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Sport: Ein Mann räumt auf

Dietmar Beiersdorfer will dem HSV wieder Profil geben

Von Karsten Doneck, dpa

Hamburg. Dietmar Beiersdorfer zieht sich nicht hinter seinen klobigen Schreibtisch zurück. Seinem Gesprächspartner setzt er sich im Büro in der AOL-Arena nur eine Armlänge entfernt gegenüber, ohne den trennenden Schreibtisch. So baut man von vornherein Distanz ab, nicht nur räumliche. Ruhig redet er dann, sachlich, jedes Wort wirkt wohlüberlegt, seine Sätze sind druckreif. Kein Handy-Gebimmel stört zwischendurch den Redefluss, die Sekretärin hat Anweisung, Telefonate nicht durchzustellen. Die langen Haare lassen ihn ein bisschen wie den ewigen Studenten erscheinen. Aber: Dietmar Beiersdorfer ist Sportdirektor beim Fußball-Bundesligisten Hamburger SV, seit dem 15. August. Ein Mann, der anfangs Widerstände brechen musste. Widerstände, die aus Vorurteilen herrührten. Das begann bei Äußerlichkeiten. „Diese langen Haare…“, höhnten die einen. „Da holen die so einen Lehrling für einen derart verantwortungsvollen Posten“, moserte ein anderer. Die Stimmung hat sich schnell verändert. Nur ein paar Wochen später: Einige honorige Herren hocken vor einem Heimspiel wie immer in der Cafeteria der AOL-Arena zusammen. Sie diskutieren über die Mitgliederversammlung, die ein paar Tage zuvor stattgefunden hat. „Also, diese Rede, die der da gehalten hat, das war Klasse“, sagt der eine. Ein anderer wirft ein: „So einen guten Mann hatten wir ja seit Günter Netzer nicht mehr.“

In allerkürzester Zeit wurde der vermeintliche Lehrling zum Meister – und zum Sympathieträger. „Es ging für mich anfangs darum, Strömungen und Meinungen abzufragen, mir überhaupt mal anzuhören, was die Leute so reden. Das musste ich dann mit meinen eigenen Vorstellungen und Erfahrungen auf eine Linie bringen, um es nachher offen zu kommunizieren“, sagt Beiersdorfer. Und: „Wenn man verantwortungsbewusst mit den Meinungen der Menschen umgeht, dann kann man auch etwas erreichen.“

Erst Mini-Etappen bewältigt

Erlebt hat Beiersdorfer in kurzer Zeit sehr viel. Ihm wird jetzt mit Bernd Hoffmann gerade der dritte HSV-Präsident nach Werner Hackmann und der Interimslösung Ronald Wulf vorgesetzt. Er hat die komplizierten Vertragsverlängerungen mit HSV-Leistungsträgern wie Sergej Barbarez und Tomas Ujfalusi erfolgreich abgeschlossen. Er hat Trainer Kurt Jara in schwieriger Zeit gestützt und Recht behalten, denn der HSV ist seit acht Bundesligaspielen ungeschlagen. Die Suspendierung von Jörg Albertz hat er mit getragen, die fast brachliegende Talentsuche hat er aktiviert und systematisiert. Beiersdorfer hier, Beiersdorfer da. „Das sind nur Mini-Etappen“, sagt er selbst. Aber er gibt zu: „Wir haben einen positiven Trend.“

Beiersdorfer, gebürtiger Franke, hat ein Diplom als Betriebswirt. Die Prüfung hat er mit der Note Eins abgelegt. Er hat bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gearbeitet. Ein krisensicherer Job, eigentlich. Doch den schmiss er hin, nach drei Jahren. Um ins unsichere, weil permanent erfolgsabhängige Fußballgeschäft zu wechseln. „Ich wollte zurück zum Fußball“, sagt er. Als Beiersdorfer als Sportdirektor einstieg, traf er viele alte Bekannte wieder. Menschen, die ihn noch als den „Didi“ kennen, der von 1986 bis 1992 in 174 Bundesligaspielen für den HSV auf dem Platz gestanden hat. Hier der alte Kumpel Didi, dort, besonders bei Sponsoren, der seriöse, in Wirtschaftsfragen bewanderte Herr Beiersdorfer: Kommt man da nicht zwangsläufig in einen Zwiespalt? „Ich gehe damit ganz locker um. Mit seinem eigenen Verhalten verdient man sich den Respekt, der einem zuteil wird“, sagt Beiersdorfer.

Sorgfältige Auswahl von Spielern

Sein Vertrag beim HSV läuft bis 2005. Für einen 39-Jährigen bietet ein so kurzzeitiges Beschäftigungsverhältnis keine endgültige Lebensperspektive. Beiersdorfer lebt aber ohnehin im Hier und Jetzt. „Wir haben das Jahr 2003, glaube ich“, sagt er lächelnd. „Bedenken hinsichtlich meiner Zukunft habe ich nicht. Dazu habe ich auch zu sehr den Kopf voll. Bei mir steht jetzt die Arbeit beim HSV, die Gestaltung des Vereins im Vordergrund.“

Mit mancher Idee eckt er freilich an. Als Beiersdorfer kurz nach Amtsantritt den Vorschlag unterbreitete, dass sich die HSV-Profis ab und zu mal beim Nachwuchs blicken lassen sollten, höhnte „Bild-Hamburg“: Hat man beim HSV keine anderen Sorgen? Dabei wollte Beiersdorfer doch nichts anderes, als dass sich die Profis nicht nur als abkassierende Angestellte des Vereins verstehen, sondern sich wieder mehr mit dem HSV identifizieren. Die Zeiten, als der HSV gleich hinter Bayern München als zweitarrogantester Verein der Bundesliga galt, sollen Vergangenheit sein. „Der HSV muss ein neues Profil gewinnen. Wir wollen auch die Fluktuation im Kader reduzieren. Dazu gehört, dass wir die Spieler sorgfältiger auswählen und sie längerfristig an den Verein binden.“

Die Frage, welche Fehler ihm beim HSV bisher passiert sind, bringt Beiersdorfer ins Grübeln. Er schweigt, senkt den Kopf, versinkt in stiller Andacht. Erst eine halbe Minute später antwortet er. „Also an einen wirklich dicken Ausrutscher kann ich mich nicht erinnern.“ Beiersdorfer überlegt noch einmal kurz, dann ist ihm diese Antwort doch eher peinlich. „Also“, sagt er, „das darf jetzt aber nicht so rüberkommen, als sei ich irgendwie arrogant oder hochnäsig.“

Dietmar Beiersdorfer hat eine Doktorarbeit angefangen. Es geht darin um die strategische Ausrichtung von Bundesligaklubs. Knapp 100 Seiten sind fertig. „Gelesen hat die noch niemand“, sagt er. Derzeit ruht die Doktorarbeit. „Ich komme einfach nicht mehr dazu“, sagt Beiersdorfer. Wenn er beim HSV genügend Praxiserfahrung gesammelt hat, wird er wohl weitermachen – fragt sich nur, ob mit der Doktorarbeit oder als Sportdirektor über 2005 hinaus. Mal sehen.

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