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Sport: Ein Chef, verzweifelt gesucht

Auch nach dem Trainingslager von Hertha BSC ist nicht klar, welcher Spieler die Mannschaft in die Zukunft führen kann

Belek. Michael Preetz läuft meist vorne weg, wenn die Mannschaft von Hertha BSC ihre Runden dreht. Der Mittelstürmer ist die Galionsfigur des Berliner Bundesligisten, ist ihr Kapitän. Michael Preetz gilt als die herausragende Persönlichkeit des Teams, seine Autorität ist natürlich gewachsen. Das Problem ist nur: Er wird nicht mehr lange vorneweg laufen. Und die drängende Frage lautet dann: Wer kann ihn als Führungsperson ablösen? Gibt es überhaupt eine Führungspersönlichkeit? Einen, der die Mannschaft auf dem Platz und auch außerhalb des Rasens, vertreten kann. Preetz, der erfolgreichste Torschütze der vergangenen Jahre, wechselt jedenfalls im Sommer ins Management. Dann ist die Mannschaft allein, denn die Lücke, die der Abgang von Preetz hinterlässt, wird schwer zu schließen sein. Eine neue Hierarchie soll her. Nur wie soll sie aussehen?

„Wir wissen, dass dieser Umbruch nicht reibungslos vonstatten geht“, sagt Manager Dieter Hoeneß. „Junge Spieler setzen sich durch, ältere Spieler müssen häufiger auf die Ersatzbank als früher.“ Wie wenig geräuschlos die Verjüngungskur verläuft, zeigten nicht erst die vergangenen Tage im Trainingslager. Am Sonntag wird die Mannschaft beim niederländischen Erstligisten NEC Nijmegen ein letztes Testspiel bestreiten. Eine Woche später beginnt die Rückrunde. Der Deutsche Meister Borussia Dortmund kommt dann ins Olympiastadion. Für den Tabellen-Neunten beginnen dann zwei große Aufgaben: Anschluss an das internationale Geschäft finden und das Team der Zukunft. Trainer Huub Stevens wird den Kader umgestalten. Das hinterlässt schon jetzt Spuren. Viele ältere Spieler fühlen sich verkannt. Die Jungen im Team können die Mannschaft aber noch nicht führen, einige ausländische Spieler bewegen sich nur am Rande des Teams oder haben intern nicht viel zu sagen. Noch funktioniert die Hierarchie nach innen. Aber nach außen wird nicht klar, wer das Gesicht der Mannschaft prägt.

Als Stevens seine Arbeit in Berlin im Sommer aufnahm, sagte er: „Michael Preetz ist nicht nur auf dem Platz wichtig, sondern auch auf der Bank und in der Kabine.“ Stevens meinte das positiv, in Wirklichkeit aber kam es einer Teil-Demontage gleich. Preetz kam zwar auf 15 Einsätze in der Hinserie, wurde aber fünfmal ein- und dreimal ausgewechselt. Das stärkte nicht gerade sein Selbstvertrauen, und es war schon gar nicht gut für das interne Klima. Das spürt die Mannschaft, und sie redet hinter vorgehaltener Hand darüber.

„Der Zusammenhalt war schon mal besser“, sagt ein Spieler, der schon lange dabei ist. „Die Grüppchenbildung ist ein Indiz dafür." Die älteren Spieler, wie zum Beispiel auch Eyjölfur Sverrisson, werden sich verabschieden oder müssen gehen. Eigentlich wollte Sverrisson schon vor einem Jahr aufhören, wurde aber noch einmal überredet. „Wir brauchen solche Typen wie ihn, die Stimmung machen und die Truppe auf Trab halten“, sagte damals Hoeneß. Momentan ist bei Hertha niemand mehr in Sicht, der diese Rolle ausfüllen kann. Der Mannschaft fehlt es nach außen an Kontur und einer starken Stimme. Die hatte bisher auch Marko Rehmer nicht. Der 30-Jährige, dessen Vertrag demnächst verlängert werden soll, könnte zwar in der neuen Saison Kapitän werden. Aber trotz seiner Erfahrung in der Nationalmannschaft hat er bisher noch nicht beweisen können, dass er ein Führungsspieler sein kann. Andere Spieler, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Position auf dem Spielfeld dafür in Frage kämen, empfehlen sich noch weniger dafür. Kein Michael Hartmann, kein Andreas Schmidt und auch kein Pal Dardai verfügen über die Qualitäten eines Preetz.

Friedrich – „kerngesund im Kopf“

Hinzu kommt: Bei den Vertretern der so genannten Hollandfraktion werden sie von den Hertha-Verantwortlichen gar nicht mehr gesucht. Dick van Burik, der als Abwehrchef Einfluss auf die Mannschaft hatte, wird sich vermutlich einen anderen Verein suchen müssen. Aus der Gruppe der Brasilianer, die weitgehend für sich lebt, böte sich mit Abstrichen Marcelinho an. Doch der spricht zu schlecht Deutsch. Und es gibt in der Bundesliga nur wenige Beispiele, in denen Legionäre eine Chefrolle auf dem Platz und auch außerhalb einnehmen konnten. Krassimir Balakow vom VfB Stuttgart ist zurzeit wohl der Einzige. Bei den Bayern führen Kahn und Jeremies das Kommando, in Dortmund Reuter, und in Leverkusen ist Nowotny der Chef. Und das, obwohl auch dieses Team über eine Vielzahl herausragender ausländischer Profis verfügen. Noch ist Marcelinho zu unbeständig. In der Vorsaison schoss er sich mit 13 Toren in die Herzen des Publikums und schaffte den Sprung in die brasilianische Nationalmannschaft. Doch seit Oktober steckt auch er in einer tiefen Formkrise.

Aus der Gruppe der jungen Spieler wird ausschließlich Arne Friedrich der interne Hierarchiesprung zugetraut. Der 23-Jährige wurde in dieser Saison Nationalspieler. Und er ist bei Hertha der einzige Spieler, der nicht eine Bundesligaminute verpasste. „Von seinem Naturell her böte er sich dafür an“, sagt Hoeneß. „Er ist ehrgeizig, kann sich artikulieren und ist kerngesund im Kopf. Der hebt nicht ab.“ Aber für ihn ging es bisher ausschließlich in eine Richtung – himmelwärts. Führungsspieler aber bewähren sich zu Krisenzeiten – vielleicht also in der Rückrunde.

Eine Sonderrolle spielt der ebenfalls noch junge Spieler Josip Simunic. Der in Australien geborene Abwehrspieler kroatischer Abstammung lässt sich keiner Gruppe zuordnen. Was vielleicht sein größter Vorteil ist. Der 24-Jährige fungiert als eine Art Klammer. Ihm gelingt es, Brücken zu bauen. In jeder Gruppe ist er anzutreffen. Mal geht er mit der Brasilianern essen, ein anderes Mal philosophiert er mit den Holländern über Fußball. Die Alten hören nicht mehr weg und die Jungen langsam zu. Fußballerisch gibt es bei ihm ohnehin keine Zweifel.

Die Saison 2001/2002 beendete er als zweitbester Defensivspieler der Bundesliga. Auch deswegen wurde er im Sommer in den Mannschaftsrat beordert. Und seit kürzerer Zeit wird auch Friedrich mit herangezogen, wenn die Fünferrunde tagt. Friedrich und Simunic wurden beide für die Zukunft eingekauft. Jetzt müssen sie schnell einspringen. Viel früher als geplant.

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