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Sport: Durch dick und dünn

Ronaldo meldet sich mit einem WM-Rekord zurück

Ronaldo trägt Caprihosen und ein blaues Polohemd, hinten drauf steht ganz klein „Brasil“. Er streicht sich über den Flaum, kein Tropfen Schweiß bedeckt den früher kahl geschorenen Kopf. Ronaldo lächelt, er wirkt entspannt von 90 Minuten Arbeit auf dem Rasen des Dortmunder Westfalenstadions. Ist das alles spurlos an ihm vorübergegangen, die Diskussion um seine Form und sein Gewicht, an der sich sogar Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva beteiligt hatte?

Wahrscheinlich ist es so, dass Ronaldo in seinen 13 Jahren als Fußballprofi schon zu viel erlebt hat. Wer mehrfach vor der Invalidität stand, der schert sich nicht um ein paar Beleidigungen. Wer dreimal zum Weltfußballer des Jahres gewählt wurde, der hebt nicht ab nach zwei Toren gegen Japan, auch wenn er damit Gerd Müllers Rekord von 14 WM-Toren eingestellt und es allen wieder einmal gezeigt hat, zum wievielten Mal eigentlich? „Ronaldo ist ein Mann für die besonderen Momente“, sagt Carlos Alberto Parreira, er habe nur ein bisschen Zeit gebraucht, und die hat ihm der brasilianische Trainer gegeben. Ronaldos stiller Triumph ist auch seiner.

Eine Stunde nach dem 4:1 über die hoffnungslos unterlegenen Japaner schlendert Ronaldo aus der Kabine durch die so genannte Mixed Zone, einen Kontakthof vor allem für brasilianische Reporter. Sie lassen hier ein Spiel aus Kindertagen aufleben, die Reise nach Jerusalem. Ronaldo macht einen Schritt, und ungefähr 200 Menschen mit Kameras und Mikrofonen gehen mit, sie lauern, bis Ronaldo irgendwo stehen bleibt, und dann beginnt die Balgerei, nicht um einen freien Stuhl, sondern um zehn, zwanzig Plätze ganz vorn am Absperrgitter. Fäuste und Ellenbogen spielen hier eine nicht ganz unentscheidende Rolle, portugiesische Flüche dröhnen durch die Katakomben, ein Brasilianer droht einem Ordner Prügel an. An der Wand hängt ein Fernseher. Der frühere Weltstar Zico spricht über sein Scheitern als Trainer Japans, aber wen interessiert das schon, wenn Ronaldo kommt. „A Volta Do Fenomeno“, titelt die brasilianische Zeitung „O Globo“ am nächsten Tag. Das Phänomen ist wieder da.

Ronaldo betrachtet das Chaos aus 50 Zentimetern Entfernung mit sanftem Blick, er lächelt und sagt ein paar Sätze: „Ich fühle mich körperlich gut, viel besser als in den ersten beiden Spielen.“ – „Die Tore machen mich glücklich und haben der Mannschaft geholfen.“ – „Der WM-Rekord war ein Ziel, aber nicht das wichtigste.“ – „Ich kann noch besser werden.“

Vor zehn Tagen in Berlin hat ihn die Meute noch verflucht, als er gegen Kroatien behäbig über den Platz schlich und es zu bedauern schien, dass die Grashalme nicht hoch genug gewachsen waren, um sich hinter ihnen zu verstecken. Dortmund hat einen anderen Ronaldo gesehen, ein Versprechen auf das, was noch möglich sein kann bei diesem Turnier. Mehr als nur eine Andeutung von Leichtfüßigkeit, von Dynamik und Explosivität. Beim zweiten Tor hat er sogar ein bisschen gezaubert, einen doppelten Doppelpass mit Juan gespielt, sich einmal um die eigene Achse gedreht und mit präzisem Schuss vollstreckt.

Erschöpft? Natürlich, zum ersten Mal bei dieser WM hat er 90 Minuten durchgespielt, nach dem zweiten Tor kurz vor Schluss kamen die ersten Krämpfe. Ronaldo ist in einem schlechten körperlichen Zustand nach Deutschland gekommen, „ich habe 45 Tage lang nicht trainiert. Ich arbeite hier nach einem speziellen Aufbauprogramm, ich muss mich noch verbessern, aber es wird jeden Tag besser.“ Nach zwanzig Minuten hat Ronaldo genug gesagt, er ist müde und geht zum Bus. Der Kontakthof leert sich. Unbeachtet hängt der Fernseher an der Wand. Zico spricht ins Nirgendwo.

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