieler unter enormer Belastung stehen und deshalb einen Ausgleich benötigen. Das sei keine Belohnung, sondern sei lange geplant gewesen für die WM-Tage in Berlin. „Sie sollen mal Zeit für sich haben“, sagte Klinsmann. Angst vor Eskapaden hat er keine. Die jetzige Spielergeneration wisse sehr wohl, was sie möchte, die Spieler seien sehr konzentriert, sie hätten sich schließlich viel vorgenommen. „Wir wissen, dass sie nicht nachts um zwei oder drei Uhr in einer Diskothek rumhängen werden.“

Der Bundestrainer selbst wird mit seinem Betreuerstab im Berliner Mannschaftshotel bleiben. „Es gefällt uns. Wir haben es ja so geschaffen, wie man es als Spieler gern gehabt hätte.“ Seine Gedanken drehen sich ganz um Ekuador, dem nächsten Gegner. Thomas Hitzlsperger aber, der Gewinner der ersten Turnierwoche, könnte sich derweil damit beschäftigen, wie er dem uncharmanten Ruf entkommen kann, der Günter Hermann dieser WM zu werden. Günter Hermann wurde 1990 Weltmeister, ohne auch nur eine Minute gespielt zu haben.

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