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Sport: Die weiche Mitte macht Arsenal Sorgen

Nach dem Weggang von Patrick Vieira ist in Highbury vieles schwieriger geworden, heute kommt Juventus Turin – mit Vieira

Vor zwölf Jahren war es Liebe auf den ersten Blick. „Wir spielten mit dem AS Monaco gegen Cannes“, erinnert sich Arsène Wenger, „und wir hatten mit Claude Puel einen richtig starken Kerl in der Mitte. Doch dann wechselten die so einen langen, spindeldürren Typen ein. Der grätschte alles weg, neben dem sah Puel wie ein kleines Kind aus. Ich wusste sofort: Dieser Patrick Vieira würde eines Tages ein Weltklassespieler werden.“ 1996 holte Wenger den zwischenzeitlich zum AC Mailand gewechselten Senegalesen mit französischem Pass zum FC Arsenal. Umgerechnet 5,3 Millionen Euro zahlten die Londoner für den damals 20-Jährigen, der Transfer erwies sich als unverschämtes Sonderangebot. Wenger und Vieira gewannen drei Meisterschaften, vier FA-Pokale – und veränderten zusammen den englischen Fußball.

Nur in der Champions League konnten beide nie etwas bewegen, auch deswegen unterschrieb Vieira im vergangenen Sommer bei Juventus Turin. Wenger konnte die 20 Millionen Euro Ablöse für die Verjüngung der Mannschaft gut gebrauchen. So ganz ging die Rechnung allerdings nicht auf. Der Abschied des Kapitäns, den die Kollegen hochachtungsvoll „la grande saucisse“ („die große Wurst“) riefen, hinterließ ein gewaltiges Loch im System; die erste Ligasaison ohne Vieira droht zugleich zur schlechtesten in zehn Jahren zu werden. „Es hat sich rumgesprochen, dass man uns körperlich zusetzen kann“, sagt Wenger. Bescheidene Lauf- und Grätschkombos wie die Blackburn Rovers oder Bolton Wanderers verbissen sich mit Wonne in Arsenals neuer weicher Mitte. Lange Bälle und Aggressivität, das kleine Einmaleins des englischen Fußballs, reichten gegen Arsenals junge Spieler aus aller Herren Länder oftmals aus. Man hat große Mühe, überhaupt den vierten Platz in der Premier League zu halten.

Die unbefriedigenden Resultate sind aber nur ein Teil der Geschichte. Wenger versucht den Umbruch auf hohem Niveau, und um alles darüber zu wissen, muss man nur sehen, wer im Mittelpunkt steht: ein 18-Jähriger. Francesc Fábregas spielt in dieser Saison auf Vieiras Position im zentralen Mittelfeld, kein anderer europäischer Spitzenklub gibt einem Talent soviel Verantwortung. Beim FC Barcelona, von dem er 2003 nach London wechselte, würde er heute wohl „noch in der U-19-Mannschaft“ kicken müssen, sagt der junge Mann aus dem katalanischen Hafenstädtchen Arenys de Mar. Fábregas wurde mit seinem Kumpel Lionel Messi, dem argentinischen Wunderkind, im Nou Camp ausgebildet, einige Jahre wohnten beide in den Jugendschlafräumen in den Katakomben des Stadions. Ihre Mannschaften waren immer so gut, dass es schon langweilig war. „Es machte keinen Spaß, jedes Spiel 15:0 zu gewinnen“, sagt Fábregas. Bei der U-17-WM 2003 wurde er zum Spieler des Turniers gekrönt. Fábregas ist eine ganz seltene Spezies, ein spielender Sechser, ein Techniker vor der Abwehr, ein heimlicher Stratege wie AC Milans Andrea Pirlo. „Den letzten, tödlichen Pass zu spielen macht mir mehr Freude, als ein Tor zu schießen“, sagt er. Er spielt instinktiv, ohne Erfahrung, aber auch ohne Angst: „Du musst stark sein, sonst kommt einer und frisst dich.“

Der eine, der heute Abend mit Juventus nach Highbury kommt, ist niemand anderes als Vieira, der früher Fábregas’ großes Vorbild war. Ein ungleicher Kampf, möchte man meinen, rein körperlich ist der Spanier trotz vieler Stunden im Kraftraum mit Sicherheit unterlegen. Er ist ein anderer Typ Spieler, und genau das war in der Liga bisher das größte Problem: in den unzähligen Eins-zu-Eins-Duellen, den gesundheitsschädlichen Kämpfen um den Ball, zu denen es wegen des hohen Tempos alle paar Minuten kommt, konnte er oft nicht mithalten.

In der Champions League läuft der Ball kultivierter durch die Reihen, Premier-League-Spieler erleben sie als verkehrsberuhigte Zone. Technik und Taktik sind wichtiger als Härte; hier kann Fábregas glänzen und seine junge Abwehr allein durch Stellungsspiel so gut beschützen, dass sie tatsächlich die beste im laufenden Wettbewerb ist. Das Duell mit Vieira wird also in erster Linie ein Duell der Ideen werden, der Ausgang ist völlig offen. „Das Schicksal wollte es, dass ich gegen Arsenal spielen muss“, sagt Vieira. Er wird als Vereinslegende freundlich empfangen werden, die Begegnung mit seinem Mentor Wenger hat jedoch auch etwas Tragisches. Einer wird dem anderen den großen, lange gemeinsam gehegten Traum vom Europapokal zerstören. So ist das wohl, nach dem Ende von langen Beziehungen, nicht nur im Fußball.

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