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Sport: Die wahren Unabsteigbaren

In 18 Tagen durch die Liga (8) – die Serie zum Saisonbeginn im Fußball / Heute: Hamburger SV

Die neue Saison der Fußball-Bundesliga beginnt am 9. August. Anhand von zehn Fragen stellen wir bis dahin alle 18 Vereine vor.

Wer hat das Sagen? Das weiß man beim HSV selbst nicht so genau. Werner Hackmann, Hamburgs einstiger Innensenator, ist als Vorstandsvorsitzender in einen Machtkampf verstrickt. Sein Hauptwidersacher ist Udo Bandow, Chef des Aufsichtsrates. Es geht in erster Linie um Personalentscheidungen. Uneinigkeit herrschte schon bei der Entlassung von Trainer Frank Pagelsdorf. Seither knistert’s im Gebälk. Der eine will Holger Hieronymus als Sportlichen Leiter unbedingt halten, der andere nicht. Der eine macht sich gemeinsam mit Trainer Kurt Jara für die Verpflichtung des 32-jährigen Ciriaco Sforza stark, der andere verhöhnt solche Ideen. Der eine will Ex-Profi Dietmar Beiersdorfer als neuen Sportlichen Leiter bestellen, der andere erfährt von derlei Überlegungen nur aus der Zeitung. Hackmanns Vertrag beim HSV läuft im Sommer aus, gestern sollte der Aufsichtsrat über ein Verlängerung entscheiden. Doch das Gremium entschied – erst einmal überhaupt nichts. In der Winterpause will man sich erneut mit dem Thema beschäftigen. Kann Chaos perfekter inszeniert werden?

Was ist das Besondere? Die Fußball-Bundesliga geht in ihre 40. Saison. Und als einziger Klub ist der HSV von Beginn an ununterbrochen dabei. Die Unabsteigbaren werden sie genannt. Auf Fan-Schals loben sie sich selbst, „HSV - der Dino der Liga“, steht auf dem schwarz-weiß-blauen Wollutensil. Und dann ist da noch eine Tradition, die sich auf n stützt: Angefangen bei Tull Harder über Uwe Seeler bis hin zu Kevin Keegan und Horst Hrubesch – das sind die Helden in Hamburg, die jeder Steppke kennt. Ebenso wie die großen Trainer Branco Zebec und Ernst Happel, die den HSV zum Deutschen Meister machten. Der wortkarge Happel holte mit dem HSV 1983 in Athen sogar mal den Europapokal der Meister: 1:0 gegen Juventus Turin. Happel, längst verstorben, wird von den HSV-Fans seither so verehrt, dass sie ihn am liebsten am schmucken Rathausmarkt mit einem Denkmal verewigt sehen möchten.

Was hat sich verbessert? Platz 11 zuletzt und Platz 13 im Jahr davor, das hält der HSV – nach unten hin! – nicht mehr für steigerungsfähig. Es kann, es soll und es muss wieder aufwärts gehen. Nach Jahren ungebremster Einkaufspolitik unter Trainer Frank Pagelsdorf, als im Spielerkader ein ähnliches Kommen und Gehen herrschte wie bei Aldi kurz vor dem Ladenschluss an der Kasse, hat Trainer Kurt Jara jetzt im überschaubaren Rahmen sehr gezielt und obendrein preiswert eingekauft. Über 50 neue Spieler wurden in der Ära Pagelsdorf beim HSV durch den Kader geschleust, ein Rekord der traurigen Sorte – vor allem, wenn man bedenkt, was dabei herausgekommen ist.

Wie sicher ist der Trainer? Kurt Jara wird nachgesagt, er sei ein gewiefter Taktiker. Bei der täglichen Arbeit mit seinen Profis streut er die kumpelhafte Komponente so dezent ein, dass seine Autorität keinen Schaden nimmt. Da er auch mit den in Hamburg sicher etwas schwierig zu handhabenden Medien gut auskommt, spürt der Österreicher beim HSV keinerlei Widerstände. Allerdings hat er sich eine gefährliche Konstellation selber eingehandelt. Sein Kader für die neue Saison ist mit 28 Profis reichlich aufgebläht. Da wird es manch Unzufriedenen geben. Und für die ist dann sowieso der Trainer immer der Schuldige.

