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Qualen eines Kunstlaufstars. Jewgeni Pluschenko sah nach seiner Qualifikation für das finale EM -Turnier fix und fertig aus. Foto: dapd

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Sport: Die neuen Leiden des alten P.

Jewgeni Pluschenko kämpft bei seinem Comeback in Sheffield mit der jungen Konkurrenz – und seiner Gesundheit.

Früher hat er solche Dreiteiler schwerelos bewältigt. Hier ein Vierfachtoeloop, dort ein Dreifachaxel, danach eine Jubelpose und ein entspanntes Lächeln für das Publikum: Jewgeni Pluschenko war in seinen besten Jahren der gefeierte Überflieger des internationalen Eiskunstlaufs. Der Russe hat die Rolle des erdverbundenen und abgehobenen Stars perfekt gespielt. Lange schien er der Konkurrenz entschwebt. Es war einmal.

In diesem Januar 2012 nimmt der inzwischen 29 Jahre alte Sankt Petersburger noch einmal den Kampf auf gegen die frühreife Jugend. Die Motorpoint Arena von Sheffield bietet dem Olympiasieger von 2006 die Bühne zum Comeback. Comeback? Auf den ersten Blick hat Pluschenko, der 2010 mit dem Gewinn der Silbermedaille bei den Winterspielen von Vancouver scheinbar abgetreten war, seine Rückkehr mit fast derselben Chuzpe wie früher in Angriff genommen. Er, der sich mangels Weltranglistenpunkten am Montag einem Wettstreit mit mediokren Konkurrenten stellen musste, schaffte die Qualifikation für die finalen Prüfungen, Kurzkür am Donnerstag und Kür am Samstag, souverän als Bester.

Wie früher beherrscht der Eiskunstlauf-Millionär, der nach Jahren der Schaulauf-Tingelei schon einmal 2009 als Wettkämpfer zurückkehrte, noch immer die Höchstschwierigkeiten in seinem Sprungrepertoire. Weil er dabei nicht ins Wackeln oder Wanken geriet, war der Mann mit dem dünner werdenden Blondhaar am Ende „ganz stolz“ auf den Sieg über sich selbst.

Mögen auch der russische Eiskunstlaufverband und der russische Ministerpräsident Wladimir Putin als mächtigster Sportfreund des Landes darauf hoffen, dass Pluschenko rechtzeitig zu den Olympischen Spielen von Sotschi 2014 noch einmal zum Ruhm der Nation um die Medaillen mitläuft, so belastet den Athleten selbst die ständige Sorge um seine Gesundheit. Nach der unter Konkurrenzgesichtspunkten für ihn kinderleichten Qualifikationsetappe von Sheffield sah der Altmeister fix und fertig aus.

Der Schweiß perlte nur so über seine Stirn, sein Atem ging schwer, ein Schal schützte seinen verspannten Hals. „Gestern“, sagte Pluschenko nach dem „härtesten Wettkampf meines Lebens, wusste ich noch gar nicht, ob ich hier laufen kann.“ Ihm hatte eine Wirbelblockade zugesetzt, die am Montag mit sechs Spritzen vorerst ein wenig gelöst wurde. „Darüber“, witzelte Pluschenkos Trainer Alexej Mischin, „hat er seine Knieschmerzen gar nicht mehr gespürt.“

Die vom Verschleiß der jahrelang drei- bis vierfach gedrehten Hochweitsprünge überlasteten Knie sind schon mehrfach operiert worden. Dabei ist München, wo Pluschenkos Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu Hause ist, so etwas wie die zweite Heimat des chronischen Patienten geworden. Nach der EM, bei der Pluschenko seinem Leidensdruck zum Trotz zu den Titelkandidaten zählt, muss er wieder unters Messer. Ein Eingriff am linken Meniskus ist überfällig. Weil er weiß, wie fragil es um seine Gesundheit steht, beziffert der schmerzgeplagte Russe seine Teilnahmechancen an der Weltmeisterschaft Ende März in Nizza mit „fünfzig zu fünfzig“.

In Sheffield will der nach Alexej Urmanow, Ilja Kulik und Alexej Jagudin letzte große Russe einer erfolgreichen Kunstläufergeneration den Balanceakt zwischen medizinisch gebotener Vorsicht und sportlich erwünschtem Erfolg möglichst so bestehen, dass er vielleicht sogar zum siebten Mal Europameister wird. Da der Star aber längst auch ein Realist ist, sagt er: „Eine mögliche Niederlage würde mich nicht weiter beunruhigen.“ Es gehe für ihn in dieser Saison vor allem darum, seine konditionellen Rückstände nach einer langen Zeit ohne Wettkampf aufzuarbeiten und dazu wieder heil und gesund zu werden. „Wir wollen lieber morgen die große Torte als heute einen kleinen Kuchen“, beschreibt Pluschenkos Trainer Mischin den langen, dem Vernehmen nach mit viel staatlichem Geld gepflasterten Weg zum Ziel Sotschi. Ob ihn sein Meisterschüler letztlich schafft, ist die Frage.

Fürs Erste muss Pluschenko noch viel leiden, um vielleicht aufs Neue zu siegen. Nach jedem Vierfachsprung habe er das Gefühl, „ins Bein geschossen worden zu sein“, sagte er am Montagabend, als er sich und seine Handicaps überwunden und dem Publikum eine Show geboten hatte, als wäre er noch immer das unantastbare Idol von gestern. Sein Probelauf vor dem Ernstfall am Donnerstag und Samstag brachte Jewgeni Pluschenko aber auch eine tröstliche Erkenntnis: „Wenn ich mit einer Verletzung schon so laufen kann wie heute, werde ich noch viel besser sein, wenn ich gesund bin.“ Wieder ganz der Alte sein zu können, damit erfüllte sich sein größter Traum – größer noch als der vom Olympiagold in Sotschi.

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