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Alfons Hörmann, 53, ist seit Dezember neuer DOSB-Präsident. Der Allgäuer Unternehmer und Sportpolitiker war von 2005 bis 2013 Präsident des Deutschen Ski-Verbandes (DSV).

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DOSB-Präsident Hörmann im Interview: "An Heiligabend wird auch Blatter nichts ändern"

Der neue Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, will, dass die Fußball-WM 2022 in Katar im Herbst stattfindet. Von einer neuen Ausschreibung hält er nichts.

Herr Hörmann, können Sie Politiker verstehen, die nicht zu diesen Olympischen Winterspielen nach Sotschi fahren?
Ich kann sie verstehen, aber ich kann die mindestens genauso gut verstehen, die hinfahren.

Was haben Sie gedacht, als Bundespräsident Gauck erklärt hat, dass er nicht nach Sotschi fährt?
Dass es schade ist. Weil ich mit Bundespräsident Köhler 2006 einen Tag in Turin unterwegs war und weiß, wie motivierend das für die Sportler und Trainer war. Vier Jahre später war Köhler nicht in Vancouver und es hat keinen Menschen interessiert. Aber für uns ist es eine in jeder Hinsicht erfreuliche Ersatzkonstellation, dass Herr Gauck die Olympiamannschaft bei ihrer Rückkehr in München begrüßen wird und ihr damit die verdiente Anerkennung gibt.

Der Sport muss einige politische Debatten aushalten. Braucht der Sport andere Vergabekriterien für Großveranstaltungen?
Wenn Sie so fragen, nein. Weil die Vergabekriterien nicht das Problem waren, sondern das, was der Veranstalter aktuell daraus macht. Die Vergabekriterien sagen nicht, dass man 40 Milliarden Euro ausgeben muss, um Olympische Winterspiele zu veranstalten. Das haben wir auch rund um die Münchner Olympiabewerbung immer wieder diskutiert. Wenn Sie fragen: Muss das IOC in der Vergabe von Spielen neu nachdenken, dann bin ich voll bei Ihnen.

Können Sie dieses Nachdenken beim IOC und seinem Präsidenten Thomas Bach erkennen?
Ja, das hat Thomas Bach vor kurzem nach einer Klausurtagung so gesagt. Für die Diplomatensprache des IOC hat er das klarstmöglich formuliert.

Würden Sie sich wünschen, dass die Fußball-WM 2022 in Katar neu ausgeschrieben würde?
Die Vergabe ist erfolgt und jeder, der weiß, was eine Änderung nach sich ziehen würde, erkennt, dass das schlichtweg unvorstellbar ist.

Haben Sie den Eindruck, dass Katar und Sotschi die Bürger in Bayern bei ihrem Votum gegen Winterspiele in München beeinflusst haben?
Je länger die Niederlage zurückliegt, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass das die entscheidenden Kriterien waren. Denn bis heute hat niemand große Angriffspunkte gegen das Münchner Bewerbungskonzept formuliert. Die Gegner haben sportliche Großveranstaltungen gekonnt miteinander vermengt. Und plötzlich ist Katar auf den Tegernsee und Sotschi auf den Chiemsee transferiert worden.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar findet vielleicht sogar im Winter statt. Was können Sie tun, um das zu verhindern?
Wenig bis nichts. Jeder Tag mehr Nähe zur Fußball-WM wird zum Problem für den Wintersport. Aber vielleicht gibt es ja eine verspätete WM, also im Herbst oder Winter 2022/2023. Das wäre mir allemal lieber, weil wir da einen größeren Abstand zu den Olympischen Winterspielen 2022 hätten. Unter vielen schlechten Varianten wäre das die am ehesten akzeptable. So oder so wird es eng, denn an dem System, dass Heiligabend am 24. Dezember ist, wird wohl auch Herr Blatter nichts ändern.

Derzeit halten viele eine WM im November und Dezember für wahrscheinlich.
Dann kommt das erste Drittel der Wintersportsaison unter die Räder. Da reichen die Vorrundenspiele der WM aus, damit Bob, Rodeln und die nordische Kombination nicht mehr in den Medien stattfinden. Was das heißt für den einen oder anderen Weltcup, kann sich jeder vorstellen.

"Für mich sind klare Zielformulierungen die Basis für gute Leistungen."