Wie passen die Neuen? Die Neuen lernten in Hamburg erst einmal Arztpraxen kennen: Der Argentinier Cristian Ledesma, einziger Zugang, für den Ablöse zu zahlen war (vier Millionen Euro), litt anfangs unter einer Adduktorenzerrung, Jung-Nationalspieler Christian Rahn vom FC St. Pauli unterzog sich einer Zahnoperation, Stephan Kling vom FC Bayern erlitt einen Muskelfaserriss, Michael Baur (FC Tirol) pausierte wegen einer Oberschenkelverletzung. Richard Kitzbichler, auch Österreicher wie Kurt Jara, gilt aufgrund seiner Schnelligkeit im rechten Mittelfeld als gefährlicher Konterspieler.

Welche Taktik ist zu erwarten? Jara studierte im Training ein 4-4-2-System ein. In zwei Varianten: bei der offensiven Formation taucht Torjäger Sergej Barbarez unmittelbar hinter den beiden Spitzen auf, in der defensiveren ist Barbarez selbst die zweite, hängende Spitze. Hinter ihm sichert ein dichtes Mittelfeld und eine Vierer-Abwehrkette. Für den Angriff gesetzt ist der Argentinier Bernardo Romeo, und im Mittelfeld, so plant Jara, soll Albertz zeigen, dass die in ihn vor Jahresfrist investierten zehn Millionen Mark kein rausgeschmissenes Geld waren.

Wer sind die Stars? Namhafte Stars sind teuer, für den HSV unerschwinglich teuer. Also begnügt sich der Verein mit solchen Profis, die in Hamburg erst zum Star reifen: Sergej Barbarez drückte bei Borussia Dortmund nur die Bank, wurde beim HSV zum Torjäger. Bernardo Romeo machte sich mit acht Treffern in einer Halbserie auf Anhieb bei den HSV-Fans beliebt, an seinen argentinischen Landsmann Cristian Ledesma werden ebenfalls große Erwartungen geknüpft. Überhaupt: die Argentinier in Hamburg. Wenn Rodolfo Esteban Cardoso auf den Platz kommt, bricht immer noch ohrenbetäubender Jubel los. Nur: Cardoso schwächelt verletzungsbedingt seit langem.

Wie wird der Mangel verwaltet? Mangel? Beim HSV? In Hamburg, in der Stadt der Kaufleute? Nein, immer wenn es dem HSV schlecht ging, fanden sich Gönner, die hier ein Loch stopften und dort für einen neuen Spieler sorgten. So wird es bleiben.

Was gibt das Stadion her? Wenn eine Mannschaft durchweg in der unteren Tabellenhälfte herumgurkt, dann ist das dem Zuschauerzuspruch eher abträglich. Anders beim HSV. Die Stadionauslastung des Klubs lag vorige Saison bei 79 Prozent. Die AOL-Arena gilt als das große Ballhaus des Nordens. Komfortabel, stimmungsvoll – Fußball wird hier zum Erlebnis, selbst wenn er vom HSV nur mäßig dargeboten wird. Auch Neid auf die angeblich noch modernere Arena auf Schalke existiert bei den HSV-Fans nicht. Dort werde doch bloß Hallenfußball gespielt, spötteln sie abfällig.

Wie sind die Fans? Strapazierfähig wie eine Markenjeans und unendlich treu. Zum HSV zu gehen, heißt für die meisten: lange Anreise mit der S-Bahn in Hamburgs Norden, dann wahlweise vom S-Bahnhof Stellingen 15 Minuten Fußmarsch an einer stinkenden Müllverbrennungsanlage vorbei zum Stadion oder eine schweißtreibende Acht-Minuten-Fahrt im meist brechend vollen Shuttle-Bus. Dann sind für eine Sitzplatzkarte 18 bis 42 Euro zu berappen. Gegenwert: 90 Minuten Fußball, selten von der erlesenen Art, aber allein durch das Stadion immer ein Erlebnis. Über 21 000 Dauerkarten hat der HSV für die nächste Saison verkauft. Karsten Doneck

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