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Sport: "Ein Profibetrieb ist immer ein Pulverfass"

Ottmar Hitzfeld (52) ist der erfolgreichste deutsche Fußballtrainer der vergangenen Jahre. Mit Borussia Dortmund wurde er zweimal, mit Bayern München zuletzt dreimal in Folge Deutscher Meister.

Ottmar Hitzfeld (52) ist der erfolgreichste deutsche Fußballtrainer der vergangenen Jahre. Mit Borussia Dortmund wurde er zweimal, mit Bayern München zuletzt dreimal in Folge Deutscher Meister. Beide Klubs führte er außerdem zum Gewinn der Champions League.

Herr Hitzfeld, die Auslosung zur zweiten Runde in der Champions League führt Ihren FC Bayern wieder einmal mit Manchester United zusammen. Sie sagten danach, am meisten würde Sie daran freuen, dass Sie mit Manchesters Trainer Alex Ferguson mal wieder eine gute Tasse Tee trinken könnten.

Uns verbindet eine Freundschaft und das Trainer-Los. Da freut man sich, wenn man in einer ehrlichen Atmosphäre und nicht nur pro forma eine Tasse Tee miteinander trinkt. In Manchester liegen die Kabinen direkt gegenüber, zu Fergusons Büro sind es zwei Meter. Darin steht eine Couch, und auf der sitzen wir dann die 20 Minuten, in denen die Spieler vor dem Spiel beim Aufwärmen sind.

Als Manchester 1999 die Champions League gewann, dachte man, der Klub könne mit diesen berühmten Spielern eine Ära begründen, wie zuvor vielleicht Real Madrid in den Fünfzigern oder AC Mailand in den Neunzigern. Warum ist das nicht gelungen?

Es ist noch keinem Klub gelungen, die Champions League zweimal hintereinander zu gewinnen. Heute ist es viel schwieriger, an der Spitze zu bleiben. Die Konkurrenz ist schärfer geworden durch das Bosman-Urteil, das ja unbegrenzte Transfermöglichkeiten schuf.

Aber in dieser Finanz-Liga, die für einen einzelnen Spieler 100 Millionen Mark und mehr ausgibt, spielt gerade Ihr FC Bayern seit Jahren nicht mit.

Nicht immer sind die besten Einzelspieler auch die beste Mannschaft. Wir haben im gesamten Verein einen guten Teamgeist, viel Erfahrung in der Führung. Wichtig ist auch das Gehaltsgefüge. Wenn das nicht stimmt, setzen schleichende Entwicklungen ein. Bei Manchester United begann es mit Beckham und Keane, bei Real Madrid kann man es bei Figo und Zidane beobachten.

Kann man solche Entwicklungen bewusst vermeiden oder setzt die Vernunft aus, wenn man Stars dieser Kategorie bekommen kann?

Nein, ein Transfer muss Sinn machen. Böte man uns einen dieser Stars an, könnte ich mir vorstellen, dass wir das ablehnen, weil ein Star zu große Probleme schaffen kann. Dann muss sofort ein anderer Star auf die Bank. Wir stehen jetzt vor dieser Situation: Wenn Ballack neben Deisler noch zu uns kommt, macht es keinen Sinn, dass Effenberg bleibt. Dann hätten wir einen Star zu viel.

Obwohl wichtige Spieler seit langem verletzt sind, spielt Ihr Team besser denn je. Vizepräsident Rummenigge hat scherzhaft gesagt, in dieser Mannschaft könne auch der Platzwart mitspielen, ohne dass sie verlieren würde.

Man muss sehr aufpassen, dass man nicht in Euphorie verfällt. Wir haben einen guten Start in der Bundesliga hingelegt, wir haben uns für die zweite Phase der Champions League qualifiziert. Es ist sicher eine Überraschung gewesen, dass wir keinen Leistungsabsturz hatten, auch nachdem so viele Leistungsträger lange ausgefallen sind. Das spricht für den Charakter unserer Spieler.

Sie werden seit vielen Jahren kontinuierlich vom Erfolg begleitet. Überkommt Sie nicht manchmal die Angst, Sie könnten plötzlich aus diesem schönen Traum aufwachen?

Ich habe auch schon schwierigere Jahre gehabt und mich wieder rangekämpft. Ich habe es immer wieder geschafft, dass wir nicht abgestürzt sind, weil ich die Warnsignale rechtzeitig erkenne. Angst abzustürzen hat man immer. Der Mensch, der keine Angst hat, hat nicht mehr die Mechanismen, die einen vor Leichtsinn schützen.

Kennen Sie Existenzangst?

Ja, vom Anfang meiner Trainerkarriere, als ich 35 oder 40 Jahre alt war und wusste, dass ich noch 20 Trainerjahre vor mir habe. Da denkt man schon darüber nach, ob man die Erwartungen erfüllt und wie das sein könnte, wenn man entlassen wird. Wenn man plötzlich nicht mehr gefragt ist und auf einen Telefonanruf wartet. Jetzt habe ich zwar finanziell keine Probleme mehr, aber dennoch einen gesunden Ehrgeiz. Ich hasse nichts mehr als Niederlagen!

Im Gegensatz etwa zu Manager Hoeneß haben Sie früher auch schon mal Transfers für 50 oder 100 Millionen befürwortet, um international konkurrenzfähig zu bleiben.

