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Sport: Die neue Weltmacht

Japan schließt zu China und den USA auf

Schon nach der Hälfte des brutalen Hitzerennens traf ein, was das olympische Orakel von Tokio prophezeit hatte. Mizuki Noguchi, 26 Jahre alt und mit ihren 40 Kilo und 150 Zentimetern ein ganz zierliches Persönchen, verwandelte sich auf der klassischen Distanz zur „Königin des Marathon“. Während die Weltrekordhalterin Paula Radcliff aus England unter den sengenden Strahlen zusammenbrach, lief Noguchi gelassen ihrer Bestimmung entgegen.

Also feierten die Menschen auf dem 3000 Kilometer langen Inselreich zwischen Okinawa und Hokkaido wieder einmal in den frühen Morgen hinein; nicht nur auf den Uhren ist Nippon der Welt voraus. Japan hat sich in Griechenland als sportliche Großmacht vorgestellt.

Schon nach der ersten Woche hatten die Abteilungen Judo, Schwimmen und Turnen ihren Delegationschef Kenji Nishima Lügen gestraft, in dessen Planauftrag „25 Medaillen, davon mindestens zehn goldene“ gestanden hatten. Am Montagabend wies die Bilanz 15-mal Gold, achtmal Silber und achtmal Bronze aus. Und Platz drei im Medaillenspiegel.

Wie kann ein Land, das in Sydney noch Rang 15 in der sportlichen Nationenwertung belegt hat, solch einen Riesensprung hinlegen? Japans Wirtschaft kriselt seit zehn Jahren. Ein staatlich verordnetes Sport-Aufrüstungsprogramm, wie es China im Rahmen der Peking-Propaganda 2008 schon länger durchzieht, wäre nicht möglich, dafür gibt es im einstigen Wirtschaftsparadies des Kontinents zu viele soziale und gesellschaftspolitische Probleme.

Seit 2001 steht in Tokio ein Gebäudekomplex namens JISS. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das Japanische Institut für Sportwissenschaft, das sich der Förderung von Traditions- und Hallensportarten unter elitärem Hochleistungsprinzip verschrieben hat. Die japanischen Aus- scheidungskämpfe im Judo etwa waren so streng, dass sich deren Sieger in Narita schon mit dem Selbstbewusstsein in den Flieger setzten, in Griechenland auf keine gleichwertigen Gegner zu treffen – was sie mit acht Goldmedaillen bestätigten.

Dass sich die japanischen Turner gegen die favorisierten Akrobaten aus China und USA durchsetzen konnten, war den sportwissenschaftlichen Planern zu verdanken. Nur drei Tage, nachdem das Athener Organisationskomitee die Turn-Geräte bei einem holländischen Hersteller gekauft hatte, war der identische Parcours in einer Halle des JISS-Instituts aufgebaut. Jeder Griff war dem jungen Naoya Tsukahara, dem Sohn der Legende Takehiro, also vertraut, als es daran ging, die große Mission zu erfüllen. Befremdlich war allein, dass der Vater heulte – offensichtlich hatte er am Gold-Plan gezweifelt.

Sport lohnt sich in Japan. Das sieht man ganz deutlich bei einem Rundgang im Internationalen Pressezentrum. 21 von 102 Büros sind dort von japanischen Zeitungshäusern angemietet, von Yomiuri Shimbun, der mit 20 Millionen Auflage größten Tageszeitung der Welt bis zu kleineren Blättern wie Kumamoto Nishi-Nishi Shimbun. Zum Vergleich haben sich nur vier deutsche Medien beziehungsweise Agenturen dort ein eigenes Büro geleistet.

Martin Hägele[Athen]

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