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Sport: Die Wucht eines Abends

Manchester United erinnert beim 7:1 über den AS Rom an große Europapokalzeiten

Zu allem Überfluss musste Christian Chivu auf der Flucht in den Mannschaftsbus genau vor der „Herrentoilette T4“ stehen bleiben, um Erklärungen für ein unerklärliches Ergebnis zu suchen. Der Verteidiger vom AS Rom stand bleich vor einem etwas streng riechenden Örtchen im Kabinengang und suchte nach Erklärungen für einen eigentlich unerklärlichen Abend. Zur Partie könne er nichts sagen, außer dass quasi jeder Schuss von Manchester United drin gewesen sei, Cristiano Ronaldo derzeit untrüglich als bester Spieler auf der Welt zu gelten habe und sein Team im Grunde ganz gut gespielt hätte – „bis zur zehnten Minute“.

In der elften Minute hatte Michael Carrick den ersten Angriff zum 1:0 für Manchester abgeschlossen – der unkonzentrierte Torwart Doni hatte nur zugesehen –, was folgte, war der totale Zusammenbruch der Italiener vor einem brillanten Gegner. 3:0 stand es nach 20 Minuten, 4:0 zur Pause. Am Ende einer in ihrer Einseitigkeit fast grausamen zweiten Hälfte standen Zahlen, die niemand glauben mochte: 7:1. „Unheimlich“, sagte Uniteds Trainer Alex Ferguson kopfschüttelnd, „das war der größte europäische Abend im Old Trafford für mich.“

74 000 Zuschauer brüllten vor Freude. Sie empfanden das Spiel als gerechte Rache für die Prügel, die englische Fans im Hinspiel (1:2) im Stadio Olimpico bezogen hatten. Ein paar hirnlose Schläger hatten auch diesmal vor dem Anpfiff außerhalb des Stadions die Konfrontation gesucht, nach ein paar Minuten und 18 Festnahmen hatte die Polizei die Situation aber im Griff. Den Rest besorgte United auf dem Feld. Als die Fans ihre Helden mit „attack, attack, attack“ in die Halbzeit schickten, war das ironisch gemeint.

Roms Spieler, die Zuschauer, Ferguson, sie alle waren überwältigt von der Wucht dieses Abends, den der „Daily Telegraph“ als „totalen Fußball im Stile der Brasilianer von 1970 und der Niederländer von 1974“ erlebte. Auch der zweifache Torschütze Carrick schien nicht ganz zu wissen, wie ihm geschehen war. „Was die Bedeutung des Spiels angeht, war dies sicher das beste Match, das wir bisher gemacht haben“, sagte er. Der Mittelfeldspieler war im Sommer für 28 Millionen Euro von Tottenham Hotspur gekommen und hatte wie seine Mannschaft in der Champions League zuvor eher bescheidene Leistungen abgeliefert. Ferguson führte das Ergebnis auf Reife und Charakterstärke seiner ersatzgeschwächten Mannschaft zurück. Vor zwei Jahren hätten Wayne Rooney und Cristiano Ronaldo noch nicht die nötige Erfahrung gehabt, erläuterte er. Trotzdem kommt Manchester noch nicht die Favoritenrolle in der Champions League zu. Der englische Tabellenführer verfügt über keine Übermannschaft, hinter Rooney und Ronaldo werkelten auch am Dienstag eher Arbeiter als Künstler.

Aber solche Nuancen wurden natürlich von der Macht des historischen Abends zerquetscht. Die „Daily Mail“ freute sich mit patriotischer Inbrunst, dass der Triumph der Engländer dem Ruf des italienischen Fußballs „auf lange Sicht großen Schaden“ zufügen würde, und sogar der Schotte Ferguson wünschte sich nach Chelseas Erfolg ein englisches Finale in Athen. Zumal Liverpool gestern als dritter englischer Verein ins Halbfinale folgte. „Der englische Fußball muss derzeit als der stärkste der Welt anerkannt werden“, fügte er stolz hinzu. Manchester United ist wieder wer. Wer genau, wird man nach dem Halbfinale gegen den AC Mailand wissen.

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