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Sport: Die neue Unübersichtlichkeit

Von Stefan Hermanns Seogwipo. Nur gut, dass im Viertelfinale der Weltmeisterschaft nur noch acht Mannschaften mitspielen.

Von Stefan Hermanns

Seogwipo. Nur gut, dass im Viertelfinale der Weltmeisterschaft nur noch acht Mannschaften mitspielen. Sonst wäre Michael Skibbe, der Trainer der deutschen Nationalelf, irgendwann auch noch bei Moldawien angekommen und hätte wortreich die Stärken der dortigen Nationalmannschaft gepriesen (wahlweise kompakte Abwehr, gut organisiert, schnelle Spitzen oder kompakte Spitzen, schnell organisiert, gute Abwehr). So hatte es Skibbe zuvor auch bei den sieben anderen Teams gehalten, die bei dieser WM neben den Deutschen ins Viertelfinale eingedrungen sind. Es kann ja nicht oft genug gesagt werden, dass es im modernen Weltfußball keine kleinen Mannschaften mehr gibt.

Dieses „Es gibt keine Mannschaften mehr“ ist längst zum Ave Maria aller Nationaltrainer geworden: Es zeugt von der eigenen Demut und ist eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall einer Niederlage gegen einen früheren Fußballzwerg, gegen Südkorea zum Beispiel, die USA oder den Senegal. Und ist nicht die WM 2002 das beste Beispiel dafür, dass die Vorsichtigen wie Skibbe und Rudi Völler Recht haben? Frankreich, der Weltmeister, ist in der Vorrunde ausgeschieden, ebenso Argentinien, der große Favorit, und sein europäisches Pendant Portugal sowie im Achtelfinale Italien. Von den vier Mannschaften, die vor zwei Jahren im Halbfinale der Europameisterschaft standen (Holland, Frankreich, Portugal, Italien), hat es bei der WM keine unter die letzten acht geschafft. Dafür stehen mit Deutschland und England zwei Teams im Viertelfinale, die damals bereits in der Vorrunde gescheitert sind.

Der Weltfußball ist von der großen Unübersichtlichkeit ergriffen worden: Wer gestern Held war, ist heute Trottel. Und kann morgen schon wieder Held sein. Von den letzten acht Mannschaften des WM-Turniers standen drei, Südkorea, die Türkei und der Senegal, noch nie in einem Viertelfinale, die USA erreichten immerhin 1930 das Halbfinale. Allerdings stieß die Veranstaltung Fußball-Weltmeisterschaft da noch auf ähnlich großes Interesse wie heute die offenen aserbaidschanischen Dart-Meisterschaften. Inzwischen aber hat der Fußball auch den letzten Winkel der Welt erfasst, und die überraschenden Ergebnisse dieser WM sind nicht zuletzt ein Ausdruck der umfassenden Globalisierung dieses Sports.

Der internationale Fußball kennt keine nationalen Eigenheiten mehr: So wie chinesische Jugendliche in Peking genauso zu McDonald’s gehen wie gleichaltrige Amerikaner irgendwo in Ohio, spielen 17-jährige Ghanaer eben in der A-Jugend deutscher Fußball-Bundesligisten. Den italienischen Catenaccio beherrscht Paraguay inzwischen besser als Italien selbst, und der Senegal ist zumindest bei dieser WM das stärkere Frankreich. Kein Wunder: Die meisten Senegalesen spielen in der französischen Liga. Dass der Blick über nationale Grenzen hinaus nicht schadet, ist jedoch keine neue Erkenntnis: 1990 gehörten der deutschen Weltmeister-Elf gleich fünf Spieler an, die bei italienischen Klubs in der damals besten Liga der Welt unter Vertrag standen. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes ist im globalisierten Fußball längst Realität geworden. Neun der zweiunddreißig WM-Teams wurden von Ausländern trainiert. Der große Erfolg Südkoreas zum Beispiel wäre ohne den Holländer Guus Hiddink nicht denkbar.

Bundestrainer Michael Skibbe glaubt trotzdem nicht, „dass die Hierarchie im Weltfußball neu geordnet wird, aber es hat eine unglaubliche Annäherung gegeben“. Dass bereits so viele Favoriten vorzeitig ausgeschieden sind, hat für Skibbe „nichts mit deren Schwäche zu tun, sondern mit der enormen Ausgeglichenheit bei diesem Turnier“. Wenn Deutschland am Freitag im Viertelfinale gegen die USA spielen muss, dann wird diese Aufgabe für den Favoriten vermutlich nicht so einfach werden, wie viele das denken. Und das könnte für die Nationalelf zum Problem werden.

Im Grunde haben die Deutschen bereits mehr erreicht, als ihnen vor dem Turnier zugetraut wurde: „Wir sind hierher gefahren ohne Erwartung. Man hatte uns eigentlich schon aufgegeben“, sagt Teamchef Rudi Völler. Marco Bode findet, die Mannschaft habe das Schlimmste, ein Aus in der Vorrunde, hinter sich gelassen: „Man kann jetzt mehr gewinnen, als man verlieren kann“, sagt er.

Doch der gute Eindruck und die Euphorie in der Heimat wären mit einem Male verspielt, sollte die Nationalelf gegen die USA ausscheiden. So denkt die Öffentlichkeit doch. Eine Niederlage gegen die Amerikaner würde wohl wieder eine nationale Depression auslösen wie das Viertelfinalaus bei den letzten Weltmeisterschaften gegen Bulgarien und Kroatien. „Vielleicht ist das die deutsche Überheblichkeit, dass die Leute sagen: Die Amis können nix“, sagt Dietmar Hamann. „Aber wieso haben die dann die Portugiesen geschlagen?“

Bundestrainer Michael Skibbe erwartet ähnlich wie im Achtelfinale gegen Paraguay nicht unbedingt einen glänzenden Auftritt seiner Mannschaft im Viertelfinale: „Mir wäre es nicht unrecht, wenn wir auch erst in der 88. Minute unser Siegtor erzielen würden.“

Hauptsache, es gibt überhaupt ein Siegtor.

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