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Geh du voran. Die Feldspieler von Hertha BSC waren ganz froh, dass Torhüter Oliver Christensen die Delegation beim Gang in die Kurve anführte.

© imago/Matthias Koch

Die Schlüsse aus dem Debakel gegen Wolfsburg: Hertha BSC mangelt es an Widerstandskraft

Die Situation bei Hertha BSC hat sich schon nach zwei Spielen im neuen Jahr dramatisch zugespitzt. Im Moment gibt es wenig, was Hoffnung auf Besserung verheißt.

Kurz vor Feierabend bewiesen die Spieler von Hertha BSC wenigstens einmal ein exzellentes Gespür für die Situation. Sie erkannten die Gefahr, die ihnen drohte. Und sie trafen instinktiv die richtige Entscheidung, dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen.

Beim Gang in die Kurve überließen die Feldspieler ihrem Torhüter den Vortritt. Oliver Christensen also ging voran, der Rest folgte in gebührendem Abstand. Wütende Stille schlug Herthas Mannschaft entgegen, aber auch ein paar „Oli-ver Chris-ten-sen!“-Rufe. Es hätte schlimmer kommen können.

Dass es schlimmer hätte kommen können, ließ sich von den 90 Spielminuten zuvor nicht behaupten. „Die erste Hälfte war das Schlechteste, was wir diese Saison gesehen haben“, sagte Fredi Bobic, der Geschäftsführer Sport des Berliner Fußball-Bundesligisten. „Das war unterirdisch.“

0:5 hieß es am Ende gegen den VfL Wolfsburg, der mit einem leichtfüßigen Auftritt gegen die schwerfälligen Berliner seinen Ruf untermauert hatte, aktuell die formstärkste Mannschaft der Liga zu sein.

Bild des Schreckens. Das 0:5 gegen Wolfsburg war Herthas höchste Saisonniederlage.
Bild des Schreckens. Das 0:5 gegen Wolfsburg war Herthas höchste Saisonniederlage.

© imago/Nordphoto / IMAGO/Juergen Engler

Für Hertha gilt im Moment das exakte Gegenteil. „Das ist ein Schlag in die Fresse, aber richtig“, sagte Trainer Sandro Schwarz. „Wir haben einen beschissenen Start hingelegt.“ Zwei Spiele hat sein Team in diesem Jahr hinter sich. Die Bilanz fällt mit null Punkten und 1:8 Toren gruselig aus. Dass Hertha auf den schon abgeschlagenen Tabellenletzten Schalke ein Tor gut gemacht hat, ist das einzig Positive, allerdings auch nur mit sehr, sehr, sehr viel gutem Willen.

Vor einer Woche war das noch anders: Da schwankte die Stimmung bei Hertha und um Hertha herum zwischen Zuversicht und Euphorie. Es basierte, wie sich inzwischen, herausgestellt hat auf einer gefährlichen Verkennung der Realität.

Das ist ein Schlag in die Fresse, aber richtig.

Sandro Schwarz, Trainer von Hertha BSC

Mit 14 Punkten beendet Hertha die Hinrunde auf dem vorletzten Tabellenplatz. Nicht gut sei das, sagte Trainer Schwarz. Was noch freundlich formuliert war.

Schlechter stand der Klub zum gleichen Zeitpunkt zuletzt 2009 da. Damals war die Mannschaft mit nur sechs Punkten bereits zur Hälfte der Saison hoffnungslos abgeschlagen. Doch selbst im vergangenen Jahr, als Hertha erst in der Relegation den Klassenerhalt sicherstellte, war die Lage im Winter nicht annähernd so dramatisch. Sieben Punkte mehr hatte das Team damals.

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Punkte mehr hatte Hertha vor einem Jahr nach der Hinrunde

Abgesehen vom Punktestand lassen sich erstaunliche Parallelen feststellen. Auch vor einem Jahr hatte sich Hertha mit einem Sieg (3:2 gegen Dortmund) und einem guten Gefühl in die Winterpause verabschiedet. Auch vor einem Jahr ging das erste Spiel verloren (1:3 gegen Köln). Auch vor einem Jahr folgte das Duell gegen den VfL Wolfsburg und danach, wenn auch im Pokal, das Derby gegen Union.

