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Schwamm oder Leistungssportler? Udo Beyer hat schon vor Jahrzehnten zugegeben, gedopt zu haben – und ist trotzdem stolz auf seinen Olympia-Triumph 1976 in Montreal.

© dpa

Dokumentarfilm über Staatsdoping in der DDR: Eine Enthüllung, die keine ist

Dass er zu DDR-Zeiten gedopt hatte, gab Kugelstoßer Udo Beyer schon früher zu. Dass der Olympiasieger von 1976 sowie dreifache Weltrekordler über die Einnahme leistungsfördernder Mittel mitreden durfte, irritiert frühere DDR-Spitzensportler jedoch.

Wenn sich in der kommenden Woche Brandenburger Landtagspolitiker mit dem Thema Sport bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte beschäftigen, wird ihnen ein 120-seitiges Gutachten vorgelegt. Mit einem Besuch der Berlinale hätten sie sich einen Teil der Lektüre ersparen können. Denn da zeichnete die Regisseurin und ehemalige DDR-Leistungssportlerin Sandra Kaudelka in ihrem Dokumentarfilm „Einzelkämpfer“ vier Porträts ehemaliger Spitzenathleten des sozialistischen Leistungssportsystems. Die einstige Wasserspringerin, die sich selbst dem Leistungsdruck der Kaderschmieden ausgeliefert fühlte, will mit dem Film nach eigenen Worten das einseitige Bild vom Doping im DDR-Sport aufbrechen. „Mich stört die Reduktion auf das Thema Doping und das eindimensionale Bild vom DDR-Sport“, erklärt sie.

Doch genau mit diesem Reflex wurde reagiert, als vor der Premiere des Films bekannt wurde, dass die einstige DDR- Kugelstoßlegende Udo Beyer in der Dokumentation Doping zugibt. Dabei hat der Olympiasieger von 1976 sowie dreifache Weltrekordler kurz nach der Wende zugegeben, dass seine Erfolge nicht allein auf seiner Kraft beruhten. Entsprechende Radiointerviews waren für Kaudelka wichtige Grundlagen ihrer Recherchen. Und nach unzähligen Gutachten sowie wissenschaftlichen Studien über das Staatsdoping in der DDR sind Beyers Aussagen ohnehin keine Überraschung mehr.

Für Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg ist die Dopingbeichte nicht wirklich spektakulär. „Dass in der DDR seit Mitte der sechziger Jahre systematisch gedopt wurde, ist zweifelsfrei in den Akten des damaligen Herrschaftssystems rekonstruiert“, sagt Braun. Nach ihrer Ansicht hatte Udo Beyer wie alle anderen fast keine Chance, sich dem Doping zu entziehen. „Es gab vereinzelt Sportler, die sich verweigert haben und ausgestiegen sind“, sagte sie. „Aber die meisten wollten ihren Sport ausüben.“

Beyers Mitspracherecht irritiert einstige Weggefährten

Was den Fall Beyer von anderen unterscheidet, war sein Privileg, über die Einnahme leistungsfördernder Mittel mitreden zu können. „Über alles, was mit mir gemacht wurde, wusste ich Bescheid. Dinge, die ich gemacht habe, habe ich selbst entschieden“, erzählt der heute 57-Jährige. Beyer galt als mündiger Athlet, der wusste, welche Trainingsintensität und pharmakologische Dosis er brauchte. „Ich habe auch Sachen abgelehnt, ich habe Sachen gemacht“, sagt er, „aber ich wusste, ich habe es entschieden. Und es kamen keine Sachen heimlich in den Tee. So etwas gab es nicht.“

Einstige Weggefährten zeigen sich allerdings erstaunt von Beyers Filmrolle. „Das verschlägt mir ein bisschen die Sprache, zumal Udo immer erzählt hat, dass es bei ihm nicht so war“, erklärt Ulrike Bruns, die 1976 Olympia-Dritte über 1500 Meter wurde und drei Weltrekorde aufstellte. Peter Frenkel, Olympiasieger von München 1972 im 20-Kilometer-Gehen, sagte: „Das verblüfft mich sehr. Warum sagt er das, und warum erst jetzt?“ Dass sie in ihren aktiven Zeiten ebenfalls gedopt hätten, verneinen Bruns und Frenkel. „Das war für mich kein Thema“, sagt Frenkel. „Wir Geher waren doch nur das fünfte Rad am Wagen.“

Im Film „Einzelkämpfer“ lächelt die 400-Meter-Läuferin Marita Koch über die Dopingfrage hinweg. „Ihre Art, damit umzugehen, will ich ihr nicht nehmen“, sagte Regisseurin Kaudelka. Auch Wissenschaftlerin Braun kann den Zwiespalt früherer DDR-Athleten verstehen: „Es schmerzt sie, wenn ihre Leistung auf Doping reduziert wird“, sagt sie. Und so sieht sich Udo Beyer auch 37 Jahre nach seinem Olympia-Triumph zu Recht als Sieger: „Einem Ackergaul kannst du so viel Dopingmittel geben wie du willst, er wird nie ein Rennen in Hoppegarten gewinnen.“

Wie groß der Einfluss unerlaubter Mittel sein konnte, geben die Aufzeichnungen des DDR-Dopingmediziners Manfred Höppner aus dem Jahr 1977 wieder: Beim Kugelstoßen wurden durch die Einnahme pharmakologischer Präparate Leistungszuwächse von zweieinhalb bis 4 Metern erwartet.

Piet Könnicke

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