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Sport: Die Schattenfrau

Nadine Kleinert hat olympisches Silber im Kugelstoßen gewonnen – trotzdem beachten sie wenige

Berlin - Irgendjemand wird am Sonntag um 16 Uhr 18 im Olympiastadion die Nationalhymne singen, das weiß Nadine Kleinert. Sie hat vergessen, wer singen wird, es ist ihr aber auch nicht wirklich wichtig. Wichtig ist die Atmosphäre: Viele tausend Zuschauer beim Internationalen Stadion-Sportfest (Istaf) im Olympiastadion, erhabene Stille, sie auf dem Siegespodest und ihr Gesicht groß auf der Anzeigentafel, dann Kameraschwenk zu den beiden Medaillen um ihren Hals. So wird es kommen, sie glaubt fest daran. Nadine Kleinert, Kugelstoßerin, Olympiazweite von Athen, in den Mittelpunkt des Interesses gezoomt. Einmal, für ein paar Sekunden. Sie blickt schon genießerisch, wenn sie davon erzählt.

So wird es natürlich nicht kommen, nicht so verklärt, wie Kleinert sich das vorstellt. Sie wird die Silbermedaille erhalten, das schon, weil sie nachträglich auf Platz zwei bei Olympia gerückt ist. Eigentlich hatte sie nur Bronze gewonnen, aber die Russin Irina Korschanenko, die Olympiasiegerin, flog als Dopingsünderin auf, und deshalb ist jetzt Nadine Kleinert aus Magdeburg Olympiazweite. Am Sonntag endlich wird ihr diese Silbermedaille feierlich überreicht. Und um 16 Uhr 18 bekommt Nadine Kleinert auch noch Bronze für Platz drei bei der Hallen-WM 2004. Eigentlich war sie da nur Vierte geworden, aber damals war Viktoria Pawlysch aus der Ukraine, die Siegerin, positiv getestet worden. Also rückte Kleinert nach.

Das ist ihre Rolle, die Nachrückerin. Irgendjemand fällt aus, eine Siegerin, eine Bessere, und aus ihrem Schatten tritt Nadine Kleinert. So wird sie wahrgenommen. In Athen trat sie endlich aus dem Schatten von Astrid Kumbernuss, der dreimaligen Weltmeisterin. Die war verletzt, Kleinert gewann das Edelmetall, das eigentlich Kumbernuss abgeräumt hätte.

Es ist eine undankbare Rolle, und Nadine Kleinert hält nicht lange durch bei ihrem Versuch, sich diese Rolle schönzureden. „Ich mache mir keinen Kopf über gedopte Konkurrentinnen. Meine Motivation ist es, irgendwann im Wettkampf weiter als 20 Meter zu stoßen“, sagt Kleinert. Ihre Bestmarke steht bei 19,86 m.

Dann fällt ihr wieder ein, wie ARD und ZDF sie in Athen behandelten. Sie, die erste Medaillengewinnerin der deutschen Leichtathleten. Ihr Bronze hatte etwas Befreiendes, weil die Fans sehnsüchtig auf Medaillen warteten. Aber ins Studio von ARD und ZDF durfte sie nicht. Sie wurde schlicht nicht angefordert. „Ich bin die einzige deutsche Medaillengewinnerin, die in Athen in keinem Fernsehstudio auftauchte“, sagt sie. „Das war schon ein Wermutstropfen.“

Und deshalb darf man von ihr auch nicht erwarten, dass sie ihre Sportart jetzt populärer macht. Das hat Kumbernuss nicht geschafft, und die zweimalige Vize-Weltmeisterin Kleinert hat es erst recht nicht erreicht. Die 28-Jährige wird jetzt anständig bezahlt, das ist schön für sie. Fürs deutsche Kugelstoßen der Frauen bedeutet dies nichts.

Nadine Kleinert darf im Istaf ja ohnehin nur auftreten, weil die Meeting-Verantwortlichen den Fans die beiden einzigen deutschen Medaillengewinner zeigen wollen. Deshalb wirft auch Steffi Nerius den Speer. Eine Golden-League-Disziplin ist Kugelstoßen der Frauen nicht. Stattdessen hört es sich fast schon peinlich anbiedernd an, wenn Nadine Kleinert über ihre Disziplin redet. „Wir sind in der Stadionkurve, wir stören da keinen“, sagt sie. „Aber wir sind deshalb auch unbeachtet. Die Stadionsprecher müssen auf uns aufmerksam machen.“

Und am Sonntag wird die Nationalhymne ja nicht mal wegen ihr gespielt. Auf dem Podest stehen noch vier andere Frauen. Die 4 x 100-m-Staffel erhält nachträglich WM-Gold von 2001, weil in der siegreichen US-Staffel die gedopte Kelli White mitgelaufen war. Und deshalb steht Nadine Kleinert selbst auf dem Siegerpodest doch auch wieder im Schatten.

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