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Sport: „Diese Erfahrung hilft mir heute noch weiter“

Klaus Allofs über seine Zeit als Spieler in Frankreich, seine bevorstehende Reise mit der Nationalelf nach Paris und die integrierende Kraft des Fußballs

Herr Allofs, Sie reisen am Wochenende mit der Nationalmannschaft nach Paris. Sie sind dort der offizielle Vertreter der neuen Task Force, des Arbeitskreises Nationalmannschaft. Sie kennen sich in Frankreich bestens aus. Hat man Sie deshalb ausgewählt?

Streng genommen reise ich gar nicht als Vertreter der Task Force nach Paris. Als Ligachef Werner Hackmann mich gefragt hat, ob ich der Delegation angehören wolle, gab es die nämlich noch gar nicht. Trotzdem ist es gut, dass jemand aus der Task Force nah an der Mannschaft ist. Wir bekommen unsere Informationen oft nur aus zweiter Hand. In Paris werde ich selbst beobachten, Stimmungen spüren und mir ein Bild machen können.

Die Liga hat sich beim Krisengipfel mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann zu mehr Zurückhaltung verpflichtet. Was hat Ihnen Klinsmann im Gegenzug zugesichert?

Wissen Sie, ich mag es nicht, wenn das, was in solchen Kreisen besprochen wird, scheibchenweise an die Öffentlichkeit gelangt. Eine solche Veranstaltung lebt vom Vertrauen. Wenn man sich im kleinen Kreis trifft, kann man sich öffnen, Fehler einräumen, aufeinander zugehen. Und im Prinzip wollen wir alle dasselbe: dass die Nationalmannschaft eine erfolgreiche WM spielt.

Um das festzustellen, hätte man sich nicht treffen müssen.

Dafür nicht, nein, aber es gibt durchaus verschiedene Wege zum Ziel. Wir haben uns mit dem Bundestrainer ausgesprochen.

Verlangt die Liga ein Mitspracherecht in der Frage, wer Sportdirektor beim DFB wird?

Es gibt keinerlei Verpflichtung, nein. Aber es wäre durchaus sinnvoll und schlau, sich vorher zu fragen: Mensch, wie ist die Meinung in den Vereinen? Das muss nicht in einer offiziellen Sitzung geschehen. Aber ich fände es ganz normal, wenn man mit einigen Leuten Gespräche führen würde.

Haben Sie das Gefühl, dass Manager Oliver Bierhoff für Anregungen aus der Liga offener ist als der Bundestrainer?

Das liegt in der Natur der Sache. Ein Trainer muss eine klare Vorstellung haben und die dann auch durchziehen. Ein Manager kann sehr viel mehr Interesse demonstrieren, muss die Vorschläge aber nicht schon im nächsten Moment in die Tat umsetzen. Außerdem hat das auch etwas von einem Rollenspiel.

Täuscht der Eindruck, dass Sie durch die Diskussion um die Nationalmannschaft näher an Uli Hoeneß herangerückt sind?

Der täuscht. Absolut.

Würden Sie es eigentlich übel nehmen, wenn man sagt, die deutsche Nationalmannschaft spielt wie Werder Bremen?

Da muss ich mal nachdenken.

Sie lachen.

Ja, weil die Nationalmannschaft zuletzt so stark in der Kritik stand. Also, ich glaube, dass die Probleme der Nationalmannschaft zurzeit doch etwas umfangreicher sind als unsere.

Aber es gibt schon ein paar Parallelen. Auch Werder steht für offensiven Fußball, ist dafür in der Abwehr nicht immer sicher.

Das stimmt. Wir haben noch nicht die Balance gefunden zwischen Offensive und Defensive. Aber das sind auch hohe Anforderungen, gerade für die Nationalmannschaft: auf der einen Seite diese Coolness im Spiel zu haben, auf der anderen Seite Begeisterung auszustrahlen, ein hohes Spieltempo zu gehen und ständig in Bewegung zu sein. Nicht einmal die Brasilianer schaffen das immer. Die gewinnen ihre Spiele, aber Ronaldo oder Ronaldinho stehen auch mal eine Halbzeit lang nur herum.