Mit den Größten am Ball. In seinem neuen Amt als DOSB-Präsident trifft Alfons Hörmann (r.) auf die wichtigsten Entscheidungsträger der internationalen Sportpolitik. Bei der Geburtstagsfeier des neuen IOC-Präsidenten Thomas Bach interessierte er sich mit dessen Vorgänger Jacques Rogge (l.) für den neuen WM-Fußball.
Mit den Größten am Ball. In seinem neuen Amt als DOSB-Präsident trifft Alfons Hörmann (r.) auf die wichtigsten Entscheidungsträger der internationalen Sportpolitik. Bei der Geburtstagsfeier des neuen IOC-Präsidenten Thomas Bach interessierte er sich mit dessen Vorgänger Jacques Rogge (l.) für den neuen WM-Fußball.

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Ist die deutsche Zielvorgabe für Sotschi mit 30 Medaillen realistisch?
Es ist keine Vorgabe, sondern eine Vereinbarung von DOSB und Verbänden, die ich zugegebenermaßen als sehr ambitioniert und hoch empfinde. Es muss sehr gut laufen, dass wir das Ergebnis von Vancouver noch mal erreichen.

Welchen Sinn macht eine solche Zielvorgabe?
Sie liegt durchaus noch im realistischen Bereich. Wenn man aber Chance und Risiko abwägt, halte ich die Chance für weit geringer als das Risiko, dass es ein paar Medaillen weniger werden. Das heißt aber nicht, dass der Präsident die Zielvorgabe einkassiert. Um das Ziel zu erreichen, braucht es schon einige Medaillen, mit denen man nicht rechnet. Die gibt es aber auch immer wieder, schauen Sie Michael Greis im Biathlon an oder Georg Hettich in der Nordischen Kombination. Beide hatte 2006 in Turin niemand mit jeweils drei Medaillen auf dem Zettel.

Halten Sie die Zielvereinbarungen für alternativlos?
Diesen Luxus kann sich nur die Bundeskanzlerin leisten, von alternativlos zu sprechen. Für mich sind klare Zielformulierungen die Basis für gute Leistungen. Ich schmunzele nur über die These, dass man da jemanden zusätzlich unter Druck setze. Als unser Eiskunstlauf-Paar Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy kürzlich nach ihrem Ziel für Olympia gefragt wurde, sind sie fast von der Bühne gefallen. Denen geht es um Gold. Punkt. Aus. Wir reden über Weltspitzenleistungen. Wer da Probleme mit Zieldefinitionen hat, ist fehl am Platz.

Was bringt es uns als Gesellschaft, wenn wir viele Medaillen gewinnen?
Da bekommen Sie eine ökonomische Antwort. Wenn die Erfolge im Spitzensport nicht mehr da sein werden, wird es für uns schwerer, das Niveau der heutigen Spitzensportförderung zu halten. Dann gibt es insgesamt eine Erosion. Denn die Politik wird uns fragen: Was macht ihr mit dem ganzen Geld?

Ist jede Goldmedaille für Sie gleich viel wert?
Da unterscheidet sich das System DOSB vom Deutschen Ski-Verband. Im DSV sind Skispringen und Ski alpin marketingtechnisch und wirtschaftlich von besonders großer Bedeutung. Da wäre mir Gold von Maria Riesch oder Felix Neureuther lieber als die vierte Goldmedaille im Biathlon. Im DOSB dagegen haben wir ein Höchstmaß an Neutralität zu wahren. Da ist jede Medaille gleich willkommen. In der Politik fragt niemand, wer die Medaille gewonnen hat.

Also zählt auch die x-te Goldmedaille im Frauenrodeln gleich viel, obwohl sie auch deshalb zustande kam, weil wir mehr Bobbahnen haben als alle anderen Länder und unsere Kufen in einem steuerfinanzierten Institut gebaut werden?
Aus DOSB-Sicht, ja. Im Rodeln schaffen wir, Sie haben es ja selbst gesagt, gemeinsam mit der Politik die besten Voraussetzungen. Die Argumentation lautet also: Wir müssen nur die richtigen Weichen stellen, dann kommen auch die Erfolge. Ob man die will, das ist eine philosophische Frage. Was ist es der deutschen Nation wert, Sportler siegen zu sehen und die Nationalhymne zu hören? Da gibt es auch bei uns in der großen Sportfamilie welche, denen die Preisverleihung für ein Vereinsteam mit dem Goldenen Stern für jahrelange Arbeit im Breitensport mehr bedeutet, als wenn ein Topverdiener wieder seine Goldmedaille um den Hals gehängt bekommt.

Und was denken Sie?
Ich muss mich da nicht festlegen. Meine Überzeugung ist: Ohne die Sterne an der Basis gibt es oben die Medaillen nicht. Und umgekehrt verlieren die Sterne an der Basis ohne die Medaillen ganz oben ihren Glanz. Die beiden geben sich gegenseitig Gewicht und Wert.

"Die Politik wird fragen: Was macht ihr mit dem Geld?"