In jenem Spiel ist einiges gekippt. Das könnte bei einer Niederlage gegen den Lokalrivalen aus dem Südosten der Stadt auch am Samstag wieder der Fall sein. Mit Blick auf das Derby fiel die Reaktion der Fans bei der Blamage gegen Wolfsburg noch einigermaßen gemäßigt aus. Es gab zwar zwischenzeitlich einige Pfiffe, aber auch Anfeuerungen in der zweiten Hälfte, als die Mannschaft trotz aussichtslosen Spielstands wenigstens Leidenschaft entwickelte.

Das Problem ist die Qualität des Kaders

„Du siehst, dass die Leute direkt dabei sind, wenn du in die Zweikämpfe reingehst. Das brauchen wir“, sagte Schwarz. Das Publikum hat sich nach den Veränderungen an der Vereinsspitze im vergangenen Sommer bisher ohnehin erstaunlich nachsichtig gezeigt. Die Stimmung passt nicht recht zur Lage; so wie ja angeblich die Punktausbeute auch nicht zur Leistung passt.

Es ist eine Haltung, die möglicherweise Teil des Problems ist. Schwarz und Bobic haben zwar vehement der Ansicht widersprochen, dass Hertha die Situation unterschätze, aber sie verweisen eben auch weiterhin immer wieder auf die gute B-Note, die im Fußball aber leider nicht in die Wertung einfließt.

Die Mannschaft habe schon gezeigt, dass sie es könne. Aber selbst bei guten Auftritten hat sie nur in Einzelfällen gepunktet. Von 18 Pflichtspielen unter Schwarz hat Hertha ganze drei gewonnen. Trotzdem wird der Trainer – zu Recht – vereinsintern nicht in Frage gestellt. „Er steht nicht ansatzweise zur Disposition“, sagte Bobic. „Das Vertrauen ist riesig.“

Niederlechner ist wieder fit

Das Problem ist nicht der Trainer, das Problem ist die Qualität des Kaders, mit der Schwarz zurechtkommen muss. Zu viele Spieler dematerialisieren sich, wenn es knifflig wird. Eine stabile Hierarchie im Team der Namenlosen gibt es weiterhin nicht. Einziger Anführer ist und bleibt der bald 36 Jahre alte Kevin-Prince Boateng, der aber auf dem Platz nicht hilft, sondern allenfalls von der Bank oder in der Pause den Animateur geben kann.

Es ist bezeichnend, dass die Fans ihre Hoffnung nun auf Florian Niederlechner setzen, die einzige Verpflichtung dieses Winters. Der Stürmer ist 32 und kommt vom FC Augsburg. Am Mittwoch stand er erstmals mit der Mannschaft auf dem Trainingsplatz, nachdem er zuletzt mit muskulären Problemen ausgefallen war. Schon am Samstag im Derby könnte er zumindest im Kader stehen.

Niederlechner soll die Mentalität einbringen, die dem Team zu oft fehlt. Die Mannschaft ist nicht in der Lage, die Dinge eigenverantwortlich zu regeln. Das hat sich sowohl in Bochum gezeigt als auch gegen Wolfsburg. Erst nach Intervention des Trainers in der Pause wurde es besser. „Wir waren schon weiter, wie wir mit einzelnen Widerständen im Spiel umgehen“, sagte Schwarz. „Wir haben den Zugriff und dann auch den Kopf verloren.“

Das Spiel gegen Wolfsburg war bereits das fünfte in dieser Saison, in dem Hertha zwischenzeitlich mit drei Toren zurücklag. Bei den anderen vier konnte die Mannschaft den Spielstand zumindest noch etwas freundlicher gestalten; gegen Wolfsburg aber setzte es erstmals eine richtige Klatsche. Und das ausgerechnet direkt vor dem Derby.

„Ich weiß, was in den nächsten drei Tagen passiert: ,O, Gott, jetzt ist das Stadtderby. Was passiert, wenn das verloren geht?‘“, sagte Trainer Schwarz. Mit solchen Szenarien sollten seine Spieler sich daher gar nicht erst beschäftigen. „Du darfst nicht in Mitleid verfallen, sondern musst dagegen ankämpfen. Im Spiel gibt es immer die Möglichkeit, sich in vielen kleinen Teilbereichen ein gutes Gefühl zu holen. Das ist der Auftrag für Samstag und die anderen Spiele.“

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