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Sport: Die Vergangenheit eingeholt

Russland ist wieder oben angekommen im Eishockey

Um ihn herum hüpften NHL-Millionäre wie kleine Kinder über das Eis, tanzten im Kreis herum oder warfen sich mit voller Wucht gegen die Plexiglasscheibe. Nur Wjatscheslaw Bykow wirkte, als gehörte er gar nicht dazu. Ein Lächeln, ein kurzes Winken mit der Goldmedaille – mehr Emotionen zeigte er nicht. Der Trainer des neuen Eishockey-Weltmeisters genoss still. Vermutlich dachte er zurück an die Zeit vor 15 Jahren, als er selbst als Spieler im Zentrum des Jubels gestanden hatte. Damals in München hatte der Weltklassestürmer auf dem Eis mitgeholfen, Gold für Russland zu gewinnen. Seitdem lief die Auswahl immer den Erfolgen der Vergangenheit hinterher. „15 Jahre sind eine lange Zeit“, sagte der 47-jährige Bykow nach dem 5:4-Triumph im Finale von Quebec gegen den alten Rivalen Kanada. „Dieser Sieg war längst fällig.“

Der neunte Sieg im neunten WM-Spiel krönte den Auftritt der Russen, die im ausverkauften Colisee von mehreren tausend Landsleuten frenetisch gefeiert wurden. Stürmerstar Alexander Owetschkin ahnte da schon, was der Erfolg trotz nächtlicher Stunde in der Heimat auslösen würde. „Das ganze Land wird betrunken sein – und wir auch“, kündigte der Profi der Washington Capitals an.

Dass Bykow im zweiten Jahr als Nationaltrainer ausgerechnet in der Hauptstadt des frankophonen Kanada triumphierte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Quebec ist die Stadt, in der der einstige Stürmer von ZSKA Moskau in der National Hockey League (NHL) hätte spielen sollen. 1989 sicherten sich die Nordiques die Rechte an ihm, doch Bykow ging nie in die stärkste Eishockey-Liga der Welt, sondern verdiente lieber sein Geld in der Schweiz. Welchen Anteil Bykow am 24. WM-Gold hatte, erkannte auch sein Kontrahent Ken Hitchcock. „Diese Mannschaft hat nicht nur exzellente Spieler, sie ist auch sehr gut trainiert und eingestellt“, sagte der Coach der Kanadier.

Ausgerechnet Bykow, der damals nicht nach Quebec kommen wollte, verdarb also die große kanadische Eishockey-Party. Viele der 13 339 Zuschauer im Colisee zogen nach dem Siegtor von Ilja Kowaltschuk nach 2:42 Minuten in der Verlängerung enttäuscht von dannen, doch die kanadischen Fans könnten bald wieder eine WM erleben. Die Premiere im Eishockey-Mutterland übertraf die Erwartungen. 477 040 Zuschauer sorgten für den drittbesten Besuch in der WM-Geschichte. Kanadas Verbandschef Bob Nicholson sagte: „Wir werden uns bemühten, die WM wieder zu bekommen, 2016 wäre ein guter Zeitpunkt.“ Ob Wjatscheslaw Bykow dann noch die russische Nationalmannschaft trainiert, ist fraglich. Doch er wird bestimmt mit einem Lächeln an 2008 zurückdenken.

Jörg Timm[Quebec City]

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