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Tour de France: Dschamolidin Abduschaparow

Es ist so wie es ist: Radsport ist zur Charakterfrage geworden. Hätte mich mein Vater doch damals nur nicht zur Friedensfahrt geschleift.

Wenn ich es mir so recht überlege, dann muss ich meinem Vater die Schuld in die Schuhe schieben. Schließlich war er es doch, der mich im zarten Alter von fünf Jahren zur Friedensfahrt geschleift hat, als Olaf Ludwig und Zenon Jaskuÿa zufällig durch unser kleines Provinzkaff kamen. Gelohnt hätte sich dieses Vater-Sohn-Ding nämlich nur, wenn die Herren Protagonisten, diesen mit Wohlwollen auf dritte Kategorie geschätzten Berg, in umgehrter Richtung geradelt wären – denn so blieb es lediglich bei einem kurzen Luftzug. Und schon waren sie wieder weg. Danach stand ich nie wieder am Straßenrand. Und der Plan, irgendwann zur Tour zu fahren, hat sich überlebt.

Mein Vater war es auch, der mir mal dieses Kistchen geschenkt hat – von Opa noch –, in dem sich viele bunte Rennfahrer aus Plaste befanden. Die stellte man früher nämlich auf, um dem Auge eine leise Ahnung vom Rennverlauf zu geben. So war das früher noch üblich; früher, als es noch keine Helikopter und Trikotsponsoren gab, geschweige denn Fernsehapparate. Radio war noch angesagt: Da war die Reporterstimme noch Legende und die aktuellste Durchgabe des Vorsprungs der Ausreißer auf das Peloton eine Angelegenheit von wenigen Zentimetern. Auf dem Teppich im Flur lag die Hoffnung. In Form von kleinen sich scheinbar bewegungslos duellierenden Plastefahrern.

Eigentlich, wenn ich noch einmal darüber nachdenke, sollte ich meinem Vater lieber danken. Für die unvergesslichen Zehntelsekunden, in denen ich lernte, dass es nicht unbedingt besser ist, sich in der großen Gruppe abzustrampeln. Für die erste Begegnung mit dem Sprintertitan Dschamolidin Abduschaparow. Und später für den Einführungskurs in Sachen Videotext… – nein, eigentlich ist mein Vater aus dem Schneider. Er hat es nur gut gemeint mit mir. Früher ging es ja noch mit rechten Dingen zu. Nur wem bitte soll ich jetzt die Schuld dafür geben, dass ich mich der Tour auch in diesem Jahr nicht ernsthaft verweigern kann?

Kommentiert von Paul Linke

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