Deisler würde auch 100 Millionen kosten, wenn er nicht eine festgeschriebene Ablösesumme von 18 Millionen hätte. Hätten wir ihn aus einem Vertrag herauskaufen müssen, kann ich mir vorstellen, dass Uli Hoeneß über seinen Schatten gesprungen wäre.

Hängt diese zurückhaltende Transferpolitik auch damit zusammen, dass der FC Bayern früh erkannt hat, dass es angesichts jener utopischen Ablösesummen zwangsläufig zu Finanzcrashs in Europa kommen wird? Die Bundesliga hat aktuell etwa 700 Millionen Mark Schulden, die Italiener haben offiziell 1,4 Milliarden, in England schreiben auch nur vier oder fünf Klubs schwarze Zahlen.

Uli Hoeneß hat schon vor Jahren gesagt, dass irgendwann einmal ein paar große Klubs gegen die Wand laufen werden, weil die Ansprüche zu hoch sind und blauäugig mit der Situation umgegangen wird. Aber in Italien kommt dann ein milliardenschwerer neuer Präsident, kauft den Klub und tilgt die Schulden. Solche Leute hat es hier noch nie gegeben. Da musste man anders wirtschaften.

Verfolgt der FC Bayern deswegen jetzt die Strategie, sich mit deutschen Nationalspielern zu verstärken?

Es ist immer die Philosophie des FC Bayern gewesen, deutsche Spieler zu verpflichten ...

was nicht gelungen ist. Zuletzt hatte der FC Bayern in Thorsten Fink oft nur noch einen deutschen Feldspieler.

Ich habe noch jedes Jahr gesagt, dass man die besten deutschen Nationalspieler holen muss. Aber das geht ja nur, wenn die Verträge auslaufen. Ich hoffe, dass uns das in Zukunft wieder mehr gelingt. Es war ja erschreckend, wie wenige Spieler des FC Bayern im Aufgebot für die WM-Play-offs gegen die Ukraine standen.

Sie haben jetzt eine besonders schwierige Aufgabe vor sich: den verdienten Spielmacher Stefan Effenberg langsam zu verabschieden.

Ich habe vor der Saison schon mit Stefan gesprochen, nachdem wir uns im Verein entschieden hatten. Ich habe ihm offen gesagt, wenn die und die Spieler kommen, können wir nicht verlängern. Das hat ein Spieler zu akzeptieren, er wurde ja hoch bezahlt für die Leistungen, die er gebracht hat. Effenberg sieht das ja auch ein, er weiß, dass irgendwann einmal Schluss sein muss als Spieler. Aber solange er da ist, ist er der starke Mann, der meine totale Unterstützung hat.

Sein Vertrag läuft aus.

Da muss man sich in die Augen blicken und sich gegenseitig danken. Effenberg hat das Zeug dazu, selbst einmal ein Toptrainer zu werden. Er kennt den Fußball, tritt selbstbewusst auf und kann eine Mannschaft führen. Natürlich tut es weh, einem Spieler sagen zu müssen, nun trennen sich unsere Wege. Nur - ich bin auch Angestellter vom FC Bayern München, und ich muss meinen Auftrag erfüllen. Das ist wie bei einem Arzt, der eine Diagnose stellt und die seinem Patienten mitteilen muss.

In Abwesenheit von Effenberg, Scholl und Jeremies haben sich Leute wie Fink, Hargreaves oder Santa Cruz in den Vordergrund gespielt. Rücken die denn problemlos wieder ins zweite Glied, wenn die Dauerverletzten zurückkehren?

Das haben sie zu akzeptieren, das ist die Entscheidung des Trainers. Man muss jeden Tag Disziplin mitbringen, denn so ein Profibetrieb ist immer ein Pulverfass. Jede meiner Entscheidungen muss respektiert werden. Allerdings muss einer wie Effenberg auch durch Leistung überzeugen, wir können ihn nicht ein Vierteljahr mitziehen.

Vor Beginnn der Saison haben Sie das Ziel ausgegeben, alle sechs möglichen Titel zu gewinnen. Jetzt steht der Ligapokal bei Hertha BSC in der Vitrine, der europäische Supercup beim FC Liverpool. Nun geht es gegen Boca Juniors im Finale um den Weltpokal um den dritten Titel ...

Die Bedeutung dieses Pokals ist in Südamerika höher als in Deutschland. Boca reist sehr früh nach Tokio an und kann sich optimal vorbereiten. Das können wir nicht. Wir haben am Samstag ein Bundesligaspiel, reisen Sonntag ab, kommen Montag in Tokio an, Dienstag spielen wir, Mittwoch geht es zurück, Sonntag ist das nächste Bundesligaspiel. Kurz und bündig: hinfahren, gewinnen und wieder nach Hause fahren.

Sie sind ursprünglich Mathematiklehrer und verstehen sich deshalb auch als Pädagoge. Diese Fähigkeit könnten sie doch auch als Bundestrainer einbringen?

Die Frage musste ja kommen. Ich muss mich wiederholen: Ich habe hier bis 2004 unterschrieben, ich habe noch nie einen Vertrag gebrochen und fühle mich wohl beim FC Bayern. Ich möchte hier bleiben. Mir ist es fast peinlich, wenn ich immer als Wunschkandidat für die Nationalmannschaft genannt werde. Aber seit der geschafften WM-Qualifikation ist die Nationalelf mit Rudi Völler ja auf dem besten Weg - und ich habe meine Ruhe.

Herr Hitzfeld[die Auslosung zur zweiten R], e in

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