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Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 2:0

© dpa

Die Stimmung im Klub: Nie war Hertha dem Titel so nah

Kaum einer im Verein mag es aussprechen, aber alle denken es: In der jüngeren Vergangenheit war Hertha BSC der Deutschen Meisterschaft noch nie so nah wie jetzt.

Dieter Hoeneß versuchte sich daran, die allgemeine Erregtheit nach dem Sieg über Bochum herunterzumoderieren. Herthas Manager gab sich nach dem umjubelten 2:0 im Olympiastadion betont kontrolliert: Mit ernstem Gesicht überlegte länger als sonst, bevor er auf Fragen antwortete. Doch so gänzlich gelang ihm das Schauspiel nicht. Immer mal wieder huschte dem 56-Jährigen ein verschmitztes Lächeln durchs Gesicht. Auf die Frage, ob die mehr als 70 000 Stadionbesucher gegen einen Abstiegskandidaten im ansonsten chronisch unterbesetzten Olympiastadion nicht für Herthas Meisterschaftsambitionen sprächen, antwortete Hoeneß gaghaft: „Wir haben ja auch noch nie zu einem solchen späten Saisonzeitpunkt gegen Bochum gespielt.“

Eigentlich hätte Dieter Hoeneß es besser wissen müssen. Seit 13 Jahren werkelt er an Hertha BSC herum, und noch nie war der Klub der Meisterschaft so nah. Nach der Niederlage Wolfsburgs sind die Berliner drei Spieltage vor dem Saisonende bis auf einen Punkt an den Tabellenführer herangerutscht. Doch in der Führungsetage des Vereins meidet jeder das Wort Meisterschaft – so gut es eben geht.

Die Vergangenheit wiegt eben schwer. Hertha hatte in den vergangenen Jahrzehnten oft von einer großen Zukunft geredet, selten aber etwas damit zu tun gehabt. Und auch jetzt, da Hertha gefährlich auf den Titel zusteuert, verbiegen sich die Chefs. Man könnte meinen, es sei ein interner Wettbewerb ausgebrochen, wer am längsten das mögliche Unmögliche umschiffen kann. Etwa der formidable Trainer Lucien Favre. Es ist schon fast bemitleidenswert, wie sehr sich der Schweizer Trainer gegen das M-Wort stemmt. „Unser Ziel bleibt, um einen Uefa-Cup-Platz zu kämpfen“, sagt Favre. Nur hören will das niemand mehr. Denn die Aussichten der Berliner sind geradezu grandios.

Natürlich liegt das auch an der Konkurrenz. Wolfsburg verlor das erste von vier Endspielen. Am Dienstag duelliert sich der VfL mit den erstarkten Dortmundern. Die Bayern, punktgleich mit Wolfsburg, erwarten Leverkusen, müssen dann nach Hoffenheim und treten am letzten Spieltag gegen den VfB Stuttgart an, der sich selbst noch Chancen ausrechnet. Hertha dagegen hat ein vergleichsweise machbares Restprogramm: Am Dienstag spielen die Berliner bei geschwächten Kölnern (unter anderem wird Erfolgsstürmer Novakovic fehlen), danach kommt Schalke ins ausverkaufte Olympiastadion und am letzten Spieltag gastiert Hertha bei den dann wohl schon abgestiegenen Karlsruhern. „Ich glaube, dass sowohl Wolfsburg als auch Bayern nicht alle drei Spiele gewinnen“, sagte Hoeneß, der offenbar lieber über die Chancen der anderen spricht als über die eigenen. So kann man sich auch selbst zügeln.

Am Größten ist die Zurückhaltung von Lucien Favre. Hat der Trainer etwa Angst vor der eigenen Courage? Man darf Favre zugutehalten, dass seine Mannschaft nur um Details besser ist als der jeweilige Gegner. Das sieht oft nicht besonders glanzvoll aus, ist aber eine hohe Qualität. Und so ist es nicht der spielerische Glanz Herthas, der die Leute in Massen anzieht. Gegen den Abstiegskandidaten aus Bochum waren es zwei Kontertore, die im eigenen Stadion die Entscheidung brachten. Auch gegen Bochum waren es zunächst nicht die Spielzüge des eigenen Teams, die beklatscht wurden, sondern die Stuttgarter Tore gegen Wolfsburg. Es ist eben die Aussicht auf etwas Großes, welche die Menschen neugierig macht. Seit Samstag sind die Aussichten wieder ein Stückchen gewachsen. Drei Spieltage vor Schluss ist Hertha der Meister der Möglichkeiten.

Noch im März, als Hertha die Tabelle sogar mit vier Punkten anführte, konnte Herthas junge Mannschaft noch nicht mit der Erwartungshaltung rings um den Verein umgehen. Drei Spiele in Folge gingen verloren und mit ihnen die Tabellenspitze. Doch die Mannschaft zeigte eine gute Reaktion, sie holte gegen Bremen, Hoffenheim und Hamburg sieben Punkte. Jetzt wirkt es, als sei die Mannschaft gereift. Einige Spieler sogar, allen voran Josip Simunic, haben längst einen ziemlich normalen Umgang mit den Möglichkeiten gefunden. „Meister – warum nicht“, sagte der überragende Innenverteidiger. „Jetzt geht es nur noch um Alles oder Nichts.“

Auch Dieter Hoeneß wird schon einmal heimlich hochgerechnet haben, alles andere widerspräche seinem Naturell. Er hat ja momentan einige Probleme im eigenen Hertha-Haus, aber große Aussichten lässt sich einer wie er nicht vermiesen. „Bei drei Siegen wird man es haben“, sagte Hoeneß. Im Unterschied zu anderen habe er keine Probleme, das Wort Meisterschaft auszusprechen. „Ich habe es ja schon oft genug in den Mund genommen.“ Das erste Mal im August 2001. „Jetzt werde ich es aber nur dann sagen, wenn wir es brauchen.“ Gut möglich, dass Hertha am Ende ein Meister aus Versehen wird, ein Meister, der dieses Ziel nie hatte. Aber das mag Dieter Hoeneß nun auch wieder nicht. „Wir wollen das Maximale“, sagt er beherzt. Es hört sich ein bisschen nach Meisterschaft an.

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