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Sport: Die Reifenprüfung

Die Formel 1 wird inzwischen mehr von Taktik geprägt – das bringt viele Überholmanöver und manche Überraschung

Von Christian Hönicke

Mehr und mehr kommt die Belegschaft der Formel 1 zur Einsicht, dass klassische Sichtweisen sich überholt haben. Zum Beispiel die, dass gewinnt, wer den besseren Startplatz hat. „Wir dürfen nicht so viel Augenmerk aufs Qualifying legen“, sagt Mercedes-Pilot Nico Rosberg. Sein Teamkollege Michael Schumacher spricht sogar von einer „Entwertung“ der Qualifikation durch die neue Reifensituation.

Nick Heidfeld war das beim Großen Preis von Spanien nur recht gewesen. Auf einem Kurs, auf dem die Aussicht auf Überholen bis vor kurzem die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Mondlandung untertraf, fuhr der Mönchengladbacher beinahe mühelos vom letzten auf den achten Rang vor. Er war damit hinter dem Sieger Sebastian Vettel im Red Bull so etwas wie der Star von Barcelona. „Das hat extrem viel Spaß gemacht“, sagte Heidfeld später, „noch ein, zwei Runden, und ich hätte auch noch Rosberg gekriegt.“ Ist der immer noch sieglose Nick Heidfeld über Nacht ein Superracer geworden?

Nicht ganz. Der Red Bull Mark Webbers hatte eine ähnliche Aufholjagd bereits in China gezeigt – der Australier war vom 18. Rang auf Platz drei gefahren. Möglich wurde Heidfelds Flug durchs Feld kurioserweise, weil er nach dem Brand an seinem Auto am Samstag dem Feld hinterherfahren musste. So war er nicht nur von allen taktischen Zwängen befreit – er hatte im Reifenduell am Sonntag auch beste Karten. Da er durch sein Malheur tags zuvor nicht fahren konnte, stand ihm im Rennen mehr Frischgummi zur Verfügung: insgesamt sechs neue Reifensätze.

Während die Spitzenpiloten eine Art taktisches Schattenboxen aufführten und nahezu gleichzeitig stoppten, um keinen Platz einzubüßen, konnte Heidfeld seine Strategie optimal an die Halbwertzeiten der Reifen anpassen. Auf diese Weise zog er an einem Fahrer nach dem anderen vorbei.

Der Schlüssel zu einer guten Platzierung ist es nun, die begrenzte Haftung vor allem der weichen Reifenmischung im Rennen optimal einzusetzen. Die Spitzenpiloten stoppten fast alle vier Mal, weil die kurze Standzeit in der Box am Ende weniger schwer wog als das Weiterfahren auf abgenutzten Reifen, das mitunter zwei oder mehr Sekunden pro Runde kosten kann. „Das Schwierige ist, dass du nicht nur gegen deinen Gegner, sondern irgendwie auch gegen dich selbst fährst“, sagte Red Bulls Teamchef Christian Horner. „Weil die Reifen am Ende fertig sein könnten, wenn du sie zu sehr missbrauchst.“ Um einen unverbrauchten Reifensatz mehr im Rennen zu haben, hatten die Red Bulls in der Qualifikation auf eine zweite schnelle Runde verzichtet, Michael Schumacher war im dritten Qualifying-Abschnitt gleich in der Garage geblieben.

Durch die Reifen erklärt sich Horner auch, dass der Vorsprung der Red Bulls auf McLaren von einer Sekunde im Qualifying auf fast null zusammenschmolz: „Wir können auf einer Runde sehr viel aus den Reifen herausholen. Aber im Rennen kann man sie nicht so missbrauchen.“ Je nach unterschiedlichem Frischegrad des Gummis kann selbst das schnellste Auto plötzlich zum Opfer einer heranstürmenden Gurke werden. Dafür spricht auch die große Anzahl der Überholmanöver, die nicht nur Renndirektor Charlie Whiting eher auf die Abnutzung der Reifen zurückführt als auf die verstellbaren Heckflügel.

Gerade im letzten Renndrittel kann nun das komplette Klassement durcheinander gewirbelt werden. „Zwischendurch haben wir sogar über fünf Stopps nachgedacht“, sagte Horner, „aber ich weiß nicht, ob wir noch genug Reifen in der Garage gehabt hätten.“ Vielleicht hätte er einmal bei Nick Heidfeld anklopfen sollen.

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