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Sport: Ein großer Lenker

Woher das Wort „Weltmeister“ kommt

In fünf Monaten beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Sie wird auch ein Spiegelbild verschiedener Fußballkulturen und -sprachen sein. Auf einer Tagung im Wissenschaftszentrum Berlin (Reichpietschufer 50, Beginn 18 Uhr) diskutieren heute unter anderem die Historikerin Christiane Eisenberg und der Soziologe Andrei S. Markovits über die Entwicklung des Weltfußballs. Wir veröffentlichen vorab Eisenbergs Vortrag in einer gekürzten Fassung:

1954, 1974 und 1990 wurde die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister. Dieser Satz ist von der Sache her zutreffend, von der Wortwahl hingegen fragwürdig. Korrekter wäre es zu sagen: 1954, 1974 und 1990 gewann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den Fifa-Weltpokal. Diese Formulierung ist neutraler, weil sie nicht den deutschen Sieg über die ganze Welt, sondern nur über die Konkurrenten in einem internationalen Fußballturnier feststellt. „Fifa World Cup“ lautet die amtliche Bezeichnung, die natürlich außer Joseph Blatter und den Sponsoren des Turniers kaum jemand verwendet. Vor allem nicht im Deutschen, wo die Begriffe „Weltmeisterschaft“ und der „Weltmeister“ mehr bestimmen als den Sprachgebrauch.

Fragwürdig am Kompositum „Weltmeisterschaft“ ist vor allem der zweite Wortteil: die Meisterschaft. Nur im Deutschen heißen die Sportsieger „Meister“. Im Englischen und Französischen firmieren sie als „Champions“, und das macht einen Unterschied: „Champion“ kommt wortgeschichtlich betrachtet von „Kämpfer“ und bezeichnet den Sieger im Krieg oder in einer sportlichen Konkurrenz. Ob dieser verdient oder glücklich gewonnen hat, ob er etwas geleistet hat, interessiert nicht. Der Sieger ist so lange „Champion“, wie es keinen neuen gibt.

Die Bedeutung von „Meister“ ist dagegen komplexer. Nach Grimms Deutschem Wörterbuch bezeichnet das Wort entweder den „großen Weltenlenker“ oder einen „Meister seines Fachs“. Es handelt sich also um jemanden, der sein Können bis zur Perfektion, eben zur „Meisterschaft“ gesteigert hat. Eine Konkurrenz braucht man nicht unbedingt zu organisieren, um einen „Meister“ zu küren. Die Leistung und der Grad der Perfektion können auch in einer Prüfung vor der Zunft oder der Handwerkskammer ermittelt werden; und wer den Titel einmal bekommen hat, behält ihn selbst dann, wenn er in der Konkurrenz nicht zu bestehen vermag.

Da der Sport den Wettbewerb mit anderen Athleten notwendig voraussetzt, führt das Wort „Meister“ zu schiefen Komposita. Beim „Kreismeister“ oder – in der Sportsprache des 19. Jahrhunderts – beim „Gaumeister“ fällt das nicht so auf, denn es gibt ja auch den „Obermeister“ im Handwerk. Den „Deutschen Meister“ lässt das Sprachgefühl auch noch durchgehen. Aber der „Weltmeister“ ist ein Monstrum, auch aus sportlicher Sicht. Könnte ein solcher Meister jemals außer Konkurrenz ermittelt werden? Und ist es nicht eine Unsportlichkeit gegen die nachfolgenden „Champions“, wenn man – wie im Sprachgebrauch der deutschen Medien heute üblich – die Fußball-Weltmeister von 1954, 1974 und 1990 auch auf Dauer so bezeichnet?

Die besondere Wahrnehmung des Fußballs hat historische Gründe, die im Entstehungskontext des modernen Sports in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu suchen sind. Es war eine Zeit des übersteigerten Nationalismus, in der ein Allgemeiner Deutscher Sprachverein sich berufen fühlte, Anglizismen zu verdeutschen. Der im Jahr 1900 gegründete Deutsche Fußball-Bund hieß bezeichnenderweise von Anfang an so, während sich die Verbände anderswo in Europa zunächst „Football Association“, wie das englische Vorbild, nannten. Was den „Meister“ angeht, schwang die kleinbürgerliche Turntradition mit, ferner die ausgeprägte Mittelstandsförderung seit der Reichsgründung und auch die generelle Reserve vieler Zeitgenossen gegenüber der Marktwirtschaft. Diese kam etwa in Kampagnen für ein Gesetz gegen den „unlauteren Wettbewerb“ zum Ausdruck.

Auch aufgrund dieser Geschichte ist zu fragen, warum sich die Deutschen die anachronistisch anmutende Redeweise von der Meisterschaft der ganzen Welt nicht allmählich abgewöhnen.

Christiane Eisenberg ist Professorin für britische Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Sie veröffentlichte unter anderem das Buch „Fifa 1904-2004. 100 Jahre Weltfußball“ (Werkstatt-Verlag).

Christiane Eisenberg

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