Der Sport hat vom Bundesinnenministerium mehr Geld gefordert, doch der letzte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat eher vom Sparen geredet. Werden die Verhandlungen über die Sportförderungen Ihre erste politische Bewährungsprobe?

So würde ich es nicht sagen. Die Gespräche bauen ja auf jahrzehntelangen Gesprächen auf. Ich sehe nun in der Personalie Thomas de Maizière als für den Sport zuständigen Bundesminister eine sehr erfreuliche Konstellation. Wir haben im DSV über Jahre tolle Gespräche geführt. Im vergangen Jahr hat er uns als Verteidigungsminister völlig überraschend mit seinem Sohn bei der Ski-WM in Schladming besucht, und zwar ohne Polizeieskorte.

Gemeinsam mit Trainern und Athleten haben sie dann stundenlang und leidenschaftlich über den Sport und seine Anforderungen diskutiert. Werden Sie von ihm denn mehr Geld bekommen?
Ich sehe es zweigeteilt: Es muss vonseiten der Politik an der einen oder anderen Stelle zusätzliche Unterstützung geben und wir müssen die Frage beantworten, wo wir selbst die Strukturen und Prozesse verbessern und effizienter gestalten können.

Herr Hörmann, Sie haben einmal gesagt, dass Sie 200 Tage im Jahr unterwegs sind.
Das reicht nicht. Mehr als 200 Nächte bin ich nicht daheim. Diese Zahl dürfte sich jetzt noch einmal nennenswert erhöhen.

Welchen Teil Ihrer Arbeit nimmt der DOSB ein?
In den ersten Wochen und Monaten wohl mehr als 70 Prozent der Lebenszeit.

Warum wollten Sie DOSB-Präsident werden?
Ich will die sportpolitischen Erfahrungen, die ich über alle Ebenen des nationalen Skiverbandes und international als Vizepräsident der Internationalen Biathlon-Union und Vorstandsmitglied des Internationalen Skiverbands gesammelt habe, in das gesamte deutsche Sportsystem einbringen. Und mit einem starken Team im Ehren- und Hauptamt des DOSB einen Beitrag leisten, um den deutschen Sport professionell weiterzuentwickeln.

Bisher haben Sie eher sportfachlich und wirtschaftlich gearbeitet. Hatten Sie Bedenken, weil das neue Amt so politisch ist?
Eigentlich nicht. Ich habe vor Jahrzehnten in der Kommunalpolitik angefangen. Das ist eine gute Basis. Und mit dem DSV waren wir mit den Bundesländern in sehr engem Kontakt bis hin zu drei großen Weltmeisterschaften und zur Olympiabewerbung. Dass die politischen Besprechungen manchmal etwas weniger erquicklich sind als die im wirtschaftlichen Bereich, ist klar. Aber wenn es um Millionen geht, weiß ich nicht, welches Gespräch schwieriger ist, das mit einem Minister oder einem Sponsor.

Dennoch haben Sie am Anfang gesagt, Sie wollten ihr sportpolitisches Profil erst gemeinsam mit den Mitgliedern entwickeln.
So ist es und nur so geht es.

War das Profil also noch gar nicht vorhanden?
Ich hätte auch klarere Worte finden können. Aber über die Unterstellung, es sei kein sportpolitisches Profil vorhanden, musste ich etwas schmunzeln. Weil man mir vor einigen Jahren noch genau das Gegenteil vorgeworfen hatte. Da hieß es, ich solle an mancher Stelle mal lieber etwas zurückhaltender formulieren. Und plötzlich wirst du zum Konturlosen. Das ist ein Vorwurf, der mir nun zum ersten Mal im Leben begegnet ist.

War es also eine strategische Freundlichkeit?
Nein, mit dem lauten Poltern kommt man in der Sportpolitik nicht ans Ziel. Ich stelle auch fest, und das ist eher lebensphilosophisch: Je älter ich werde, desto weniger Antworten habe ich, aber umso mehr Fragen. Wie komme ich außerdem dazu als neuer Präsident, der sechs Wochen vor seiner Wahl selbst nichts von seiner neuen Rolle wusste, Deutschland mit einem Hörmann-Sportkonzept zu beglücken? Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Interessenslagen zu analysieren und dann mit allen Beteiligten – und das sind viele – Konzepte zu entwickeln. Deshalb mache ich im Moment die große deutsche Rundreise durch die Bundesländer, Fachverbände und Stützpunkte.

Wie weit sind Sie da?
Gerade habe ich mit den Präsidiumsmitgliedern der Landessportbünde Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen diskutiert. Und ich habe zum Beispiel mit Robert Harting ein Vieraugengespräch geführt, weil ich auch mit einem Athleten reden wollte, der dem System eher kritisch gegenübersteht. In solchen Gesprächen lernt man nämlich am meisten.

