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Bayern geh’n verloren. Der Münchner Kapitän Philipp Lahm (links) und Toni Kroos können die Niederlage in Leverkusen einfach nicht fassen. Foto: dapd

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Sport: Ein bisschen Endzeitstimmung

Die jüngste Niederlage offenbart die grundsätzlichen Probleme der Bayern.

Mit fast 67 Jahren und davon beinahe 50 im Profifußball hat Jupp Heynckes sämtliche Illusionen über seine Branche vermutlich längst verloren. Natürlich wusste der Trainer des FC Bayern gleich, dass aus dem heftigen Zwiegespräch, das sich Mitte der ersten Halbzeit in der Leverkusener Arena zugetragen hatte, eine große Nummer gemacht werden würde. Die beiden Bayern-Spieler Thomas Müller und Jerome Boateng lieferten sich in aller Öffentlichkeit ein verbales Duell und gerieten für einen kurzen Moment sogar körperlich aneinander. „Lauf doch mit!“, brüllte Boateng den Kollegen an, der seiner Pflicht zur Defensive nur rudimentär nachgekommen war. „Das ist dein Mann!“ Müller brüllte zurück, ein Wort ergab das andere, so etwas passiert schon mal im Eifer des Gefechts. „Dem sollte man nicht zu viel Bedeutung beimessen“, sagte auch Jupp Heynckes, machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Da werd’ ich wohl kein Glück mit haben.“

Nicht nach einer 0:2-Niederlage bei Bayer Leverkusen, die bei den Münchnern noch vor dem kalendarischen Frühlingsbeginn einen Hauch von Endzeitstimmung verbreitete. Nicht, wenn eine verbale Auseinandersetzung unter Kollegen den schreienden Beweis liefert, dass irgendetwas nicht zu stimmen scheint beim Rekordmeister. „Wir haben es nicht mehr in der eigenen Hand“, sagte Mittelfeldspieler Toni Kroos über die Chancen der Bayern im Titelkampf, „und daran wird sich so schnell nichts ändern.“

So schwankend die Münchner gerade in ihren Leistungen sind, so stabil erledigt Borussia Dortmund alle anstehenden Aufgaben. Und weil der Vorsprung des Titelverteidigers und Spitzenreiters zehn Spieltage vor Schluss auf sieben Punkte angewachsen ist, fühlen sich die Bayern mehr und mehr an die vorige Saison erinnert. Mit dem Unterschied, dass sie da immer noch daran geglaubt haben, dass die Dortmunder ihr Tempo nicht bis zum Ende durchhalten und irgendwann einbrechen würden. Die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr haben die Münchner diesmal schon ungewöhnlich früh ungewöhnlich kleinlaut werden lassen. „Man muss irgendwo realistisch sein“, sagte Trainer Heynckes.

Realistisch betrachtet werden die Bayern in der Bundesliga wohl zum zweiten Mal hintereinander ohne Titel bleiben. Das ist ihnen zuletzt Mitte der Neunziger passiert, als die Dortmunder 1995 und 1996 die Meisterschaft gewannen. „Wir schreiben sie nicht ab“, sagte Sportdirektor Christian Nerlinger. „Aber das ist nichts, womit wir uns jetzt beschäftigen.“ Die Bayern müssen sich im Moment eher mit sich selbst beschäftigen, mit der Suche nach den Ursachen für eine Misere, die für ihre Verhältnisse bereits gigantische Ausmaße angenommen hat. Von ihren vier Auswärtsspielen im Jahr 2012 haben die Münchner noch kein einziges gewonnen, aus drei Punkten Vorsprung auf die Dortmunder nach der Hinrunde sind sieben Punkte Rückstand geworden.

Dabei war der Auftritt der Münchner bei ihrem Lieblingsgegner Leverkusen gar nicht mal so schlecht. „Im Endeffekt ist das so“, bestätigte Toni Kroos. „Aber ich habe keine Lust, nach einem 0:2 zu sagen: Wir haben fußballerisch doll gespielt.“ Die Bayern begannen mit großem Eifer, sie ließen ihrem Gegner in der ersten Hälfte wenig Luft, erarbeiteten sich gute Chancen, während Leverkusen sich wieder einmal scheinbar widerstandslos in die übliche Opferrolle zu fügen schien. In der zweiten Halbzeit aber schwand die Dominanz der Gäste zusehends. Nach einer Stunde vergab Arjen Robben die letzte gute Gelegenheit der Bayern zur Führung – danach kam bis zum Schlusspfiff nichts mehr.

Trotz der Niederlage beharrte Trainer Heynckes darauf, „ein gutes Auswärtsspiel“ seiner Mannschaft gesehen zu haben, „aber wenn der FC Bayern verliert, ist vieles negativ“. Jede Niederlage ist eine Krise, und im Moment werden die Münchner im Zweiwochenrhythmus von der Krise heimgesucht, die sie gerade erst überwunden zu haben glaubten. Dem 2:0-Sieg gegen Schalke folgte postwendend das 0:2 in Leverkusen. „Letzte Woche waren alle glücklich, jetzt ist der Kopf kaputt“, sagte Franck Ribéry. Der ständige Wechsel aus Hochstimmung und Trübsal scheint die Bayern zu zermürben. Ihre Selbstgewissheit, und damit der Kern ihres Wesens, steht damit auf dem Spiel.

„Wenn man Trainer beim FC Bayern ist, muss man mit solchen Situationen umgehen“, sagte Jupp Heynckes. „Man muss gelassen und souverän sein.“ Aber da irrt er. Als Trainer beim FC Bayern muss man dafür Sorge tragen, dass solche Situationen gar nicht erst entstehen. Sonst ist man die längste Zeit Trainer beim FC Bayern gewesen.

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