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Diskuswerfer Klaus-Peter Hennig hat bestätigt, früher mit Anabolika gedopt zu haben.

© Imago/Werek

Doping in der alten Bundesrepublik: Geduldet und gedeckt

Laut einer neuen Studie wurde auch in der alten BRD flächendeckend gedopt. Das sollte Anstoß sein, um sich kritischer mit der westdeutschen Sportgeschichte auseinanderzusetzen. Ein Kommentar.

Doping in der alten Bundesrepublik? Gab es vermutlich schon, in Einzelfällen. Sehr bedauerlich, aber im Gegensatz zum DDR-Staatsdoping zu vernachlässigen. So lautete jahrzehntelang die gängige und bequeme Meinung von vielen westdeutschen Sportfans und wohl auch von Funktionären. Eine Studie bringt nun neue Erkenntnisse, demnach wurde auch in der alten BRD anscheinend flächendeckend gedopt. Die Sportgeschichte muss deshalb nicht umgeschrieben werden, die Fälle sind verjährt und stammen aus einer Zeit, in der Doping nicht nur in beiden deutschen Staaten weit verbreitet war. Die Studie kann aber dazu beitragen, dass sich der gesamtdeutsche Sport kritischer mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt – und aus seinen Fehlern lernt.

Im sportlichen Kampf der System war nunmal fast jedes Mittel recht

Wissenschaftler Simon Krivec von der Universität Hamburg hat mehr als 100 westdeutsche Leichtathleten zu ihren Erfahrungen mit Doping in der Zeit zwischen 1960 und 1988 befragt. 31 Sportler bestätigten, Anabolika genommen zu haben. Die Athleten hatten dabei nicht das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun – so weit verbreitet waren verbotene Hilfsmittel. Staatlich gelenkt und organisiert wie in der DDR war das BRD-Doping laut der Studie nicht, geduldet und gedeckt aber auf jeden Fall. Das legt auch die kurz zuvor erschienene Studie über den langjährigen westdeutschen Olympia-Arzt Joseph Keul nahe, der demnach zumindest mit „Marginalisierungen, Verharmlosungen und Täuschungen“ Dopingpraktiken ermöglichte. Im sportlichen Kampf der System war nunmal fast jedes Mittel recht, offensichtlich auf beiden Seiten der Mauer.

Der Betrug bekommt ein Gesicht und eine Geschichte

Bemerkenswert an Krivecs Untersuchung ist, dass sechs Sportler ihm erlaubt haben, ihre Namen zu veröffentlichen, darunter die ehemaligen Diskuswerfer Alwin Wagner und Klaus-Peter Hennig. Durch ihre Beispiele wird die oftmals nebulöse Dopingthematik greifbarer und konkreter, der Betrug bekommt ein Gesicht und eine persönliche Geschichte.

Darin liegt vielleicht der größte Nutzen der neuen Erkenntnisse: Es ist möglich, die genauen Rahmenbedingungen zu studieren, in denen Dopingpraktiken in Westdeutschland gedeihen konnten. Das ermöglicht auch eine intensivere gesellschaftliche Diskussion über das Thema. Schließlich ist es immer leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen, als bei sich selbst genau hinzuschauen. Das gilt für den Blick auf die DDR damals genauso wie heute in Bezug auf Russland oder Kenia.

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