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Sport: Ein ernstes Spiel

Bei der Tischtennis-WM in Schanghai gibt sich China politisch weltoffen und sportlich verbissen

Beim Aufwärmen wird aus der besten Nationalmannschaft der Welt auf einmal eine brave Schulklasse. Die Spieler stellen sich im Kreis auf und lockern gleichzeitig ihre Arme und Beine, die Tischtennis-Weltmeister aus China, Kong Linghui genauso wie Wang Liqin oder Wang Hao. Schweigend machen sie alles nach, was ihr Trainer vorgibt. Als sie dann später spielen in der großen runden Sporthalle des „Shanghai Gymnasium“, sind sie wieder Helden. Von den gut 5000 Zuschauern rufen viele „Jiayou, Wang Liqin“ oder „Jiayou, Kong Linghui“ und klopfen mit luftgefüllten Stäben aneinander, dass es nur so kracht. Jiayou – Auf geht’s – ist der Schlachtruf der Chinesen.

Die Weltmeisterschaft ist zurück im Tischtennisland. China ist Gastgeber der Einzel-WM und hat sich als Austragungsort Schanghai ausgesucht, seine offenste und modernste Stadt auf dem Festland. Die Chinesen wollen zeigen, wie sehr sich ihr Land verändert hat, seit zum letzten Mal eine WM bei ihnen stattfand, vor zehn Jahren in Tianjin. Und sie wollen zeigen, wie viel ihnen Tischtennis immer noch bedeutet. Die Teilnehmer der WM lassen sie am Flughafen durch den Diplomateneingang einreisen, die Eröffnungsfeier richten sie am bekanntesten Bauwerk der Stadt aus, dem „Oriental Pearl Tower“, dem Fernsehturm, und die ganze Stadt haben sie mit Fahnen und Plakaten der WM geschmückt.

Doch das ist nur die Außenwelt. Tischtennis lebt in der Halle. Die Reaktionen der Zuschauer verraten ihr großes Interesse an diesem Sport. Lange Ballwechsel, Duelle von harten Topspins, wirken auf sie wie ein Rauschmittel. Je öfter der Ball übers Netz fliegt, desto ekstatischer begleiten sie ihn. Die Zuschauer können sich für alle Spieler begeistern, doch sie rufen nur nach den Chinesen in ihren feuerroten Trikots. Sie haben ihre persönlichen Lieblinge, zum Beispiel den groß gewachsenen Wang Liqin, den freundlichen Kong Linghui oder Wang Hao, der von den Jugendlichen wie der Sänger einer Boygroup angehimmelt wird.

Eine solche Wahrnehmung hätte der Präsident des Internationalen Tischtennis-Verbandes, Adham Sharara, gerne weltweit, damit nicht immer von China gegen den Rest der Welt geredet werde. „Wir müssen erreichen, dass die chinesischen Spieler als eigene Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Hier gewinnt kein Land, sondern der beste Spieler“, sagt er. Ihre Persönlichkeit zu zeigen, damit tun sich die chinesischen Spieler allerdings schwer. Als sie an den dutzend Fernsehkameras und Mikrofonen vorbeilaufen, wirken sie wieder wie schüchterne Schulkinder.

Tischtennis ist schließlich kein Einzelsport in China, es ist ein nationales Symbol. Etwa für die Leistungsfähigkeit des Landes. Keine andere Sportart dominieren die Chinesen so wie das Spiel mit dem schnellen Ball. Sie entwickeln immer wieder neue Schläge und Spielstile, die zum Teil an Universitäten ausgetüftelt werden. Denn sie verstehen sich auch als kulturelle Erbhüter ihres Sports. Außerdem ist Tischtennis ein Symbol der Verständigung. Für ihre politische Annäherung in den siebziger Jahren wählten die Vereinigten Staaten und China Tischtenniswettkämpfe als Rahmen, damals entstand die Pingpong-Diplomatie.

Durch die Sporthalle in Schanghai kann Yang Shuan keine drei Meter laufen, ohne angesprochen zu werden. Er ist ein einflussreicher Mann und kann einiges davon erzählen, was man in China mit Tischtennis werden kann. Bei der WM 1995 war er noch Mitarbeiter im Generalsekretariat des Chinesischen Tischtennis-Verbandes. Dann begann sein Aufstieg im Verband – und eine politische Karriere. Inzwischen ist er Vize-Sportminister in China. Yang Shuan ist ein freundlicher Mann, der seinen Gesprächspartnern gerne auf die Schultern klopft. „Wir folgen mit dieser WM unserer Linie, das Land zu öffnen. Tischtennis ist auch eine Brücke der Freundschaft“, sagt Yang Shuan. Vizepräsident des Internationalen Tischtennis-Verbandes, und Vizepräsident des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele 2008 in Peking ist er auch noch.

Für das kommunistische Regime in China ist Tischtennis nach wie vor der wichtigste Sport. „Tischtennis ist ein Sport für alle, Frauen und Männer, Jung und Alt. Er ist einfach, hält gesund, und es kostet nicht viel, ihn zu betreiben. Wir sind schließlich immer noch ein Entwicklungsland“, sagt Yang Shuan. Offiziell registriert seien in China zwar nur einige tausend Spieler, sagt Yang Shuan. „Aber auch auf dem Land finden sie in Werkstätten und Büros Tischtennisplatten, an denen die Menschen immer wieder gerne spielen.“ Der Verband schätzt, dass 50 Millionen Menschen regelmäßig spielen, beispielsweise in öffentlichen Hallen.

Tischtennis macht den sozialen Aufstieg möglich. Wohl auch deshalb ist der Zulauf zu den geschätzten 2000 Schulen des Landes groß, die Tischtennis als Schwerpunkt anbieten. Am Ziel dieses Wegs steht ein Platz im Tischtenniszentrum von Peking, in dem sich 20 hauptamtliche Trainer um die hundert besten Spieler des Landes kümmern.

In den vergangenen Jahren hat der Volkssport in der Volksrepublik jedoch harte Konkurrenz bekommen. Mit der Öffnung des Landes sind die Herausforderungen gestiegen. Der staatliche Sportkanal CCTV 5 überträgt zwar sechzig Stunden live von der WM, doch in einer gewöhnlichen Woche zeigt er mehr Bilder vom amerikanischen Basketball und dem englischen Fußball als von chinesischen Tischtennisspielern. Viele Kinder wollen lieber Fußball als Tischtennis spielen. Bei aller Tradition ist der Erfolg der Tischtennisspieler nur noch einer von vielen, nachdem die Chinesen bei Olympia in Athen gleich 32 Goldmedaillen gewonnen haben. In drei Jahren in Peking sollen es noch mehr werden.

Bei dieser Konkurrenz wäre es hinderlich, wenn die Tischtennisspieler ihre weltweite Vormachtstellung verlören. Bei den Damen dominiert China zwar seit langem, aber es grenzt schon an eine Blamage, dass im Herreneinzel weder der Weltmeister noch der Olympiasieger aus China kommen. Die WM in Schanghai hat daher auch ein sportliches Ziel: den Titel bei den Herren wieder zurückzuholen. Die Chinesen wissen, dass sie unter Erfolgszwang stehen, um die Position des Tischtennis zu verteidigen – gegenüber den anderen Ländern, aber vielleicht noch mehr im eigenen Land. Vor zwei Jahren noch hatte Cheftrainer Cai Zhenhua von den großen Erwartungen an seine Spieler nichts wissen wollen. Schließlich hätten sie schon genug Titel gewonnen. Inzwischen sagt der Cheftrainer: „Wir kennen den Druck.“ Auch das gehört wohl zur neuen Offenheit.

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