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Sport: Drei Türmchen und ein König

In der deutschen Nationalmannschaft können sich nur wenige Spieler ihrer Rolle sicher sein

Auf einem Felsen, ein wenig oberhalb der Altstadt, liegt das Wahrzeichen Bratislavas: die Burg, ein kantiger und trutziger Bau mit vier Türmen, der zu großen Teilen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammt. Das Besondere an diesem Bau ist, dass einer der vier Türme dicker, größer und prächtiger ist als die anderen drei. Es ist der so genannte Königsturm, den Kaiser Sigismund errichten ließ und in dem einst die Krönungsinsignien verwahrt wurden.

Wie mit der Burg Bratislava verhält es sich auch mit der Viererkette der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Es gibt drei Türmchen und einen König. Der König heißt Per Mertesacker, spielt bei Hannover 96 und ist mit seinen 20 Jahren schon gar nicht mehr wegzudenken aus der deutschen Abwehrformation. 13 Länderspiele hat er seit seinem Debüt im vorigen Oktober bestritten, und es ist schwer vorstellbar, dass es mal eine Nationalmannschaft ohne Mertesacker gegeben hat. „Der Per ist im Moment gesetzt“, hat Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor dem gestrigen Länderspiel gegen Slowenien in Bratislava (bei Redaktionsschluss nicht beendet) gesagt.

Es gibt nicht viele deutsche Nationalspieler, die das zurzeit über ihre Stellung bei Jürgen Klinsmann behaupten können. „Wir haben einen Stamm von 14, 15 Spielern“, sagt Klinsmanns Assistent Joachim Löw. Aber gesetzt sind wenige. Michael Ballack natürlich, der Kapitän, und vielleicht Bernd Schneider, den Klinsmann über alle Maßen schätzt und für den er noch immer ein Plätzchen in seiner Mannschaft gefunden hat, im Zweifel hinten links in der Viererkette. Der Rest? Muss kämpfen. Inklusive Oliver Kahn.

Neun Monate sind es noch bis zum Beginn der Weltmeisterschaft, sechs Länderspiele bleiben Klinsmann nach dem Auftritt in Bratislava, bis er seinen 23-Mann-Kader für das Turnier benennen muss, weitere zwei bis zum ersten Spiel bei der WM, und mit jeder Partie wird der Ruf anschwellen, dass der Bundestrainer doch jetzt bitte langsam mal seine Stammformation präsentieren möge, die sich wenigstens noch ein bisschen einspielen kann. Michael Ballack sagt: „Ich stehe dem Konkurrenzkampf positiv gegenüber.“

Klinsmann und Löw denken gar nicht daran, von ihrer generellen Linie abzuweichen. Im Gegenteil. „Die Experimentierphase wird auf der einen oder anderen Position noch weitergehen“, sagt Löw. Und je näher die WM rückt, desto intensiver wollen sie den internen Wettstreit geführt sehen. „Der Kampf um die Plätze geht jetzt los“, sagt Klinsmann. „Die Spieler müssen sich zeigen.“ Wer das nicht tut, dem ergeht es wie Robert Huth, der vor der Entdeckung von Mertesacker kurzzeitig das Fach des hoffnungsvollen Jungverteidigers besetzte, nach seinen jüngsten Darbietungen allerdings eher als Tanzbär mit koordinativen Schwächen gilt. Huth wurde von Klinsmann in die U 21 relegiert, „damit er fühlt: Es tut sich unheimlich viel“.

Der Fall Huth ist auch eine Warnung an den Rest der Mannschaft. Bisher hatte es immer noch etwas Theoretisches, wenn Klinsmann davon gesprochen hat, dass die Spieler in der WM-Saison regelmäßig in ihren Vereinen spielen müssten. Jetzt aber hat die WM-Saison begonnen, und Bastian Schweinsteiger ist bei den Bayern noch nicht eine Minute in der Bundesliga zum Einsatz gekommen. „Trotz allem machen wir uns da nicht allzu große Sorgen“, sagt Löw. „Das sind normale Anpassungsschwierigkeiten.“

Schweinsteiger und Lukas Podolski fehlten im Aufgebot für das Länderspiel in Holland, dafür holte Klinsmann Christian Wörns und Dietmar Hamann zurück, der wiederum für die Begegnung in Bratislava nicht eingeladen wurde. Stattdessen sind Marcell Jansen (Mönchengladbach) und Lukas Sinkiewicz (1. FC Köln), zwei 19-Jährige, in den Kreis der Nationalspieler aufgerückt, die potenziellen Debütanten zehn und elf in der Amtszeit des Bundestrainers Klinsmann. „Wir haben sie bewusst jetzt eingeladen“, sagt Löw. Die Mannschaft ist knapp zehn Tage zusammen, „und wir haben die Möglichkeit, sie über eine längere Phase im Training zu sehen“.

Außerdem sollen sie den Wettstreit in der Abwehr befördern, die zuletzt als Problemzone der Mannschaft galt. Eine feste Besetzung hat Klinsmann für seine Viererkette noch nicht gefunden, und er glaubt selbst nicht, dass ihm das so bald gelingen wird. „Die Konstellation in der Abwehr ergibt sich ganz allein aus dem Leistungsstand der Spieler“, sagt er. „Solange keine großen Leistungsunterschiede zu erkennen sind, wird die Rotation fortgesetzt.“ Und so lange dürfen sich alle Abwehrspieler Hoffnungen auf eine Nominierung für die WM machen. Christian Wörns, der alte Recke, ist für seine Person sehr zuversichtlich. „Es muss erst mal einen besseren geben“, sagt er. Lukas Sinkiewicz müsste jetzt also wissen, was er zu tun hat.

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