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Sport: Die Rückkehr der Vergangenheit

Mike Fenner betrachtet seinen ersten Olympia-Auftritt auch als Demonstration

Am 13. August beginnen die Olympischen Spiele in Athen. Bis dahin stellt der Tagesspiegel deutsche Athleten vor, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Heute: Mike Fenner.

An der fünften Hürde war Mike Fenner wieder in der Vergangenheit. Fenner spürte es nur, als er über diese Hürde rannte, aber Uwe Hakus, der Trainer, sah es. Der Oberkörper lag sehr gut, die Armhaltung war ausgezeichnet, das war der Mike Fenner von früher. „Mensch, so gut wie jetzt bist du ja seit Jahren nicht gelaufen“, brüllte Hakus. Es war ein fast intimer Moment. Hakus und Fenner waren nahezu allein hier im Trainingszentrum Kienbaum, Mitte der Woche. Es war der Moment, in dem Mike Fenner endgültig wusste, dass er alles richtig gemacht hatte.

Er hätte sich ja nicht an der Leiste operieren lassen müssen im vergangenen Jahr. Er war 32, es wäre das passende Alter gewesen zum Aufhören. Aber so wollte er nicht abtreten. Er hatte noch zu viel Spaß am Hürdensprint. Und ein bisschen wollte er es ein paar Leuten auch noch einmal zeigen.

Jetzt läuft er schmerzfrei, zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren. Schmerzen sind nichts Besonderes für Sportler, aber für Fenner ist es ein herausragender Moment. Denn die Schmerzen haben gleich dreimal verhindert, dass er zu Olympischen Spielen durfte. 1992 hatte er einen verletzten Zeh. 1996 plagte ihn eine Bauchmuskelentzündung. Zuvor hatte er die Norm erfüllt. 2000 stoppten ihn Achillessehnenprobleme. Wieder hatte er zuvor die Norm erfüllt..

Aber in Athen startet er, mit 33 Jahren. Und heute, beim Länderkampf in München, auch. Er wird aber nicht allzu schnell laufen, 13,40 Sekunden, wenn’s gut läuft. Fenner muss erst wieder seine Technik finden. Die Schmerzen haben ja seinen Stil verändert. „Man weicht den Schmerzen aus“, sagt er, „man läuft nicht mehr rund.“ Deshalb war die fünfte Hürde so ein wichtiger Moment. Für eine Sekunde war die alte Technik wieder erkennbar. „Wenn alles optimal läuft, sind 13,20 drin“, sagt Fenner. Optimal wäre so ein Auftritt in Athen. Denn 13,20 Sekunden sind durchaus eine gute Zeit.

Nur verbindet man mit Mike Fenner noch eine andere Zeit: 13,06 Sekunden. Für Fenner stehen diese 13,06 für einen grandiosen Rausch. Aber auch für jahrelangen Frust. Und wegen des Frustes will er ein paar Leuten noch was zeigen. 1995 lief Fenner in Scheeßel 13,06 Sekunden, eine absolute Weltklassezeit. Für Fenner ein unbeschreibliches Erlebnis. „Ich bin erst im Ziel wieder aufgewacht.“ Aber Funktionäre ließen die Bahn nachmessen und die Zeitanlage überprüfen. 13,06 das klang zu unglaubhaft. Hakus hatte den Lauf auf Video, er sezierte ihn bis in jede Einzelheit, die Zeit war korrekt. Aber beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) glaubte man sie nicht. Der DLV führte Fenner jahrelang mit einer persönlichen Bestzeit von 13,17 Sekunden. Die Zeitanlage war nicht korrekt, lautete die Begründung. Die gleiche Zeitanlage stand aber kurz darauf bei den deutschen Meisterschaften. Erst nach längerer Zeit akzeptierte der DLV offiziell die 13,06. Aber Fenner wird längst nicht mehr mit der Top-Zeit wahrgenommen. Im Frühjahr rannte er in Cuxhaven. Im Hotel, dort, wo die Teilnehmerlisten aushingen, entdeckte er seinen Namen. Persönliche Bestzeit: 13,17 Sekunden stand hinter „Fenner“. „Vor zwei Jahren hätte ich mit Hand 13,06 drüber geschrieben“, sagt Fenner. In Cuxhaven ließ er es stehen. Er ist müde geworden im Kampf gegen die Vergangenheit. Aber sein Ärger ist zumindest noch so groß, dass er eine gute Zeit zumindest ein wenig auch als Antwort auf die Zweifler betrachtet.

Bis 2006 will der Hallen-Europacupsieger von 2003 noch laufen, dann ist Schluß. Trainer will er werden, beim Deutschen Leichtathletik-Verband, wenn der ihn will. Aber in diesen Gesprächen um Job und Aufgaben möchte er einen bestimmten Satz loswerden, das hat sich Fenner fest vorgenommen. „Zwischen dem Verband und mir“, wird er den Funktionären sagen, „steht doch noch eine ungeklärte Frage.“ Die Frage nach der bedingungslosen Akzeptanz der 13,06. Und wenn sie nicht klein beigeben, die Funktionäre? Würde er dann den Job ablehnen? Fenner zögert. Sein Widerstand wird an diesem Punkt endgültig gebrochen sein, ganz offiziell, das wird nun klar. „Nein“, sagt er mit fast weicher Stimme, „das würde ich denn doch nicht machen.“ Aber er hat ja noch die Erinnerung ans eigene Glücksgefühl. „Den Rausch zumindest“, sagt er, „kann mir keiner mehr nehmen.“

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