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Sport: Ein rätselhafter Zahnarztbesuch

Radprofi Zanette ist tot, der Verdacht der Lüge wird größer

Berlin. Fritz Sörgel ist Wissenschaftler, also ein vorsichtiger Mann. Dass der italienische Radprofi Denis Zanette bei einem simplen Zahnarztbesuch mit Herzstillstand vom Stuhl sinkt und kurz darauf stirbt, einfach so, das ist theoretisch möglich, sagt Sörgel deshalb. Zanettes Zahnarzt hatte der Staatsanwältin Antonella Dragotto mitgeteilt, er habe dem Profi keine Betäubungsspritze gegeben, er sollte ja bloß Zahnstein entfernen. „Es gibt unerwartete, schnell auftretende Schmerzen, die zu einem Herzstillstand führen“, sagt Sörgel, der Professor für Pharmazie aus Nürnberg, „selbst im Extremfall einer Zahnsteinbehandlung. Und es gibt Fälle, in denen ein Sportler einfach tot umfällt. In der Regel stellt sich dann heraus, dass er zuvor unerkannte Herzprobleme hatte.“

Soweit die Theorie.

Nur: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein gesunder Sportler beim Zahnarzt plötzlich einen Herztod erleidet, ist ungefähr so gering, wie durch einen Atomkraft-Unfall zu sterben.“ Sörgel macht kurz Pause. Dann schiebt er nach: „Nein, sie ist geringer.“ Also spricht viel dafür, dass die Geschichte, so wie sie derzeit bekannt ist, kaum stimmen kann. Und dass die Staatsanwältin nicht ohne Grund vermutet, dass der Tod mit Doping zusammenhängen könnte. Gestern fand die Autopsie statt, ein Ergebnis ist noch nicht bekannt. Was zum Beispiel ist, wenn Zanette Dopingmittel nahm, eine Betäubungsspritze erhielt und dann eine fatale Wechselwirkung der Medikamente einsetzte? „Das ist gut vorstellbar“, sagt Sörgel, der Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung. „Vor allem, wenn ein Sportler Amphetamine genommen hat, also Aufputschmittel, kann es im Verbund mit einem Betäubungspräparat zu Wechselwirkungen kommen, die zum Herzstillstand führen.“ Und Amphetamine, etwa Koffein oder Kokain, sind Mittel, die Radprofis gern einwerfen. Zanette wurde öfter mit Koffein-Präparaten in Verbindung gebracht.

Sollte diese Wechselwirkung aufgetreten sein, hieße das aber auch, dass doch ein Betäubungsmittel gespritzt wurde. Sörgel hält das für möglich. „Es ist denkbar, dass der Zahnarzt da nicht die Wahrheit sagt.“ Vielleicht aus Angst, in einen Todesfall verwickelt zu werden. Denn Betäubungsmittel enthalten Stoffe, die auf der Dopingliste stehen. Und ein Arzt, der sie spritzt, muss das offiziell mitteilen. Für plausibel hält Sörgel den Gedanken, dass Zanette Amphetamine geschluckt hatte und dies dem Zahnarzt verschwieg. Der Dentist habe dann eine Betäubungsspritze gesetzt, und die Stoffe vermischten sich zu einer tödlichen Mixtur.

Einen ähnlichen Fall hat es schon gegeben, vor rund zehn Jahren in England. Damals schluckte ein Student bei zwei unterschiedlichen Versuchen Testpillen. Beim ersten Einsatz erhielt er ein Herzmittel. Dies verschwieg er den Ärzten der zweiten Versuchsreihe. Die gaben ihm ein anderes Präparat, und die Wechselwirkung war katastrophal. „Der Proband“, sagt Fritz Sörgel, „fiel mit Herzstillstand vom Stuhl. Kurz darauf war er tot.“

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