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Sport: Die Rückholaktion

Mit der bisher schwersten Reck-Übung überhaupt erobert Fabian Hambüchen wieder den EM-Titel

Fabian Hambüchen flog durch die Luft – und hatte ein unglaublich positives Gefühl. „Das wird gut!“, schoss es dem 19 Jahre alten Turner durch den Kopf. Es wurde gut: Fast vier Meter hoch hatte sich Hambüchen zum Ende seiner Reck-Übung hinauskatapultiert, hatte seinen gestreckten, 1,63 Meter großen Körper je zwei Mal um die beiden Achsen rotieren lassen, um dann wie von einem Magneten angezogen auf der Matte zum Stehen zu kommen. Punktlandung. Dann ballte der Wetzlarer beide Fäuste und stieß sie in die Richtung, aus der er gerade eben eingeflogen war. Er wusste: Das muss der EM-Titel gewesen sein. Es war der Titel.

Und es war eine der spektakulärsten Rückholaktionen der Turn-Geschichte: Seinen EM-Titel am Reck von 2005 hatte Hambüchen im vergangenen Jahr verloren, jetzt hat er ihn wieder. Weil er gestern um 17.10 Uhr im Amsterdamer RAI-Kongresszentrum die schwierigste Reck-Übung durchgeturnt hatte, die bisher ein Mensch im Wettkampf gezeigt hat. A-Note 7,0 Punkte, das war Weltrekord. Und weil Hambüchen bis auf einen kleinen Nachdrücker beim Adlerschwung keinen Fehler in der Kür hatte, hatten Aljaz Pegan (2./Slowenien) und Olympiasieger Igor Cassina (3./Italien) keine Chance.

Weil Hambüchen das wusste, überstand er die elf Minuten und vier weiteren Turner, bis die Entscheidung endgültig feststand, problemlos. An diesem Sonntag kam keiner an seine Leistung heran. „Es war ein Vorteil, dass ich schon als Vierter dran war“, sagte Hambüchen, „da hatte ich wenig Zeit zum Nachdenken – und konnte die anderen unter Druck setzen.“ Es war ein gewisses Risiko gewesen, diese superschwere Übung auszuprobieren, „weil sie noch leicht instabil war“. Andererseits hätte der Hesse mit einer leichteren Kür nicht unbedingt die Chance auf Gold gehabt. „Da gab es nicht mehr viel zu überlegen, ich musste volle Kanne turnen“, sagte er.

Danach war nur noch Freude. Hambüchen umarmte alle, die ihm wichtig sind. Seinen Vater und Trainer Wolfgang, seinen Onkel und psychologischen Berater Bruno, seinen Manager Klaus Kärcher. „Mit der Mehrkampf-Silbermedaille vom Samstag konnte ich lockerer ins Reckfinale gehen“, sagte Hambüchen. Sein Vater sagte: „Das war wieder ein Hammerfinale, das wäre mit einer Sicherheitsübung nicht gegangen.“ Bruno Hambüchen, der Psychologe, sagte nur noch: „Der Junge ist so stark, der braucht fast keine Hilfe mehr.“ Es ist davon auszugehen, dass der Hambüchen-Clan das Abschlussbankett der EM zu einer großen Siegesfeier genutzt hat.

Gefeiert werden durfte aber nicht nur der kleine Vorturner aus Wetzlar. Am Tag der Gerätefinals hatte zuerst Matthias Fahrig aus Halle am Boden die Bronzemedaille gewonnen und danach Oksana Tschussowitina aus Köln am Sprung die Silbermedaille. Zusammen mit Hambüchens Mehrkampf-Silber vom Samstag macht das vier Mal Edelmetall, was es bei Europameisterschaften schon seit 1955 nicht mehr gegeben hat für den Deutschen Turnerbund (DTB). „Wir haben unsere aufsteigende Tendenz mit Medaillen untermauert“, sagte DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam, „insofern war diese EM mehr als eine Durchgangsstation zur WM im September in Stuttgart.“ Und es stimmt, für die deutschen Turner war es der erste Höhepunkt des Jahres.

Jürgen Roos[Amsterdam]

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