Und von der spielerischen Qualität, die die Brasilianer haben, kann Jürgen Klinsmann nur träumen.

Wir haben in der Nationalmannschaft viele junge Spieler, die erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen. Einige spielen mit ihren Klubs nicht international, und einige sind nicht mal in ihrem Verein Stammspieler. Aber wir haben eben auch keine anderen, die man nachschieben könnte. Dennoch können wir eine gute WM spielen. Wir dürfen uns nur bis dahin nicht mehr in unnötigen Kämpfen verzetteln.

Warum haben Sie trotzdem in die Kritik an Klinsmann eingestimmt?

Ich möchte das jetzt im Einzelnen nicht mehr ausführen. Es geht einfach darum, dass trotz der Weltmeisterschaft auch die Interessen der Vereine gewahrt bleiben müssen.

Was hätte Werder Bremen davon, wenn Deutschland Weltmeister würde?

Der gesamte deutsche Fußball würde davon profitieren. Die WM wird eine Generation von Kindern motivieren, sich dem Fußball zuzuwenden. Ich glaube auch, dass deutsche Profis auch für ausländische Vereine endlich wieder interessant werden würden. Bei anderen Nationen ist das auch so gewesen. Wenn Brasilien Weltmeister wird, gehen noch mehr Brasilianer ins Ausland. Ist Frankreich erfolgreich, wollen alle großen Klubs französische Spieler verpflichten.

Sind Sie deshalb auf dem französischen Markt aktiv geworden: weil Frankreich Welt- und Europameister war?

Nein, in Spanien oder Italien mag es Vereinspräsidenten geben, die sagen: Ich möchte einen Weltmeister in meinen Reihen haben. Aber so denken wir nicht. Das hat eher mit meiner Vergangenheit zu tun, dass ich in Frankreich gespielt habe, immer noch Kontakte habe. Es gibt in Frankreich nun mal sehr viele Talente, obwohl manche sagen, dass im Moment bei den Jungen nicht mehr die Klasse vorhanden ist, wie es sie vor sieben, acht Jahren gab. Die Franzosen sind auch nicht auf der sicheren Seite. Aber wenn sich jemand dort in der Liga durchgesetzt hat, weiß ich, dass er genügend Qualität besitzt, um hier in Deutschland Fuß zu fassen.

Warum haben andere Bundesligisten das nicht erkannt?

Weiß ich nicht. Es ist nicht ganz einfach, französische Spieler für Deutschland zu begeistern. Die gehen lieber nach England, wo inzwischen 60 oder 70 Franzosen unter Vertrag stehen. Danach kommen Italien und Spanien. Und dann vielleicht die Bundesliga.

Wie haben Sie es trotzdem geschafft, Micoud und Ismael nach Bremen zu locken?

Bei Johan Micoud lag es in erster Linie daran, dass er in Italien Probleme hatte. Johan hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was Werder Bremen eigentlich ist. Doch seine Berater haben ihm gesagt: Da kommt Klaus Allofs. Den kennst du ja. Hör dir das mal an! Das war der Einstieg, um überhaupt ein vernünftiges Gespräch zu führen. Wir haben Stunden miteinander geredet und mussten richtig Überzeugungsarbeit leisten. Mittlerweile ist es für uns ein bisschen einfacher, weil Werder in Frankreich inzwischen wenigstens wahrgenommen wird. Und vielleicht ändert sich auch grundsätzlich etwas an der Einstellung zu Deutschland. Willy Sagnol und Bixente Lizarazu sagen ja immer wieder, dass der deutsche Fußball eigentlich unterbewertet wird.

Sie haben von 1987 bis 1990 in Frankreich gespielt. Können sich die Franzosen eigentlich an den Spieler Klaus Allofs erinnern?

Ich glaube schon. In einer Saison bin ich immerhin zum besten Ausländer der Liga gewählt worden. Für mich war das nicht nur eine sehr erfolgreiche Zeit mit der Meisterschaft und dem Pokalsieg in Marseille, sondern auch eine persönlich sehr positive Erfahrung.

Inwiefern?

