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Wirklich wirksam waren die "12:12"-Proteste. Fans schwiegen in den ersten zwölf Minuten und zwölf Sekunden nach dem Anpfiff - oder blieben außerhalb des Stadions, wie hier in Leverkusen.

© imago sportfotodienst

Ein Jahr nach dem Sicherheitspaket: Hurra, der deutsche Fußball lebt noch!

Vor einem Jahr liefen Fans gegen ein neues Sicherheitskonzept Sturm, das die DFL trotzdem verabschiedete. Wie steht es zwölf Monate später um den deutschen Fußball? Wir haben nachgefragt.

„Weg darf nicht ins Stocken geraten“

Oliver Malchow (Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei)
Das Bedeutsamste für mich war, dass sich DFB und DFL zu der Situation bekannt haben, dass wir im Umfeld von Fußballspielen Probleme mit Straftätern haben. Am Auftrag der Polizei hat sich durch die Beschlüsse der DFL zwar nichts Grundlegendes geändert. Die Zusammenarbeit mit Vereinen und Fans – Informationsaustausch, gemeinsame Absprachen, Vor- und Nachbereitung von Einsätzen – ist aber besser geworden. Die meisten Vereine distanzieren sich jetzt ganz klar von Gewalttätern, wenn auch leider noch nicht alle. Vereinsführungen sollten allerdings polizeiliches Handeln immer als rechtsstaatlich legitimiertes Handeln begreifen – und nicht als Störung. Der begonnene und von uns unterstützte Weg darf jetzt nicht durch überzogene Forderungen ins Stocken geraten. Man muss jetzt erst einmal akzeptieren, dass sich zwei so große Verbände wie der DFB und die DFL in eine Richtung bewegt haben.

„Kleiner Finger, ganze Hand“

Philipp Markhardt (Sprecher der Aktion 12:12 und der Fanvereinigung ProFans)
Was sich wirklich verbessert oder verschlechtert hat, kann man noch gar nicht absehen. Der Populismus der Lobbyisten hat sich jedenfalls nicht verändert. Die DFL hat auf den Druck der Politik reagiert und sich zu einem Konzept hinreißen lassen – gebracht hat es im Grunde genommen nichts. Es gilt das Prinzip „kleiner Finger, ganze Hand“: Die DFL ist eingeknickt, die Politik fordert aber schon jetzt noch mehr Zugeständnisse. Zum Beispiel, dass die Reisewege der Fans eingeschränkt werden. Bei allem Ärger: Unsere Proteste waren notwendig und erfolgreich. Schon um zu zeigen, dass man mit uns nicht alles machen kann.

„Fußball macht seine Hausaufgaben“

Hendrik Große Lefert (Sicherheitsbeauftragter des DFB)

Wir haben auf jeden Fall eine deutliche Professionalisierung in der Sicherheitsarbeit und in der Fanarbeit erlebt. Es gibt ein stärkeres Bewusstsein bei den Vereinen für diese Thematik und einen intensiveren Dialog, wir hatten zuletzt einen erfreulichen Rückgang von Pyrotechnik. Der Fußball macht seine Hausaufgaben. Aber wir stoßen natürlich an Grenzen des Machbaren. Auch unsere Netzwerkpartner – Politik, Polizei, Justiz und natürlich die Fanorganisationen – müssen am Ball bleiben. Die Abstimmung zwischen all diesen Partnern ist insgesamt aber deutlich besser geworden. Ich glaube auch, wir konnten nach der sehr emotional geführten Debatte verdeutlichen, dass wir sehr daran interessiert sind, die Fanszenen langfristig und konstruktiv einzubinden, wie zum Beispiel in der AG Fanbelange/Fanarbeit des DFB.

Im Dezember 2012 sahen viele Fußball-Anhänger ihren Sport sterben, hier tragen Fans von Dynamo Dresden symbolisch die Fankultur zu Grabe.
Im Dezember 2012 sahen viele Fußball-Anhänger ihren Sport sterben, hier tragen Fans von Dynamo Dresden symbolisch die Fankultur zu Grabe.

