zum Hauptinhalt

Sport: Doping in der DDR: "Gesundheitliche Gründe"

Der Schrecken steht ihr noch im Gesicht. "Hätte ich das gewusst, hätte ich den ganzen Sport hingeschmissen", sagt Brigitte Michel, ehemalige Diskuswerferin der DDR.

Der Schrecken steht ihr noch im Gesicht. "Hätte ich das gewusst, hätte ich den ganzen Sport hingeschmissen", sagt Brigitte Michel, ehemalige Diskuswerferin der DDR. Die 44-Jährige ist Dopingopfer des sozialistischen Leistungssports. Niemand hatte ihr gesagt, welche Mittel sie als Jugendliche einnehmen musste. Sie wurde krank, doch über Gründe haben Trainer und Ärzte geschwiegen. Nun sind Akten aufgetaucht, die zeigen, wer damals Bescheid wusste: die Staatssicherheit. Am Mittwochabend wurden die neuen Stasi-Dokumente in der Berliner Stadtbibliothek erstmals öffentlich vorgestellt. Auf Einladung des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen legte der Potsdamer Sportwissenschaftler Giselher Spitzer das brisante Material vor. Brigitte Michel saß neben ihm. Stumm, mit bleichem Gesicht.

29. November 1979, Brigitte Michel leidet an Nierenblutungen. Der Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter "Paul" berichtet: "Die Ärzte vermuten einen Nierenschaden, der im ungünstigsten Fall lebensgefährliche Auswirkungen für die M. haben kann." Der Spitzel, gleichzeitig Michels Trainer Peter Börner, berichtet auch von der Reaktion des Vereins TSC Berlin: Das Grippe-Medikament für Michel wurde abgesetzt. Mehr passierte nicht.

Früh hatte das Doping für Brigitte Michel begonnen. Im Alter von 18 Jahren wurde sie wegen eines Muskelrisses operiert. "Ich führe das auf Anabolika zurück", sagt sie heute. Dass sie schon als Teenager verbotene Mittel zum Muskelaufbau nehmen musste, konnte sie nur erahnen. Anfang der siebziger Jahre begann die Hochzeit des DDR-Dopings. Forschungsinstitute wurden gegründet, die nur eine Aufgabe hatten: Dopingmittel ausprobieren und negative Wirkungen verschleiern. Die Stasi war Vorreiter - sie verabreichte ahnungslosen Sportlern der Dynamo-Klubs verbotene Mittel und jubelte intern über "sensationelle Erfolge". 1974 wurde das Doping flächendeckend auf die DDR ausgedehnt. Ein Masterplan der Leistungssport-Kommission legte die Marschrichtung fest, bestätigt vom SED-Politbüro. Schnell entstand ein dichtes Netz des "staatlich kontrollierten und subventionierten Zwangsdopings" (Spitzer). Seit 1974 durchliefen jährlich 2000 Sportler dieses System.

Medaillen wurden am Reißbrett entworfen. Bereits 1971 wurden die zukünftigen Leistungen von Brigitte Michel akribisch festgelegt: "1975 = 60 m, 1976 = 63 m, 1977 = 65 m, 1978 = 67 m". Zielstellung war ein vierter bis sechster Platz bei den Olympischen Sommerspielen 1976, vier Jahre später wurde Gold angepeilt. Doch Michels Gesundheit spielte nicht mit. Grund waren die "UM", die Unterstützenden Mittel. Auszug aus den Stasi-Akten, die dem Tagesspiegel vorliegen: "Die Quelle informierte, dass es bei Brigitte Michel im Zusammenhang mit UM Probleme gegeben haben soll, Regel udgl." Wenige Monate später musste Michel den Sport aufgeben - "aus gesundheitlichen Gründen", wie intern zugegeben wurde.

"Ich komme mir vor wie eine Laborratte", sagt Michel heute. Menschen, denen sie vertraute, haben sie verraten. Und die Verantwortlichen? Die Chef-Doper Manfred Ewald und Manfred Höppner hat sie als Nebenklägerin beim Dopingprozess erlebt, sie zeigten kaum Reue. Ihre Trainer Helga und Peter Börner, die sie bespitzelten, kamen mit milden Urteilen davon. Frau Börner arbeitet als Lehrerin. Michel dagegen musste vor kurzem wieder zur Operation ins Krankenhaus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false