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Frau auf dem Flug. Die US-Amerikanerin Hope Solo gehört zu den weltbesten Torhüterinnen. Foto: dpa

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Sport: Ein Lauf durch die Wildnis

Hope Solo wurde einst aus dem US-Nationalteam geworfen, avancierte dann zur Nationalheldin. Auch abseits des Feldes bot ihr Leben eine Fülle von Dramen

Es ist nicht zu vermuten, dass Hope Amelia Solo vor einer Woche das Plakat gesehen hat, das in der Arena von Sinsheim alleine ihr galt. „Marry me – Hope I’m solo“. Heirate mich – Hope, ich bin solo, stand auf dem liebevoll mit Herzchen und Bildchen verzierten Banner, das zwei US-Boys in die Luft stemmten. Die brünette Torhüterin des US-amerikanischen Nationalteams trägt ein auffallendes violettes Trikot. Doch sie selbst hat auch in Spielen, in denen sie relativ selten gefordert wird, kein waches Auge für amüsante Wortspielereien der Fans auf den Zuschauerrängen.

„Ich muss 90 Minuten lang aufpassen. Und wenn die vorbei sind, bin ich mental vollkommen ausgelaugt“, sagt die 29-Jährige. Keine Torhüterin nimmt auf ihre Vorderleute so leidenschaftlich Einfluss; keine Torfrau betreibt das Aufbauspiel mit dem Fuß so vorzüglich wie sie.

Die in Richland im Bundesstaat Washington geborene Profifußballerin hat sich bis zum Teenager-Alter als Stürmerin versucht, erst dann wechselte sie ins Tor. Schon bald fiel am College und an der Universität ihre besondere Begabung auf, sodass Hope Solo, die auch exzellent Basketball und Beachvolleyball spielen kann, bereits vor elf Jahren im US-Nationalteam debütierte.

Nun, am heutigen Sonntag in Dresden beim WM-Viertelfinale gegen Brasilien (17.30 Uhr, live auf ARD und Eurosport), wird die 1,75 Meter große Modellathletin ihr 95. Länderspiel für die USA machen. Als ob dieser Klassiker nicht aufgeladen genug wäre, erfährt die Begegnung durch die Vita von Solo eine besonders pikante Note.

Rückblick. 27. September 2007. WM-Halbfinale in Hangzhou. Brasilien gegen die USA. US-Nationaltrainer Greg Ryan verkündet vormittags, ausgerechnet jetzt die Torhüterin zu tauschen. Hope Solo raus, Briana Scurry rein, die zwischenzeitlich schon zurückgetreten war. Wie in Trance erlebt die eigentliche Nummer eins auf der Bank diese Demütigung und das peinliche 0:4-Desaster. Bei der Befragung durch Journalisten explodiert ein Pulverfass. „Ich hätte die Bälle gehalten“, stellt Hope Solo fest. Hochverrat im Land des heiligen Teamspirits. Sie darf nicht mehr mit der Mannschaft essen, muss allein zurückfliegen. „Es war, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.“ Ihr sportlicher Tiefpunkt.

Einen privaten Schicksalsschlag hatte sie kurz zuvor erfahren, im Juni 2007, als ihr Vater Jeffrey Solo mit 78 Jahren an einem Herzschlag starb. Er hatte als traumatisierter Vietnam-Veteran mehr als ein Jahrzehnt in den Wäldern rund um Seattle gelebt, um die Erlebnisse des Krieges zu verarbeiten. Zeitweise hatte er zur gesamten Familie keinen Kontakt gehabt, denn als Jeffrey Solo nach der Scheidung von seiner Frau den Kopf verlor und die Kinder eigenmächtig zu sich holte, überwältigte ihn die Polizei wegen Kindesentführung auf offener Straße – vor den Augen der damals sechsjährigen Tochter.

Nach der Haftentlassung entschied sich der Vater dazu, in einem Zelt zu wohnen. Hope Solo hielt zu ihm. Sie schrieb sich in Seattle an der Universität ein, besuchte ihn in der Wildnis, um am Lagerfeuer lange Gespräche zu führen. Es entstand eine innige Beziehung. „Er besuchte jedes meiner College-Spiele. Bei jedem Wetter. Er ist kilometerweit gelaufen“, erzählte sie einmal. „Er tat alles, was er konnte. Von meinem Vater habe ich so viel gelernt.“

Ihre Rückkehr ins Nationalteam mutete an wie eine Hollywood-Geschichte. Als Pia Sundhage die US-Auswahl übernahm, baute die Schwedin wieder die Brücken zwischen Team und Torhüterin. Der Lohn: der Gewinn der Goldmedaille bei Olympia 2008 in Peking – 1:0 nach Verlängerung gegen Brasilien dank der überragenden Hope Solo. Das Magazin Sports Illustrated schlug sie sogar zur Nominierung zum „Sportsman of the Year“ vor – neben Superstars wie Michael Phelps und Tiger Woods.

Und nun bietet die WM dieser Frau eine Bühne, erneut ein Spiel mit schicksalhafter Bedeutung zu bestreiten. Wenn die mittlerweile für die in Florida beheimateten Boca Raton magicJack spielende Torhüterin sagt, ihr Leben biete eine Fülle von Dramen, dann stimmt das auch deshalb, weil sie derzeit nur noch unter größten Schmerzen die Bälle hält. 2009 verschleppte sie eine schwere Blessur an der Schulter, bei der unausweichlichen Operation wurden mehrere Schrauben eingesetzt, der Gelenkknorpel ist fast nicht mehr vorhanden. Oft fasst sie sich beim Training ans lädierte Gelenk, manchmal packt sie danach einen riesigen Eisbeutel drauf, oft nimmt sie Tabletten, um schlafen zu können. Die körperlichen Qualen erträgt sie. Weil sie noch nach seelischem Balsam lechzt.

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