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Sport: Ein Land geht ins Rennen

Der erste Formel-1-Grand-Prix am Bosporus ist für die Türken viel mehr als eine Sportveranstaltung

Es kommt nicht oft vor, dass Michael Schumacher Rat in der Politik sucht. Diesmal aber könnte der bekennende Nichtwähler vom Erfahrungsvorsprung eines Volksvertreters durchaus profitieren. Bisher hat der Weltmeister wie die meisten anderen Formel-1-Piloten noch keine wirkliche Ahnung davon, was ihn am Sonntag beim ersten Grand Prix in der Türkei im „Istanbulpark“ erwarten wird. „Ich habe noch nicht viel von der Strecke gesehen“, erklärte Schumacher. „Ich lasse mich einfach überraschen.“ Hier nun könnte ihm Recep Tayyip Erdogan ein paar Tipps geben: Der türkische Ministerpräsident drehte am vergangenen Wochenende in seinem Dienstwagen eine Testrunde auf der vom deutschen Architekten Hermann Tilke konzipierten Strecke am südöstlichen Stadtrand von Istanbul.

Dass Erdogan die Premierenrunde vorbehalten war, ist kein Zufall. Das erste Formel-1-Rennen in der Türkei ist für das 69-Millionen-Einwohner-Land eine nationale Angelegenheit. Während die Teams bei 30 Grad im Schatten vor allem die Frage nach der geeigneten Bereifung für die Rennwagen debattieren, wollen die türkischen Behörden vor allem peinliche Pannen verhindern, die den erhofften Werbeeffekt des Prestigeprojekts zunichte machen könnten. Die türkische Presse hatte in den vergangenen Monaten häufig über Verzögerungen, Geldschwierigkeiten und andere Probleme im „Istanbulpark“ im asiatischen Teil des Landes berichtet. Besonders der außergewöhnlich lange Winter hatte den Zeitplan durcheinander gebracht. Zwar sind die wichtigsten Arbeiten rechtzeitig beendet geworden, doch wird wenige Tage vor dem Rennen an einigen Stellen immer noch gewerkelt und gepinselt. Neue Zufahrtsstraßen wurden gebaut und 30 000 Bäume gepflanzt. Die Strecke allein kostete rund 160 Millionen Dollar, rechnet man die zusätzlichen Bau- und Infrastrukturmaßnahmen in der Region hinzu, kommt man auf Gesamtkosten von etwa 2,5 Milliarden Dollar – eine stolze Summe für ein relativ armes Landes wie die Türkei.

Die internationale Werbewirkung sei aber nicht mit Geld zu bezahlen, verteidigen sich Behörden und Veranstalter. Sie hoffen zudem darauf, dass die Zuschauer am kommenden Wochenende viel Geld in türkische Kassen bringen werden. „Dieses Rennen wird einen großen Beitrag für dieses Land und seine Wirtschaft leisten. Den Wert der Publicity kann man gar nicht in Zahlen fassen“, sagt Ministerpräsident Erdogan. Allerdings werden die Tribünen bei der Premierenveranstaltung am Sonntag mit voraussichtlich etwa 50 000 Fans gerade einmal zur Hälfte gefüllt sein, weil nur wenige Einheimische sich die teuren Eintrittskarten zum Preis von zwischen 150 und 350 Euro leisten können. Die Gegend rund um die Rennstrecke ist dagegen bereits in den Einfluss der wirtschaftlichen Strahlkraft der Formel 1 geraten. Bereits vor Monaten ist hier ein Bauboom ausgebrochen. In eilig ausgewiesenen Neubaugebieten in der Nähe des „Istanbulparks“ schießen Villen aus dem Boden, die teilweise für eine Million Dollar Käufer finden.

Auch Istanbul steht ganz im Zeichen des größten Sportereignisses, das die Stadt je gesehen hat. Am Flughafen wurden eigene Pass-Kontrollstellen für die illustren Gäste eingerichtet, Hotelzimmer sind schon lange äußerst knapp. Nach den jüngsten Terroranschlägen an der türkischen Ägäisküste legen die Behörden zudem größten Wert auf Sicherheit. Mehrere tausend Polizisten werden bei dem Großereignis im Dienst sein, sorgfältige Personenkontrollen an den Eingängen sind vorgesehen. Zwei Drittel aller Istanbuler Krankenwagen werden in der Nähe der Rennstrecke zusammengezogen. Notärzte und Rettungssanitäter erhielten Urlaubssperre, und aus benachbarten Städten wurden Feuerwehrfahrzeuge angefordert. Der Rest der Region kann nur beten, dass am Rennwochenende nichts Schlimmes passiert.

Besonders knifflig ist die Frage, wie die Masse der Zuschauer aus den Hotels in der Innenstadt übers Meer zur etwa 40 Kilometer entfernten Rennstrecke transportiert werden sollen. Um ein Verkehrschaos auf den beiden Bosporus-Brücken zu vermeiden, soll ein Teil der Fans mit Schiffen übers Marmara-Meer gebracht werden. Ob dieser Plan funktioniert, wird erst feststehen, wenn die Popsängerin und Eurovisions-Siegerin Sertab Erener am Sonntag kurz vor Rennbeginn die türkische Nationalhymne anstimmt.

Auch sportlich gibt es vor dem ersten türkischen Grand Prix noch viele Unbekannte. Der 5,3 Kilometer lange Rundkurs verfügt über schwer einsehbare Kurven und bisweilen starkes Gefälle. Architekt Hermann Tilke hat ihn bewusst in die hügelige Landschaft eingebettet und sprach nach getaner Arbeit davon, eine „verbesserte Version“ des Kurses von Spa-Francorchamps in Belgien geschaffen zu haben, der bislang als anspruchsvollster in der Formel 1 gilt. Nach dem ersten Training am Freitag werden die Fahrer beurteilen können, ob Tilke mit seiner Einschätzung Recht hat.

Damit die Zuschauer dann nicht vom lauten Getöse der Rennwagen verschreckt werden, will der Istanbuler Bürgermeister Kadir Topbas 70 000 Paar Ohrstöpsel verteilen lassen. Schließlich sollen die Besucher wiederkommen: Schon im Herbst sollen im „Istanbulpark“ die Motorrad-Weltmeisterschaft und das Deutsche Tourenwagen Masters (DTM) gastieren.

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