© imago sportfotodienst

„Fanprojekte sind wichtig gegen Gewalt“

Boris Pistorius (SPD), Innenminister in Niedersachsen und Vorsitzender der Innenministerkonferenz (IMK)

Wir haben in der IMK über die Umsetzung der geforderten Sicherheitsmaßnahmen durch den DFB und die DFL gesprochen. Dazu gehören die Einführung flächendeckender Standards etwa im Bereich der Qualifikation der Ordnerdienste oder der Videotechnik in den Stadien. Das sind gute Ansätze, die mittelfristig ein wichtiger Beitrag gegen Gewalt in den Stadien sind. Ein weiterer wesentlicher Punkt der Vereinbarungen zwischen der IMK und den Fußballverbänden ist die Erhöhung der Finanzierung der Fanarbeit sowie ein intensiverer Dialog zwischen Fans, Klubs, Verbänden und Polizei. Ich habe mich als Vorsitzender der IMK bei der DFL und dem DFB erfolgreich starkgemacht für die Aufstockung der Mittel für Fanarbeit. Fanprojekte sind ein wichtiger Bestandteil einer Strategie gegen Gewalt. Außerdem haben wir gemeinsam mit dem Niedersächsischen Fußballverband die Kampagne „Gemeinsam FAIR“ gestartet, mir der wir die friedliche Fankultur fördern wollen.

„Die Politik folgt nicht immer“

Michael Gabriel (Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte)

Es hat sich schon substanziell etwas geändert. Bei DFL und DFB ist der richtige Schluss gezogen worden, dass ein kontinuierlicher und verbindlicher Dialog mit den Fanszenen von essenzieller Bedeutung ist. Wie sich das Thema weiterentwickelt, wird sich vor Ort entscheiden: Es gibt nun mal keine Fans von DFL und DFB, sondern Fans von Dynamo Dresden oder dem 1. FC Nürnberg. Ein absoluter Fortschritt ist, dass sich durch die erhöhte Finanzierung die Situation der meisten Fanprojekte verbessert hat – auch wenn im Schnitt immer noch pro Standort nur zweieinhalb Kollegen Ansprechpartner für Fanszenen sind, deren Mitgliederzahl locker in die Tausende geht. Insgesamt ist der Fußball seiner Verantwortung gerecht geworden, die Politik folgt da nicht immer. Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz kommen zum Beispiel ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Fanprojekten nicht ausreichend nach.

„Trennlinie zu Kriminellen ziehen“

Andreas Rettig, Geschäftsführer der DFL

Wir haben uns gleich nach den Beschlüssen mit Fangruppen zusammengesetzt, um ein noch besseres Verständnis füreinander zu bekommen. Wir haben Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel Spieltags-Reportings der Fanbeauftragten, um deren Erlebnisse bei Auswärtsspielen zu erfahren. Zudem hat die DFL die Mittel für Fanprojekte auf 3,2 Millionen Euro verdoppelt, hinzu kommen weitere Mittel vom DFB. Eine weitere Neuerung ist die Gründung des Fachbereichs Fußballkultur. Wir sehen uns aber in erster Linie als Mittler, der Dialog muss vor allem zwischen Klubs und Fans stattfinden. Ich war aber auch Augenzeuge bei Spielen wie Hannover gegen Braunschweig: Vermummte Kriminelle kann man nicht erreichen, da muss man die Trennlinie zu dialogbereiten Fans ziehen. Ich würde mir wünschen, dass die Fans, die von uns ernst genommen werden, nicht aus falsch verstandener Ganovenehre davor zurückschrecken, Krawallmacher zu melden, damit die Täter gezielt bestraft werden.

„Teils nur Kosmetik, juristisch unsauber“

René Lau, AG Fananwälte

Es ist eingetreten, wovor wir gewarnt haben: Polizisten in Kaiserslautern oder Darmstadt versuchen, Nacktkontrollen in Zelten durchzusetzen. Wer das wann darf, ist genauso wenig juristisch sauber geregelt wie die Frage, wer die Kameras im Stadion auswerten darf. Viele Beschlüsse waren ohnehin überflüssig, das regeln schon Landes- oder Bundesgesetze. Dass es mehr Dialog mit den Fans gibt, ist teils nur Kosmetik und hat mehr mit der Person von Herrn Rettig zu tun, der sich persönlich bemüht, weniger mit DFL oder DFB. Die Innenminister reden ohnehin nur in Talkshows populistisch über die Fans, nicht mit ihnen. Man kann die Fans auch nicht trennen, sagen: „Mit dir rede ich nicht, weil du eine Fackel hochhältst.“ Denn schließlich sind auch das Fußballfans, auch wenn das oft bestritten wird.

Aufgezeichnet von Dominik Bardow und Lars Spannagel.

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