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Sport: Ein großer Spieler

Jahrelang wurde Peter Crouch wegen seiner Anatomie geschmäht – heute liebt den Stürmer ganz England

Es gab Tage, da hatte sich Bruce Crouch nicht unter Kontrolle. Der massige, große Mann ging dann hinüber zum lautesten Schreihals und drohte ihm Prügel an. Anschließend war Ruhe, aber meist nicht lange. Irgendwann zog es der erfolgreiche Manager einer Londoner Werbeagentur vor, überhaupt nicht mehr ins Stadion zu gehen. Die „Freak! Freak! Freak!“-Rufe, die seinem Sohn entgegenschallten, taten ihm zu sehr weh. Peter Crouch zuckt mit den Schultern: „Ich bin ein offensichtliches Ziel, ich habe mich vor vielen Jahren daran gewöhnt.“

Wenn 60 000 Zuschauer einen niedermachen, könne man den Lärm ausblenden, erzählt der 25 Jahre alte englische Fußball-Nationalspieler, aber vor fünf Jahren, als er in der Zweiten Liga für Queen’s Park Rangers spielte, sei es schon unangenehm gewesen. „Oft waren ziemlich wenig Leute da, und wenn dich einer beschimpfte, hast du jedes Wort mitbekommen“, sagt Crouch. „Aber manchmal habe ich auch etwas gehört und dachte: Hey, das ist eigentlich ziemlich lustig. Man kann ja nur darüber lachen. Sonst müsste man weinen.“ Wer nicht wie alle anderen aussieht, wird nicht nur auf englischen Fußballplätzen gehänselt. Das war schon immer so.

Früher waren es die Rothaarigen und Schwarzen, heute sind es die Dicken und Langen. Peter Crouch ist laut den offiziellen Angaben des englischen Verbands einen Hauch über zwei Meter groß, hat Beine wie Salzletten und einen schmalen, irrsinnig langen Oberkörper von der Form des New Yorker Empire State Buildings. Crouch sah nie wie ein Kicker aus, das war sein Problem. Vom ersten Profigehalt, das der Londoner mit 18 bei Tottenham Hotspur verdiente, kaufte er sich einen VW Polo. Seine Kumpels lachten sich schlapp, er kam kaum in die Tür. Terry Francis, sein Trainer bei den Queen’s Park Rangers, schickte ihn in Fast-Food-Läden – er sollte sich mehr Masse anfressen. Es nützte wenig.

Man schob Peter Crouch von Verein zu Verein – er war ein Mann, der nirgends hinpasste, und für einen Stürmer traf er das Tor nicht oft genug. Vor einem Jahr, er hatte gerade seine beste, aber objektiv eine keineswegs überragende Saison bei Southampton gespielt, holte ihn Rafael Benitez zum FC Liverpool. Der spanische Trainer bekam für die Ablösesumme von 10 Millionen Euro in den ersten fünf Monaten keinen einzigen Treffer zurück. Arsène Wenger und José Mourinho verspotteten Crouch als Basketballspieler, Liverpooler Scherzbolde schlugen ihn für die Wahl zur Sportpersönlichkeit des Jahres vor. Crouch, der torlose Torjäger mit dem merkwürdigen Bewegungsablauf, war der buchstäblich größte Witz der Liga. Und ein Kultheld in Liverpool, weil die Stadt ein Herz für Verlierer hat.

Rafael Benitez hielt ihm die Treue. Crouch mühte sich weiter und Anfang Dezember traf er endlich, zweimal gegen Wig an. Bis Ende der Saison sollten neun Tore für die Reds folgen. Natürlich ist er kopfballstark, aber er ist vor allem ein guter Vorbereiter. Seine Präsenz lockt die Verteidiger an, die Kollegen profitieren davon. Das hatte auch Sven-Göran Eriksson gesehen. Doch in seinem ersten Länderspiel wurde Crouch von den eigenen Fans gnadenlos ausgebuht. Er war ihnen zu fremd, zu weird. Gegen Idiotie helfen nur Tore. „Crouchy“ schoss sie, nach seinem Hattrick gegen Jamaika vor einer Woche hat er in sieben Länderspielen fünf Treffer erzielt. Sie lieben ihn nun im ganzen Land, auch weil man mitbekommen hat, dass der Mann äußerst sympathisch ist und sich nicht so wichtig nimmt.

Auf David Beckhams Ball vor der WM hatte Crouch vor laufender Kamera wie ein Roboter getanzt – der DJ spielte gerade „I bet you look good on the dancefloor“ von den Arctic Monkeys, mit der Textzeile „Dancing to electro-pop like a robot from 1984“. Die Mannschaftskameraden machten sich darüber lustig. Robo-Crouch gab seine Antwort mit einer Zugabe nach seinem Treffer gegen Ungarn. So viel Selbstironie verzückte England. Sogar Prinz William bestand bei einem Besuch im Trainingslager auf einer Vorführung.

Es könnte gut sein, dass heute auch eine der Eckfahnen im Frankfurter WM-Stadion von ihm belästigt wird. Da Wayne Rooney nach seinem Mittelfußbruch noch nicht zur Verfügung steht, wird Coach Eriksson am Sonnabend gegen Paraguay (15 Uhr/live ARD und Premiere) wohl den Freak aufs Feld schicken. Crouch soll es und wird es richten. Den Paraguayern wird Crouch auf den ersten Blick vermutlich wirklich wie eine unbekannte Gattung erscheinen, eine Kreuzung aus Kampfgiraffe und Gottesanbeterin vielleicht. „Ich denke, sie haben es noch nie mit so einer Art von Spieler zu tun bekommen“, sagt Mittelfeldspieler Steven Gerrard und lächelt dabei erwartungsvoll. Denn er weiß: Peter Crouch ist nicht nur ein großer, sondern auch ein guter Spieler.

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