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"Aufgepumpt": Spritzenreiter - Doping im Fußball

Doping im Fußball – das bringt nichts. Von wegen! Medizinisch macht eine Blutauffrischung Sinn. Und es gibt Indizien für Medikamentenmissbrauch auf dem heiligen Rasen.

Die am häufigsten entdeckten Dopingmittel bei Fußballern sind Cannabis und Kokain

Willkommen, König Fußball, in der Realität! Der Deutsche Fußball-Bund will seine Dopingkontrollen verbessern und die Welt- Anti-Doping-Agentur will zum Plausch beim DFB vorbeikommen, um den Oberen zu verklickern, wie so ein Dopingtest funktioniert. Dabei ist klar: Sportler in Deutschland stehen unter Doping-Generalverdacht. Nur lautet die Frage nach dem Hoffenheimer Doping-Testfall: Sind Fußballer etwa keine Sportler?

Vielleicht hat der Fußball nur Glück. Sein Finanzier, der Fan, ist in der Regel Nostalgiker. Begeistert verfolgen Fans zum 100. Male Helmut Rahns Tor vom Sommer 1954 in Bern und reagieren empört, wenn einer den „Helden von Bern“ eine Dopinggeschichte anhängen will. Wie der damalige Berner Platzwart, der beim Aufräumen nach dem Spiel leere Ampullen fand.

Gibt es im Fußball eine Denkblockade in Sachen Doping? Wenn ja, muss man nur mal selbst Indizien sammeln, Fragen stellen. Das macht bei diesem Thema leider kaum jemand.

Heute, im Zeitalter des paneuropäischen Blutaustausches, kann man schon an unseren Rasenhelden zweifeln, wenn die nicht gerade als die am besten trainierten Sportler bekannten Fußballer gar so schnell und rastlos über den Rasen flitzen. Letztmalig bei den Russen – ein Land unter Doping-Generalverdacht –, als die bei der EM im vergangenen Sommer die Holländer in der Verlängerung stehen ließen wie einst der US-Radler Floyd Landis am Col de la Colombière die Konkurrenz. Wieso sollen also ein Blutaustausch oder ein paar geschickt gesetzte Ampullen Epo oder Cera nur einem Biathleten oder einem Radfahrer, nicht aber einem Fußballer helfen? Dem pharmakologisch ausgesprochenen Befehl durch diese Stoffe würde jeder Körper gehorchen, mit postwendend mehr Sauerstofflieferung in die Muskeln, mit denen ausdauernde – sprich weniger trainingsfleißige – Sportler schneller und länger rennen.

Sind Fußballer nicht auch zeitweilig Sprinter und zeitweilig Ausdauersportler? Selbst Zinedine Zidane, ein Star des durchdachten Spiels, hatte offenbar die Vorzüge Schweizer Kurorte erkannt und soll dort, laut Aussagen seines Freundes Johnny Halliday, zweimal pro Saison sein Blut aufgefrischt haben. Selbst Genies müssen laufen im Fußball. Beim einst so renommierten Fußballklub Juventus Turin, dem Zidane auch mal diente, wurde Epo-Doping sogar gerichtsfest bestätigt.

Medizinisch jedenfalls machen im Fußball Epo-Einnahme und Bluttransfusionen Sinn. Ist so womöglich auch das eigenartige Verhalten der Justizbehörden im fußballverrückten Spanien zu erklären, die nicht wirklich zur Aufklärung der Fuentes-Blutdopingaffäre beitragen wollen? Den hartnäckigen Gerüchten, dass Fußballstars auf den giftigen Listen stehen, wurde nie offensiv nachgegangen.

Rudi Völlers bekanntester Ausraster vor deutschen Fernsehzuschauern war auch nicht sein wichtigster. Bei Marseille, wo er eine Zeit lang seine Brötchen verdiente, soll er mal ausgerastet sein, als er sich, wie seine anderen Mannschaftskollegen auch, eine Dopingspritze verpassen lassen sollte. Der einstige Spieler Jean-Jacques Eydelie, von dem wir das wissen, berichtet noch Schlimmeres: In Sion will er vor seinem ersten Spiel gesehen haben, wie die beiden jüngsten Spieler Infusionen mit Rinderblut erhielten. Vielleicht versteht man nach solchen Berichten besser, warum Radfahrer lieber eine Uniklinik beauftragten: Menschenblut ist schließlich weniger gefährlich.

Ob dieser erschreckenden Details fällt einem auch wieder die bis heute nicht erklärte Häufung von Fällen amyotropher Lateralsklerose bei italienischen Fußballprofis auf. Auslöser dieser unheilbaren Nervenkrankheit können laut Experten zu hohe Belastung, Stress, aber auch mögliche Dopingfolgen sein. An der Krankheit, die auch den Ausnahmephysiker Stephen Hawking plagt, starb 2005 der Bundesligaprofi Krzysztof Nowak. Ein Zusammenhang mit Doping ist bei diesem Fall nicht erwiesen. Dennoch: Bluttests wären auch im Fußball angebracht. Schon für den Gesundheitsschutz.

Epo im Fußball ist bisher nicht nachgewiesen worden, außer bei Juventus – und dort nur nachträglich nach Durchsicht der Akten und nicht durch eine Messung des Epo durch ein Dopinglabor, wie es heute verlangt wird. Doch Blutdoping wird, wenn überhaupt, nur sehr vereinzelt im Fußball geprüft. Um sicher zu sein, braucht man die Blutwerte der Spieler; wenn nicht aus Dopingtests, dann aus den Unterlagen beim Vereinsarzt – mit dem Nachweis aus dem verantwortlichen Labor natürlich.