Was denn?
Welche Sorgen die Athleten beschäftigen und vielleicht auch lähmen. Wie es um den Trainerberuf steht. Haben wir eine vernünftige Bezahlung? Das müssen wir nun mit der Bundesregierung diskutieren.

"Aus kritischen Athleten sind die wertvollsten Führungskräfte geworden."

Künftige Führungskraft? Robert Harting sprach mit Alfons Hörmann über die Zukunft des Sports.
Künftige Führungskraft? Robert Harting sprach mit Alfons Hörmann über die Zukunft des Sports.

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Haben Sie mit Harting auch über seine Sportlotterie gesprochen?
Ja. Er hat mir ausführlich erklärt, was seine Argumente für die Lotterie sind, und ich habe ihm erklärt, unter welchen Kriterien wir als DOSB mitmachen würden. Dazu wollen wir noch mal ein Gespräch führen und schauen, ob eine gemeinsame Arbeit Sinn macht oder ob wir in diesem Fall lieber getrennt marschieren, aber vereint schlagen.

Hat sich das Gespräch gelohnt?
Mit jedem Gespräch mit einem Querkopf gewinnst du wertvolle Erkenntnisse. Was habe ich früher mit Michael Greis diskutiert, stundenlang. Und jetzt eben mit Harting. Sein Werdegang ist beeindruckend: Wie er aus der Platte in Cottbus kam, wie er seine Karriere aufgebaut und finanziert hat. Ein beeindruckender Lebensweg mit viel, viel Willenskraft – er hat meine Hochachtung.

Ganz unabhängig davon, dass Sie jetzt Gespräche führen: Was ist Ihnen selbst wichtig am Sport?
Ich halte den Sport neben kirchlichen und sozialen Themen für einen der ganz wichtigen Bereiche einer intakten Gesellschaft. Das geht von den Sternen des Sports bis hin zu den Medaillen.

Aber gibt es innerhalb der großen Bandbreite des Sports mit Spaß, Leistung, Integration, Gesundheit etwas, an dem Sie emotional besonders hängen?
Vom bisherigen Werdegang liegt mir natürlich das Thema Leistung, also Leistung erbringen, Leistung honorieren. Ich habe gerade ein Schreiben bekommen, in dem sich eine Frau bitterböse beim DOSB beschwert, weil die Übergabe der Urkunden nach dem 50. Mal Sportabzeichen geändert wurde. Da sieht man, dass das Thema Honorierung und Anerkennung von Leistung nicht nur den Olympiasieger Robert Harting beschäftigt. Wir sind ein leistungsorientiertes Land und werden so auch weltweit gesehen. Wenn wir in eine Leistungslosigkeit abrutschen würden, wird es auch für unsere Vereine und die Basis ungemein schwer, gehört zu werden.

Warum glauben Sie das?
Nehmen Sie wieder Robert Harting als gutes Beispiel. Wer hat sich schon vor einigen Jahren mit dem Thema Diskuswerfen beschäftigt? Das schaffen Sie nur, wenn Sie Typen wie ihn haben. Matthias Steiner ist ein weiteres Beispiel. Plötzlich war Gewichtheben aufgrund seiner emotionalen Familiengeschichte ein Thema, und der Sport gewann ebenfalls an Interesse. Harting hat in unserem Gespräch ein düsteres Szenario entworfen: In zehn Jahren werde der Leistungssport in Deutschland nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Was haben Sie entgegnet?
Dass ich ihn herzlich einlade, selbst einen Beitrag dagegen zu leisten, nicht nur als Athlet, sondern indem man ihn nach seiner Karriere irgendwie einbindet.

Als persönlicher Berater des DOSB-Präsidenten?
(lacht) Ich bin Verfechter davon, Athleten so früh, so schnell, so intensiv wie möglich einzubinden. Miriam Vogt und Peter Schlickenrieder sind jetzt in meinem Windschatten Vizepräsidenten des DSV geworden. Sie könnten jetzt Präsident sein, wenn sie die Zeitbudgets dafür hätten. Aus kritischen Athleten von früher sind die wertvollsten Führungskräfte im Verband geworden. Wenn sie dann im System aktiv mitarbeiten, vollziehen sie innerhalb kürzester Zeit eine Wandlung. Und siehe da, plötzlich wird aus den vermeintlich unvereinbaren Standpunkten ein ganz vernünftiger gemeinsamer Nenner.

Das Gespräch führten Friedhard Teuffel und Benedikt Voigt.

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