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Doping: Was bei der Tour de France im Dunkeln bleibt

Radsport unter Generalverdacht: Ist die große Mehrheit der Fahrer gedopt? Viele Indizien sprechen dafür, dass es sich bei der Tour de France nicht um Einzelfälle handelt.

Christian Prudhomme ist ein zurückhaltender Mensch, doch diesmal geriet er in Rage. Ob es denn nicht Zeit sei, das Rennen zu unterbrechen, wollte ein Reporter von ihm wissen, nachdem bei der Tour de France bereits der dritte Fahrer als Doper erwischt wurde. „Sie verkennen den Feind“, wetterte Prudhomme zurück, nahm seine Brille ab und zeigte den Zorn in seinen Augen. „Der Feind ist nicht der Radsport, der Feind ist nicht dieses Rennen, der Feind ist das Doping.“

Tour-Chef Prudhomme agiert auf Grundlage der Annahme, dass Doping eine Art Krankheit ist, von der man den Radsport kurieren kann. „Die Mehrheit der Fahrer geht ordentlich ihrem Beruf nach, und diesen Männern schulden wir ein entschlossenes Vorgehen gegen die Betrüger“, sagt er. Nötig ist diese Rhetorik, weil der Dopingfall Riccardo Ricco einmal mehr den gegenteiligen Eindruck erweckt hatte. Nach den Fällen Beltran, Duenas und Ricco kann man sich kaum mehr des wiederaufkeimenden Generalverdachts gegen diesen Sport erwehren.

Vielleicht sind Doping und Radsport doch nicht voneinander zu unterscheiden. Etwas anderes konnte man nach den Skandal-Rundfahrten 2006 und 2007, den Geständnissen von Betreuern und Fahrern sowie der Aufdeckung von Doping-Netzwerken bis hinein in Universitätskliniken kaum denken. Nun, bei der angeblichen Tour der Erneuerung, sprechen immer noch viele Indizien dafür.

Da ist etwa die sture Unbelehrbarkeit gerade von jungen Fahrern wie Ricco. Der erst 24-Jährige hat sich offenbar von klein auf bis zu seiner Verhaftung in einem Umfeld bewegt, das den Betrug deckte und ermutigte. Dazu passt, dass auch Riccos Team-Kollege Leonardo Piepoli, am Montag noch Sieger der schwersten Pyrenäen-Etappe, unter Verdacht steht und bereits von seinem Team Saunier Duval entlassen wurde. Der Generalverdacht lebt auch deshalb wieder auf, weil bei allen drei überführten Dopern Starkmacher einer neuen Generation festgestellt wurden. Bei Ricco etwa fand man Spuren von Cera – einem Blutdopingmittel der „dritten Generation“. Offenbar nahm Ricco das Medikament in dem Glauben, er sei den Dopingjägern einen Schritt voraus. Der Fund legt die Vermutung nahe, dass im Radsport nicht weniger gedopt wird als früher, nur mit verfeinerten Methoden. Der französische Anti-Doping-Experte Gerald Dine und sein deutscher Kollege Werner Franke sind sich einig, dass nur ein geringer Prozentsatz derjenigen, die mit Mitteln wie Cera hantieren, auch erwischt werden. Der Grund: Die heutigen Tests seien unzureichend, um solche Präparate zuverlässig nachzuweisen. Dem widerspricht jedoch Mario Thevis, Dopingforscher an der Sporthochschule Köln. Ihm zufolge sind neue Epo-Präparate wie Cera sehr wohl nachweisbar. Zudem befänden sich die so genannten Epo-Mimetika, also neue Epo-ähnliche Mittel erst im Entwicklungsstadium und seien deshalb für die Sportler vermutlich schwer zugänglich.

Ist es also doch so, dass es sich bei den Riccos, Duenas und Beltrans nur um ein paar „Idioten“ handelt, wie Radverbands-Präsident Pat McQuaid meint? Oder muss man befürchten, dass eine unsichtbare Mehrheit mit nicht nachweisbaren Chemikalien im Blut durch die Lande radelt? Zumindest den Mannschafts- und Leibärzten der Fahrer ist zuzutrauen, Kontakte zu Forschungslabors zu unterhalten und somit Zugang zu noch nicht marktgängigen Produkten wie den neuen Epo-Mimetika zu haben. Sandro Donati, Mitabeiter der Welt-Anti-Doping-Agentur und des italienischen Gesundheitsministeriums, glaubt jedenfalls, dass die Mediziner, die mit den Athleten zusammenarbeiten, „direkte Drähte in pharmazeutische Forschungslabors“ haben. Dafür spricht, dass die Gendarmerie im Hotelzimmer von Duenas unter anderem das Mittel „ADP“ fand, das auf dem französischen Markt nicht zugelassen ist.

Eines ist zumindest sicher: die Existenz einer unverminderten kriminellen Energie im Radsport.

Sebastian Moll[Nimes]

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