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Sport: Die richtigen Leute

Beim Schaukampf zwischen Boris Becker und Michael Stich ist es noch einmal so wie in den guten alten Tagen des deutschen Tennis

Von Stefan Hermanns

Berlin. Da ist sie wieder. Eine Stunde hat es gedauert, aber als sie endlich kommt, bricht der Jubel los. Mit Gewalt und Geschick hat Boris Becker einen Ball genau vor die Grundlinie gesetzt, exakt so, dass Michael Stich keine Chance hat, den Schlag zu parieren. 7:5 und 4:2 führt Becker, er verkürzt auf 30:40 gegen seinen aufschlagenden Gegner. Es ist kein entscheidender Punkt, aber es ist ein guter Ball. Becker ballt die Finger seiner rechten Hand und reckt die Faust in die Höhe. Da ist sie, die Becker-Faust.

Manchmal hat man das Gefühl, dass der moderne Mensch in seinen Grundzügen ein bisschen konservativ ist. Vielleicht liegt das daran, dass sich die Zeiten so schnell ändern. Dass die Menschen nach Konstanten suchen. Deswegen gehen sie auf Partys, auf denen die alte Musik aus den Achtzigerjahren läuft, und deswegen sind an diesem Nachmittag 7000 Menschen auf die Anlage des LTTC Rot-Weiß gekommen, um zwei Helden früherer Tage beim Tennisspielen zuzuschauen. Die ARD überträgt diesen sportlich eigentlich unbedeutenden Schaukampf zwischen Boris Becker und Michael Stich sogar live in ihrem ersten Programm. Die US Open, die morgen beginnen und bei denen Thomas Hass an Nummer drei gesetzt ist, werden nicht im Fernsehen gezeigt. Warum wohl?

„Ich hätte nicht gedacht, dass der Zuspruch noch so groß ist“, sagt Boris Becker. Vermutlich ist das ein bisschen Koketterie. Denn Becker und Stich stehen für eine gloriose Vergangenheit. Eine Vergangenheit mit Grand-Slam-Siegen und Erfolgen im Daviscup. Becker und Stich, das sind zwei Protagonisten eines Tennis-Booms in Deutschland, der längst vorbei ist. In den Achtzigerjahren haben die Kinder auf der Straße nicht Basketball gespielt, sondern Tennis. Aber Becker sagt: „Wenn die richtigen Leute auf dem Platz stehen, gibt es immer noch einen Tennis-Boom in Deutschland.“ Die richtigen Leute sind natürlich Becker und Stich.

„Becker und Stich, das ist die Zukunft des deutschen Tennis“, sagt Eberhard Wensky vom LTTC Rot-Weiß. Man könnte einwenden, dass das deutsche Tennis seine Zukunft dann wohl schon hinter sich habe. Stich hat vor fünf Jahren seine Karriere beendet, Becker vor drei. Aber so genau weiß man das bei ihm ja nicht. Wensky hat seine Aussage natürlich anders gemeint. Es geht darum, dass das deutsche Tennis die Strahlkraft seiner alten Helden braucht, um in eine bessere Zukunft zu gelangen. Es geht darum, das deutsche Tennis „einfach mal wieder positiv zu behaften“, wie Stich sagt. Mal nicht über Finanzkrisen reden zu müssen und über Streitigkeiten im Verband. „Die Außendarstellung ist einfach nicht so, wie sie sein sollte“, sagt Stich, der inzwischen Kapitän der Daviscup-Mannschaft ist. Ein bisschen Spaß also soll sein. „Der Sieg war nicht das Wichtigste“, sagt Becker nach seinem 7:5, 6:4-Erfolg. „Das Wichtigste ist, dass wir eine gute Show geboten haben.“

Um 15.15 Uhr betreten Stich und Becker den Platz, Stich ganz in Weiß, ohne Reklameschildchen auf dem Hemd. Es scheint fast, als sei er zu den Wurzeln dieses angeblich weißen Sports zurückgekehrt. Aber diese Nüchternheit steht natürlich in scharfem Kontrast zum ganzen Drumherum der Veranstaltung. Eine Mischung aus Boxkampfstimmung und Fußballfeldflair veranstaltet der Platzsprecher, der früher vermutlich als fliegender Händler in einer Fußgängerzone gearbeitet und Schälmesser, Geschirrsets oder Gemüseschäler angepriesen hat. „Weltklasse“ ist sein Lieblingswort.

Weltklasse sind Becker und Stich schon lange nicht mehr, aber es reicht noch, um die Zuschauer gut zu unterhalten. „Es ist alles ein bisschen langsamer“, sagt Stich. Seit dem Ende seiner Karriere hat er kein richtiges Tennisspiel mehr bestritten. Trotzdem: „Die Technik war da“, sagt Becker über seinen Gegner. Gar „ein Abbild von früheren Zeiten“ will er gesehen haben. Hinterher bietet Becker sogar scherzhaft an, in Stichs Daviscup-Team auszuhelfen: „Wenn er mich aufstellt, spiel’ ich.“ Aber das wird Stich nicht tun. „Wir sollten das den Jungen überlassen“, sagt er. „Die haben es schon schwer genug, uns nachzueifern.“ Manchmal kann die Zukunft nämlich erst beginnen, wenn die Vergangenheit wirklich vergangen ist.

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