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Sport: Die Schwerkraft bleibt gerecht

Alle Nationen patzen im Teamfinale der Turn-WM schwer – sogar der neue Weltmeister China

Dass die Gesetze der Schwerkraft für alle gleich gelten, ist mehr als Glück. Es ist Physik. Jeder Turner wird gleich stark von der Erde angezogen, weshalb diese Kraft im Turnen sogar moralische Bedeutung besitzt, indem sie für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt. Wie jetzt beim Teamfinale der Turn-Weltmeisterschaften im dänischen Aarhus geschehen: Fabian Hambüchen (Wetzlar) und Philipp Boy (Cottbus) fielen vom Reck – sie teilten damit das Schicksal des japanischen Weltmeisters Hiroyuki Tomita. Ferner fanden sich unter den bedauernswerten Opfern folgende Weltklasseturner: Kai Zou (China), Dimitri Gogotow (Russland) und Dorin Selariu (Rumänien), ebenfalls am Reck. Dazu kam der Japaner Tomita, der am Boden wie einige andere Mühe hatte, seinen Körper in die richtige Rotationsachse zu befördern. Dass Wei Yang (China) das Pauschenpferd verlassen musste, hatte ebenfalls physikalische Gründe.

Die Welt der Schwerkraft hat in Aarhus erneut dafür gesorgt, dass keiner abhebt – und China am Ende wieder Weltmeister war. Das hatte etwas Beruhigendes. „Es sind alles keine Maschinen, ob Chinesen, Japaner oder Deutsche“, sagte Wolfgang Hambüchen, Trainer und Vater des besten deutschen Gymnasten Fabian Hambüchen, der nach der Qualifikation schon zum zweiten Mal unliebsame Erfahrungen mit dem freien Flug machen musste. Interessant war es trotzdem zu sehen, wie die Turner aus China trotz zwei schweren und vier leichten Patzern nahezu ungefährdet ihren WM-Titel verteidigten. „Wir sind glücklich, dass wir hier Weltmeister geworden sind“, sagte Wei Yang, „aber unser großes Ziel ist es, bei den Spielen 2008 in Peking zu gewinnen.“

Für die chinesischen Turner haben die Spiele in Peking zusätzliche Bedeutung. 2004 in Athen waren sie überraschend auf Platz fünf abgestürzt und mussten die Goldmedaille ausgerechnet dem Rivalen aus Japan überlassen. Dass dieses Mannschaftsgold 2008 nicht aus dem Ausrichterland gegeben wird, daran zweifelt kein Experte. „Die Chinesen haben ein unglaubliches Reservoir an Athleten – und dank ihres Staatssystems freien Zugriff auf diese Leute“, sagt Wolfgang Hambüchen. Zu beobachten ist allerdings auch, dass das chinesische System mit Blick auf Olympia effektiver geworden ist. Und offener. Das koreanische Sponsorengeld wird vermutlich gut angelegt.

Am ehesten wird es noch Russland zugetraut, den Chinesen mittelfristig die Spitzenposition streitig zu machen. „Wer sagt, dass China unschlagbar ist?“, fragte der russische Cheftrainer Andrej Rodionenko, nachdem seine Turner in Aarhus Silber geholt und Olympiasieger Japan hinter sich gelassen hatten. Schon aus Rodionenkos Körperhaltung war ersichtlich, dass in Russland neues Selbstbewusstsein herrscht, seit Präsident Wladimir Putin den Sport zu einer Art Staatsziel erklärt hat. „Unser Trainingssystem ist dem in der UdSSR nicht unähnlich“, sagt Rodionenko. Einen Unterschied gibt es: Inzwischen profitieren auch die russischen Turner von Sponsoren, die Wneschtorg-Bank soll den Sport neuerdings mit Millionen fördern.

Vor diesem Hintergrund war es stark, dass die Riege des Deutschen Turner-Bundes (DTB) bis zum doppelten Absturz am Reck in Reichweite von Rang vier lag. Platz sieben war am Ende immer noch ein Platz besser als im Olympia-Finale 2004.

Jürgen Roos[Aarhus]

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