Bei anderen Stoffen ist ihr Gebrauch im Fußball nachgewiesen: Platz eins und zwei der Dopingstatistik des Weltverbandes Fifa weisen Cannabis und Kokain aus. Die Fälle werden von der Fifa mit dem Gebrauch in der Freizeit erklärt, weil ja diese Stoffe angeblich beim Fußballspiel nichts bringen. Freizeitdrogen wie Kokain sind nichts für das edle Fußballspiel, sagt man. Ohne dass man jemals den Beweis angetreten hätte. Fest steht, dass High-Tech-Dopingmixturen mit beigemischten Freizeitdrogen längst wieder zum Alltag im Spitzensport gehören, nicht nur bei Radfahrern.

Die Bronzemedaille in der Fifa-Dopingstatistik bekommen die anabolen Steroide, früher als die Muskelmacher in aller Munde. Nun, ausgesprochene Bodybuilder sehen wir in der Bundesliga kaum. Die moderne Dopinghistorie lehrt uns über die Beliebtheit dieser Droge aber noch etwas anderes: Sie ermöglicht schnelle Regeneration nach großen Anstrengungen und Verletzungen. Etwas anderes scheint den besonderen Reiz dieser illegalen Einnahme auszumachen: Förderung der Aggression und Belastbarkeit im Training, vielleicht ja auch im Spiel. Bei Holland-Kapitän Frank de Boer, seinem Kollegen Edgar Davids, dem Franzosen Christophe Dugarry und – siehe da – einem Nürnberger namens Thomas Ziemer (er hatte den höchsten jemals gemessenen Wert für ein Anabolikum) wurden diese Stoffe nachgewiesen. Natürlich sahen sie sich als Opfer von verseuchten Nahrungsergänzungsmitteln. Wie dem auch sei, die Fälle belegen zumindest, dass auch Fußballer offenbar vieles vertilgen, was nur den minimalen Ruf einer leistungssteigernden Wirkung haben könnte, einer legalen zunächst einmal. Der Sprinter Dwain Chambers teilte der Öffentlichkeit gerade mit, dass er bis zu 300 verschiedene Doping-Cocktails geschluckt hatte. Auch das wahrscheinlich massenhafte Doping im amerikanischen Baseball, bei dem wie im heutigen Fußball Kraft und schnelle, kurze Sprints den Erfolg ausmachen, zeigt, wie sehr man die Ausflüchte der Herren de Boer, Dugarry und Ziemer anzweifeln kann. Die Beliebtheit der anabolen Steroide hatte man auch schon 1998 in Turin im Visier von Ermittlungen, nachdem Trainer Zdeneck Zeman Doping und Medikamentenmissbrauch im Fußball angeprangert und den Muskelzuwachs von Juve-Star Alessandro Del Piero offen als unnatürlich bezeichnet hatte.

Wie oft und mit welchen Mitteln im Fußball gedopt wird, kann bei seriöser Betrachtung nicht gesagt werden. Unseriös ist es hingegen, ein Denkverbot auszusprechen, nur weil selbst die Kanzlerin inzwischen Fußballjunkie geworden ist. Richtig ist: Allein an einem Bundesligaspieltag werden „pro aktiven Athleten“ mehr Dopingtests durchgeführt als etwa an einem Tag bei der Tour de France. Ob es aber wirklich genügend Tests gibt, sollte von einem seriösen Mathematiker in einem anspruchsvollen Modell nachgerechnet werden. Daten aus dem Fußball wären auch für das weitere Verständnis der Dopingmittel und den wissenschaftlichen Umgang mit ihnen von Bedeutung.

Erst abgeschlagen auf Platz vier der Fifa-Dopingstatistik sind die Stimulanzien gelandet. Das überrascht. Eine dem Pharmakologen zunächst absurd erscheinende Mixtur – Captagon (die Wunderdroge der Sechziger- und Siebzigerjahre) gemischt mit Alkohol – soll bei Fußballern Wunder gewirkt haben. So behauptete es Trainer Peter Neururer einmal, nahm es inzwischen aber wieder zurück. Bei Roland Wohlfarth wies man – im Trikot des VfL Bochum spielend – Norephedrin nach. Er hatte sich aus der Apotheke diesen Appetitzügler besorgt, der so nebenbei auch als Stimulanz wirkt.

Was die Fifa-Dopingstatistik unter „Verschiedene“ anführt, sind Stoffe wie Salbutamol, Clenbuterol – gemeinhin als ein „bisschen anabol“ bekannt – oder auch die entzündungshemmenden Corticosteroide. Die den Schmerz und Entzündungen hemmenden Corticosteroide jedenfalls waren schon öfter Anlass für Sperren im deutschen Fußball. Bei der Tour de France nehmen viele Fahrer, alles beklagenswerte Menschen mit ihrem Belastungsasthma, solche Stoffe mit Ausnahmegenehmigung ein. Den Vorwurf des Schmerzmitteldopings, wie er in anderen Sportarten längst nachgewiesen ist, weisen prominente Fußballer und Funktionäre vehement zurück.

Fußballer, die schier unmenschliche Schmerzen ertragen und mit gebrochenen Knochen oder gar ausgerenkten Halswirbeln auf dem Fußballfeld verbleiben, kennen wir. Sie werden bestaunt und als wahre Helden gefeiert. Vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht.

Fritz Sörgel ist einer der bekanntesten Pharmakologen und Dopingexperten Deutschlands. Er leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg.

Das Stimulanzmittel Captagon soll bei Fußballern Wunder gewirkt haben

Fritz Sörgel

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