zum Hauptinhalt

Sport: Ein Fall fürs Double

Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira werden bei der WM in Südafrika wohl das zentrale Mittelfeld besetzen

Vor einigen Monaten hat Oliver Bierhoff einmal vom vorigen Sommer erzählt, von seinen Begegnungen mit dem Kapitän der Nationalmannschaft. Mehrere Male saßen sie abends im Mannschaftshotel zusammen, und als Bierhoff, der Manager der Fußball-Nationalmannschaft, davon berichtete, wirkte er richtiggehend beeindruckt von der Persönlichkeit des Kapitäns. „Ich durfte einige interessante Gespräche mit ihm führen“, sagte er. Durfte. Bierhoff, nicht gerade als übermäßig devot bekannt, sprach von Sami Khedira, dem Kapitän der U-21- Nationalmannschaft, die im Sommer 2009 Europameister geworden war. Wie schafft es ein so junger Mann, jemanden wie Oliver Bierhoff derart von sich einzunehmen? „Ich war einfach ich selbst“, hat Sami Khedira auf diese Frage geantwortet.

Offenbar besitzt der Stuttgarter die Fähigkeit, andere zu beeindrucken. Im Gespräch am Kamin ebenso wie als Fußballer auf dem Feld. „Er ist ein multipler Spieler, er kann alles interpretieren“, sagt U-21-Trainer Rainer Adrion. Khedira beherrscht Wucht und Eleganz, er verteidigt, und er schießt Tore, erobert Bälle und weiß sie zu verarbeiten. Man könnte auch sagen: Khedira ist das perfekte Ballack-Double, nur in Jung. Im DFB wurde der Stuttgarter bisher noch als Mann der Zukunft geführt, „spätestens nach der WM 2010 kommt seine Zeit“, hat Bundestrainer Joachim Löw im Herbst gesagt. Es sieht so aus, als hätte er sich in dieser Personalie gravierend getäuscht. Khedira, 23 Jahre alt und mit der Erfahrung von drei Länderspielen gesegnet, wird wohl schon während der WM 2010 nicht umhinkönnen, eine wichtige Rolle zu spielen: die von Michael Ballack nämlich.

Ballacks Verletzung trifft die Nationalmannschaft wie ein Keulenschlag. Es gehört hierzulande längst zur Allgemeinbildung, dass den Deutschen bei einem großen Turnier alles passieren dürfe, nur eines nicht: dass Michael Ballack ausfällt. Genau dieser Fall aber ist nun eingetreten. Auch mit fast 34 Jahren galt Ballack wegen seiner Ausstrahlung, seiner spielerischen Klasse und der internationalen Erfahrung noch immer als Schlüsselfigur für ein erfolgreiches WM-Abschneiden. „Es wird schwierig ohne ihn“, sagt Joachim Löw. „Aber wir haben Potenzial im Team.“

Es ist nicht ohne Ironie, dass Löw seine Mannschaft schon im Herbst 2008 von ihren Vorturnern Michael Ballack und Torsten Frings emanzipieren wollte. Dem Bundestrainer hat dieser Versuch viel Kritik eingetragen, vor allem aber musste er das Experiment, zumindest im Fall Ballack, ergebnislos abbrechen. Es stellte sich heraus, dass die Mannschaft noch nicht auf ihn verzichten kann. Jetzt aber muss es ohne Ballack gehen. Löw setzt dabei auf eine Gesetzmäßigkeit, die im Fußball schon häufiger zu beobachten war: „dass in solchen Situationen andere, auch jüngere Spieler nachrücken, die dann über sich hinauswachsen“.

In erster Linie denkt Löw dabei an Bastian Schweinsteiger, der bisher als Ballacks Nebenmann vorgesehen war und nun mit 25 Jahren zum informellen Chef im Mittelfeld aufsteigen würde. „Bastian Schweinsteiger hat auf dieser Position bei den Bayern sehr stark gespielt“, sagt Löw. „Er muss jetzt noch mehr in die Verantwortung.“ Die ebenso erfreuliche wie erstaunliche Entwicklung, die der Münchner in dieser Saison genommen hat, erführe damit einen weiteren Höhepunkt. Bis zum Herbst hat Schweinsteiger noch auf der Außenposition gespielt; erst die Versetzung in die Zentrale durch seinen Klubtrainer Louis van Gaal hat seiner Karriere einen neuen Schub verpasst. Schweinsteiger interpretiert die Rolle mit einer Reife, die ihm wenige zugetraut hätten – am ehesten wohl noch Schweinsteiger selbst. Schon vor knapp anderthalb Jahren hat er in einem Interview mit dem Tagesspiegel gesagt, dass er sich auf lange Sicht eher in der Mitte sehe: „Ich bin vielleicht nicht der Schnellste, aber ich bewege mich unheimlich gerne. Ich laufe sehr viel. Das kann ich eigentlich am besten einbringen, wenn ich in der Mitte spiele. Ich kann mich freier bewegen und hab’ mehr vom Spiel.“

Joachim Löw hat lange gezweifelt, ob er Schweinsteiger ebenfalls von außen in die Mitte versetzen solle. Jetzt bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Denn allzu viele Varianten gibt sein Kader nicht her. Simon Rolfes ist verletzt, Torsten Frings und Thomas Hitzlsperger hat der Bundestrainer gar nicht erst nominiert, und sie sollen auch nachträglich nicht mehr berufen werden. Löw hält das nicht für notwendig. In der Tat finden sich in seinem Aufgebot einige Spieler, die bereits im defensiven Mittelfeld zum Einsatz gekommen sind, ausgewiesene Spezialisten dieses Fachs sind Philipp Lahm, Jerome Boateng und Heiko Westermann allerdings nicht. Und dem jungen Stuttgarter Christian Träsch, der beim VfB zwischen Viererkette und Mittelfeld pendelt, fehlt wohl die Erfahrung für eine WM. Möglich wäre noch, dass Löw sein System umstellt: von der Doppelsechs zurück zur Raute mit Schweinsteiger vor der Abwehr und Mesut Özil als Zehner hinter den Spitzen, aber auch diese Variante hat der Bundestrainer gestern fürs Erste ausgeschlossen.

Die Lösung für die Zentrale wird wohl Schweinsteiger und Khedira heißen – auch weil damit die geringsten Umbauarbeiten an der Statik der Mannschaft verbunden sind. Der Hauptdarsteller steht für die Dreharbeiten nicht zur Verfügung. Jetzt muss eben sein Double einspringen.

Zur Startseite