Ich habe vieles dazugelernt, nicht nur eine neue Sprache. Das sage ich auch den ausländischen Spielern, die zu uns kommen. Wenn du ins Ausland gehst, kannst du Dinge, die du immer schon verändern wolltest, endlich in Angriff nehmen. Auch für das Selbstvertrauen ist dieser Schritt wichtig. In einem fremden Land musst du dich wieder neu behaupten. Als ich 1991 nach Deutschland zurückkehrte, war ich ein ganz anderer Spieler. Vielleicht nicht mehr ganz so fit, aber ein sehr viel besserer Spieler und sehr viel besserer Profi als vorher.

Warum?

Weil ich in Frankreich viel mehr Verantwortung übernehmen musste. Ich kam nach Marseille, musste meine Trainingssachen selbst mitbringen und meine Schuhe wieder selbst putzen.

Das hört sich jetzt ein bisschen komisch an.

Das ist ja nur ein Beispiel. In Deutschland hast du die Einstellung: Ich gehe zum Training und mache, was der Trainer macht. In Frankreich musste ich viel mehr Initiative ergreifen. Karlheinz Förster und ich, wir haben unser Trainingsprogramm teilweise selbst gestaltet. Wir haben nach dem Training noch was für uns gemacht, weil wir dachten, dass uns das gut tun wird, und jemanden wie Jean-Pierre Papin, den haben wir damals in unser Programm einbezogen. Wenn du ins Ausland gehst, niemanden kennst, bist du erst einmal total auf deine Arbeit fixiert. Es bringt dich weiter, weil es dir zeigt, dass du noch viel mehr leisten kannst. Diese Erfahrung hilft mir heute noch.

Für die Franzosen waren Sie wahrscheinlich der typische Deutsche: fleißig, strebsam und ehrgeizig.

Ja, aber das war durchaus anerkennend gemeint. Ich glaube, dass die Deutschen, die zu der Zeit dort gespielt haben, wirklich Spuren hinterlassen haben. Die Franzosen haben sich vieles von uns abgeguckt. Wir wurden damals ja nicht für unseren filigranen Fußball geliebt, sondern für unsere Erfolge. In Marseille habe ich mit dem jungen Eric Cantona zusammengespielt, das war nur einer aus dem Reservoir an ausgezeichneten Fußballern, aber die Franzosen hatten zu dieser Zeit noch einen unheimlichen Komplex, das kann man sich gar nicht vorstellen. Bis dahin hatte kein französischer Klub einen Europapokal gewonnen. Mit unserem Selbstvertrauen haben wir denen richtig geholfen, mit unserer Einstellung: Wir sind besser. Das ist es, was die Franzosen am meisten dazugelernt haben. Über ihre Erfolge haben sie eine unheimliche Selbstsicherheit bekommen. Als ich in Frankreich gespielt habe, gab es die noch nicht.

Die Franzosen werden immer für ihre multikulturelle Nationalelf gelobt. In diesen Tagen aber eskaliert die Gewalt in den fast nur noch von Einwanderern bewohnten Vororten. Was kann der Fußball zur Integration beitragen?

Frankreich hat einen Bevölkerungsmix aus den verschiedensten ethnischen Gruppen. Jugendfußball und der Fußball in den unteren Klassen kann entscheidend zur Integration beitragen, Fußball verbindet. Auch das Miteinander von Profis verschiedener Nationalitäten in einem Team hat Vorbildcharakter. Zudem leben die Profis den Beweis vor, dass man es über den Sport schaffen kann, sich aus schwierigen Verhältnissen zu befreien.

Aber werden durch das Multikulti-Gedusel um die Nationalelf nicht auch Probleme übertüncht?

Sicherlich zeigt der französische Spitzenfußball die äußerlich funktionierende Integration der ethnischen Gruppen des Landes. Dass dennoch große Probleme da sind, ist offensichtlich von der Politik lange nicht mit dem nötigen Nachdruck angegangen worden.

Sind Sie beunruhigt und um die Sicherheit besorgt vor der Reise nach Paris?

Ich habe volles Vertrauen, dass unsere französischen Gastgeber ein störungsfreies Länderspiel organisieren werden.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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