zum Hauptinhalt

Sport: Die WM als Jugendweihe

Bundestrainer Klinsmann verzichtet auf Wörns – er vertraut dem Nachwuchs

Als der hünengleiche Per Mertesacker gestern das offizielle WM-Outfit der deutschen Fußballnationalmannschaft präsentierte, gab es keine Zweifel mehr. In das Jackett, das der 21 Jahre junge Innenverteidiger aus Hannover trug, wird Christian Wörns in seinem Leben nicht mehr passen. Es wäre etliche Nummern zu groß. Zwar sind die neuen WM-Kleider maßgeschneidert, wie Designerin Gabriele Strehle sagte, „mit Namen und Datum und so“, aber beim Dortmunder Wörns waren die Maße schon nicht mehr abgenommen worden. Was darauf schließen lässt, dass er lange vor dem offiziellen Rausschmiss durch Bundestrainer Jürgen Klinsmann nicht mehr in Mode war.

So sehr sich die Beteiligten gestern mühten, den Fall Wörns herunterzuspielen, so präsent ist er noch. Der 66-fache Nationalspieler hatte seine Nichtberücksichtigung für das Länderspiel am Mittwoch in Italien lauthals kritisiert und die Art und Weise des Bundestrainers als „link und scheinheilig“ bezeichnet. Selbst als Wörns noch einmal Gesprächsbereitschaft signalisierte, war das Thema für Klinsmann durch: „Es gibt keine Rückkehr mehr.“ Da das harte Vorgehen andere Nationalspieler, wie etwa Kapitän Michael Ballack, „überrascht“ hat, versammelte Klinsmann das komplette Team am Sonntagabend und erläuterte den Vorgang aus seiner Sicht. „Die Mannschaft hat das dann auch verstanden“, sagte Klinsmann.

Unabhängig davon, dass sich Wörns auch für den Geschmack Ballacks „in seiner Wortwahl“ vergriffen hat, ist dieser Fall ein gewisser Höhepunkt einer Entwicklung, die nicht nur auf Gegenliebe stößt. So hatten gestandene Nationalspieler wie Ballack und Oliver Kahn schon in der Vergangenheit ihre Bedenken gegen eine zu radikale Verjüngung der Nationalelf deutlich gemacht. Es besteht zumindest die Gefahr, dass es insbesondere der deutschen Innenverteidigung an der richtigen Altersmischung fehlt. Die drei Kandidaten, die heute nach Florenz reisen, Robert Huth, Christoph Metzelder und eben Mertesacker, erreichen einen Altersdurchschnitt von gerade mal 22,3 Jahren bei einer Erfahrung von zusammen 49 Länderspielen. Das italienische Pendant, der 32-jährige Fabio Cannavaro und der 30-jährige Alessandro Nesta, bringen die Erfahrung von 162 Länderspielen mit. Die weiteren deutschen Abwehrspieler, Philipp Lahm (22), Marcell Jansen (20), Arne Friedrich und Patrick Owomoyela (beide 26), können ebenfalls nicht als Stützen gelten, da sie augenblicklich selten spielen oder nicht in bester Form sind.

Schon während des Confed-Cups vor einem Jahr bemängelte Arie Haan, der zweimalige Vizeweltmeister aus Holland, die fehlende „individuelle Klasse und Erfahrung“ der deutschen Abwehrspieler. Allein die Altersstruktur hatte ihn vermuten lassen, dass die WM vielleicht zu früh kommt. Und Klaus Augenthaler, der Weltmeister von 1990, sagte vor einem Jahr: „Jürgen weiß, dass er nicht umhin kommt, langfristig auf mehr Erfahrung zu setzen.“

Die deutsche Nationalmannschaft hat mit jungen deutschen Spielern bei großen Turnieren unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Uli Hoeneß etwa bestritt mit 20 Jahren und nur einem Länderspiel das EM-Viertelfinale 1972 gegen England und gewann als Stammspieler den EM-Titel. Oder Dieter Müller, der 22-jährig und ohne Länderspielerfahrung zur EM 1976 fuhr, einige Tore erzielte und Vizeeuropameister wurde. Das Gegenbeispiel lieferte Lothar Matthäus, der spätere Rekordnationalspieler. Er debütierte bei der EM 1980, aber da er durch einen von ihm verursachten Foulelfmeter den Sieg über die Holländer in Gefahr brachte, dauerte es 17 Monate, bis er zu seinem zweiten Länderspieleinsatz kam.

Jürgen Klinsmann hat sich für die Jugend entschieden. Die Frage ist, ob es ausgerechnet in der Abwehr, dem sensibelsten Mannschaftsteil, sein muss. Ist dort Unbekümmertheit eine gefragte Qualität? Joachim Löw, Klinsmanns Assistent, verfolgt die Entwicklung der jungen Spieler genau. Die Mannschaft ist in gut eineinhalb Jahren auf sieben, acht Positionen verjüngt worden. Reicht die Zeit? „Beim Confed-Cup ging es gut, da hatten wir positive Spiele, positive Energien. Bei der WM ist der Druck noch mal erhöht. Wir werden sehen“, sagt Löw. Das Vertrauen in die jungen Spieler aber sei ungetrübt.

Christian Wörns’ Routine hätte ja abstrahlen können auf die jungen Nebenleute. Zumal Klinsmann nicht gefällt, „dass die Nationalspieler in ihren Klubs derzeit nicht so zum Zuge kommen“. Das habe sich durch „die Ausländersituation drastisch geändert“ – zu Lasten der Nationalelf. Man habe eine ganze Generation verloren von Spielern im Alter von 25 bis 32. Christian Wörns ist 33 Jahre alt – und wohl auch irgendwie verloren gegangen.

Zur Startseite