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Sport: Drucklos glücklich

Helge Meeuw kann bei der EM jetzt befreit schwimmen – Gold hat er schon

Nach 100 Metern lag James Goddard, der Brite, in Führung. So ging es natürlich nicht. „Ich habe zu ihm hinübergeschaut“, sagt Helge Meeuw, „das konnte ich nicht zulassen.“ Es war zwar nur ein Vorlauf über 200 Meter Rücken, und Meeuw wäre auch hinter Goddard problemlos ins Halbfinale eingezogen. Aber hier ging es ums Prestige und um eine gewisse Spielerei. Nichts Ernstes, nur ein kleines Privatduell am Freitagvormittag bei den Schwimm-Europameisterschaften in Budapest. Meeuw beschleunigte und schlug nach 1:59,76 Minuten an – als Erster. Der 21-Jährige hat jetzt wieder Sinn für solche Späßchen. „Der Druck ist weg. Ich spüre ein bisschen, dass ich doch nicht ganz so schlecht in Form bin“, sagt er.

Meeuw steht in der Mixed-Zone, dort, wo die Journalisten warten, es ist kühl, er will dringend zum Ausschwimmen. Groß reden will er nicht. Muss er auch nicht. Den entscheidenden Satz hat er schon gesagt: Der Druck ist weg. Am Donnerstagabend hat er Gold über 50 Meter Rücken gewonnen. Das hatte befreiende Wirkung. Am Dienstagabend war er nur Siebenter über 100 Meter Rücken geworden. Da war der Druck da. Er hält den Europarekord über diese Strecke mit 53,46 Sekunden. Jeder, auch Meeuw selbst, erwartete eine Medaille, vielleicht sogar Gold. „Ich weiß auch nicht, woran es lag“, hat er danach gesagt. „Aber der Druck bei einer EM ist halt doch recht groß.“

Er hat seine Rolle noch nicht richtig gefunden. Das liegt auch daran, dass er sie so schnell ausfüllen soll. Er wird seit genau fünf Wochen als das neue männliche Gesicht des deutschen Schwimmsports gehandelt. In Budapest sollte er diese Erwartung bestätigen. Fünf Titel und zwei Europarekorde (100 Meter und 200 Meter Rücken) bei den deutschen Meisterschaften haben ihn in diese Rolle gedrückt. So eine Titelbilanz hat es noch nie gegeben. Doch die puren Zahlen überdecken Feinheiten. Den Europarekord über 100 Meter Rücken erzielte Meeuw als Startschwimmer seiner Vereins-Lagenstaffel, ohne Leistungsdruck. „Es war völlig egal, wie schnell ich da bin, ich konnte völlig locker rangehen“, sagt Meeuw. „Aber hier ist das anders.“ Er blieb mehr als eine Sekunde über seiner Bestzeit.

Manfred Thiesmann, den Bundestrainer, irritiert das nicht sonderlich. „Helge hat Möglichkeiten der Leistungssteigerung, die kein anderer besitzt“, sagt er. Thiesmann hat Meeuw von September 2004 bis September 2005 in der Bundeswehr-Sportschule selber trainiert, und er sagt: „Helge ist reifer geworden.“ Der enorme Aufstieg des Helge Meeuw aus Wiesbaden, Sohn des dreimaligen Staffel-Europameisters Folkert Meeuw, hat viel mit der Psyche zu tun. 2005, kurz vor der WM, trainierte Helge Meeuw in Eigenregie ungewöhnlich hart – gegen den Willen von Thiesmann. „Diese Belastung war er so gewohnt“, sagt der Bundestrainer, „er hat das für sich durchgezogen.“ Und ging damit bei der WM baden. „Ich hätte auf Sie hören sollen“, gestand er Thiesmann später.

Inzwischen hat Meeuw viel geändert, manches verbessert. Er speckte vier Kilo ab, legte Muskelmasse zu, akzeptierte, dass er sich deshalb viel länger dehnen muss, weil er sonst an Gleitfähigkeit einbüßt, und er stellt zielgerichtet Fragen. „Er beschäftigt sich intensiv mit einem Thema, zum Beispiel Ernährung, dann stellt er dazu Fragen“, sagt Thiesmann.

Es gibt einen Helge Meeuw, der locker-ironische Sprüche macht, der viel lacht und ziemlich unbekümmert wirkt. „Er ist sehr beliebt in der Mannschaft, weil er mit jedem spricht“, sagt Thiesmann. „Aber gleichzeitig ist er auch sehr zielorientiert und nachdenklich.“ Dieser Helge Meeuw wird im Herbst sein Medizinstudium beginnen, der Sport muss sich diesem Plan anpassen. „Ich will nicht erst mit Mitte 30 meinen Facharzt machen“, sagt er. Der Sport muss sich bisher schon seinen Berufszielen anpassen. Meeuw hat bis vor Kurzem im Krankenhaus Frankfurt-Höchst ein Praktikum absolviert, oft genug musste er frühmorgens anfangen. In Frankfurt trainiert er jetzt auch „zum ersten Mal unter professionellen Bedingungen“ (Meeuw). Er hat eine 50-Meter-Bahn, eine starke Trainingsgruppe und Stefan Döbler als Trainer. „Ein guter Mann“, sagt der Bundestrainer.

Heute findet das Finale über 200 Meter Rücken statt. Dann ist Schluss mit irgendwelchen Späßchen im Wasser. Denn die Konkurrenz ist enorm. Markus Rogan zum Beispiel, der Olympiazweite aus Österreich über diese Distanz, hat schon angekündigt, dass er seinen Europarekord zurückhaben will. Den hat ihm Meeuw abgenommen. „Dieses Finale“, sagt der Deutsche, „wird knüppelhart.“

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