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Sport: Die Unverfrorenen

Von Stefan Hermanns Seoul. Die überraschendste Wortmeldung kam an diesem Vormittag vom Reporter der BBC aus London: Er sprach gleich im n der gesamten englischen Presse und äußerte sein „aufrichtiges Bedauern über manche negative Schlagzeile“ in den Zeitungen seines Heimatlandes.

Von Stefan Hermanns

Seoul. Die überraschendste Wortmeldung kam an diesem Vormittag vom Reporter der BBC aus London: Er sprach gleich im n der gesamten englischen Presse und äußerte sein „aufrichtiges Bedauern über manche negative Schlagzeile“ in den Zeitungen seines Heimatlandes. Ihm persönlich nämlich habe der Fußball der deutschen Nationalmannschaft durchaus gut gefallen, und das Team habe daher auch zurecht das Finale der Weltmeisterschaft erreicht. Nach dieser kleinen staatsmännischen Einleitung stellte der englische Reporter dann auch noch eine profane Frage an Dietmar Hamann.

Aber man muss sich das mal vorstellen: Da gibt sich ein englischer Journalist vor laufenden Kameras und damit vor der gesamten Weltöffentlichkeit als Freund des deutschen Fußballs zu erkennen. Das ist ungefähr so, als würde der amerikanische Präsident seine Vorliebe für den Kommunismus offenbaren. Vermutlich vertritt der BBC-Reporter in seinem Land nur eine Minderheitenmeinung, vermutlich hat der „Daily Telegraph“ die Volksstimmung besser getroffen, der dem Auftreten der deutschen Fußballer „pulsstillende Funktionalität“ bescheinigt hat: „Die deutschen Roboter marschieren weiter." Dietmar Hamann, der in England beim FC Liverpool arbeitet, findet solche Sätze „zum Teil etwas amüsant". Sie sollen eigentlich beleidigend sein, doch für Hamann sind sie eher „eine Bestätigung unserer Leistung und unserer Erfolge“, und „besser als Mitleid“ sind sie sowieso.

Es ist ja ohnehin die Frage, ob die Wahrheit überhaupt beleidigend sein kann. Pulsstillende Funktionalität? Wieso nicht? „Es konnte doch niemand erwarten, dass wir die Gegner einfach an die Wand spielen“, lautet die Standardantwort von Teamchef Rudi Völler, wenn seiner Mannschaft wieder einmal mangelnde spielerische Genialität vorgeworfen wird. Es konnte vielleicht auch niemand erwarten, dass die Deutschen trotzdem ins Finale einziehen. Aber jetzt ist es passiert. Zufall, sagen die Anhänger des ästhetisch anspruchsvollen Spiels. In Wirklichkeit aber ist seit Argentinien bei der WM 1990 keine Mannschaft mit einer größeren Unverfrorenheit und Berechnung in ein WM-Finale eingezogen als diese Deutschen. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Argentinier 1990 in Italien der amtierende Weltmeister waren, dass sie einen Maradona und auch sonst noch ein paar erfahrene Spieler in ihren Reihen hatten; die Deutschen hingegen sollten eigentlich erst in vier Jahren, bei der WM im eigenen Land, da sein, wo sie schon jetzt stehen. Dietmar Hamann sagt über das aktuelle deutsche Team, es wolle in die Geschichte eingehen als die Mannschaft, „die alles aus ihren Möglichkeiten gemacht hat". So viel zum Thema Bescheidenheit.

Kurz vor der WM haben sich die Leute in Deutschland Sorgen gemacht, dass es vielleicht nicht vorteilhaft sei, so viele Leverkusener mit nach Japan und Südkorea zu nehmen. Bayer Leverkusen hat in dieser Saison drei Titel verspielt. Kein Problem, hat Bernd Schneider gesagt, „wir Leverkusener sind der Garant für den Vize bei der WM, und im Endspiel müssen die anderen dann ein bisschen mehr tun". Manchmal sind die besten Witze die, die gar keine sind.

Inzwischen hat es immer mehr den Anschein, dass die Spieler wirklich von Anfang an an ihre Chance geglaubt haben. Michael Ballack fehlt im Finale? „Da springen halt andere ein“, sagt Ballack. Genauso unaufgeregt haben sich die Deutschen auf dem Rasen präsentiert. Sie sind mit der Überzeugung an die Arbeit gegangen, dass sie immer ein Tor schießen können und dass sie damit schon so gut wie sicher gewonnen haben – weil hinter ihnen Oliver Kahn steht und alles hält, was niemand sonst hält.

Es ist nicht einfach, bei den Deutschen Euphorie oder freudige Erwartung zu entdecken. Als Oliver Kahn zu seinen brasilianischen Widersachern Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho angesprochen wurde, auf die er am Sonntag trifft, antwortete er, das sei nichts Besonderes für ihn, „das bin ich gewohnt“, schließlich spielt Kahn mit dem FC Bayern München im Wochenrhythmus gegen die besten Mannschaften Europas. Dietmar Hamann erledigte seine Auskunftspflichten mit ausdruckslosem Einheitsgesicht. Nur als er danach gefragt wurde, wie es wohl wäre, mit der Goldmedaille des Weltmeisters nach Liverpool zurückzukehren und Hamann davon sprach, dass er den WM-Titel über jede Meisterschaft stelle – da geschah etwas Sonderbares. Sein Gesicht fing an zu leuchten, die Augen strahlten. Vermutlich hat Hamann das gar nicht gewollt. Es ist einfach so über ihn gekommen.

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