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Sport: Ein Reich ist keine Sportnation

China hat bei Olympia die meisten Goldmedaillen gewonnen. Seine Einwohner vertrauen aber lieber den großen Ligen im Ausland

Längst muss man suchen, um im Nationalstadion den Sport zu finden. Im Stadioninneren weist nur noch die 100-Meter-Bahn darauf hin, dass an diesem Ort auch Leistungssport betrieben werden kann. Der Innenraum ist mit einer grünen Rasenplane abgedeckt, auf dem die Touristen herumlaufen. Sie haben fünf Euro Eintritt bezahlt und suchen Erinnerungen an die Olympischen Spiele an selber Stelle im August. In der Stadionmitte finden sie zwei aufblasbare Maskottchen, mit denen sie sich fotografieren lassen können. Für umgerechnet 20 Euro können sie auf das Siegerpodest steigen. Und wer noch ein paar Yuan übrig hat, kann im Souvenirgeschäft eine CD mit Liedern der Eröffnungsfeier erwerben oder frittierte Hühnerteile bei der Imbisskette KFC im Zwischengeschoss. Der Kommerz ist im Vogelnest angekommen, der Sport ist verschwunden. Das war eigentlich anders vorgesehen.

Ursprünglich sollte der Fußballklub Beijing Guo’an im Nationalstadion regelmäßig seine Heimspiele austragen. Doch inzwischen hat es sich die Betreibergesellschaft Citic anders überlegt. Stadionmanager Li Jianyi sagte der Zeitschrift „The Beijinger“: „Aufgrund der schlechten Leistung der chinesischen Fußballer bei den Olympischen Spielen werden wir den Plan wahrscheinlich aufgeben.“ Es ist ein Rauswurf. „Selbst zum Saisonhöhepunkt wird Guo’an keine besonderen Nutzungsrechte für das Stadion haben“, sagte Li Jianyi. Chinese Super League nennt sich die chinesische Fußballliga zwar, doch die Ausquartierung aus dem Olympiastadion für den Drittplatzierten der abgelaufenen Saison zeigt: Fußball ist in China alles andere als super.

Der Medaillenspiegel der Olympischen Spiele hat noch eine andere Sprache gesprochen. 51 Goldmedaillen gewann China, 15 mehr als die USA. „In Athen haben wir den Aufstieg Asiens erlebt, der 2008 endgültig abgeschlossen wurde“, sagte Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Doch wie weit ist China tatsächlich aufgestiegen? Zur besten Sportnation der Welt, wie es Platz eins im Medaillenspiegel glauben lässt? Was traditionelle chinesische Sportarten wie Tischtennis, Badminton, Wasserspringen, Schießen oder Gewichtheben betrifft, stimmt das. In vielen anderen Sportarten hat China weiterhin Nachholbedarf.

Am besten ist das im Fußball und Basketball zu erkennen. Beide Sportarten zählen zu den beliebtesten in China, der nationale Sportsender CCTV5 überträgt täglich mehrere Spiele live – allerdings vor allem ausländische. Im Basketball aus der nordamerikanischen Profiliga NBA, im Fußball aus Bundesliga, Premier League und Serie A. Doch seit kurzem fehlt die heimische Super-Liga. „Der Zustand des chinesischen Fußballs lässt im Moment jeden verbittern“, sagte CCTV5-Chef Jiang Heping.

Eine Schlägerei zwischen Spielern und der Rauswurf eines ganzen Vereins (Wuhan Guanggu) aus der Liga hatte das Fernsehen veranlasst, zunächst keine Bilder mehr von der chinesischen Liga zu zeigen. Die wird schon länger von Wettmanipulationen und Schiedsrichterskandalen geplagt. Der chinesische Fifa-Schiedsrichter Gong Jianping wurde 2003 der Bestechung überführt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er soll rund 46 000 Dollar Bestechungsgeld angenommen haben. Zuletzt hat Trainer Ernst Middendorp seinen Job in Changchun hingeworfen und in einem Interview einen Manipulationsverdacht ausgesprochen. Er will sich nicht mehr dazu äußern. „Es läuft ein Verfahren“, sagt Middendorp. Er hatte sich über ein Spiel gewundert, in dem seine Mannschaft mühelos 6:0 gewann – weil der Gegner die beiden besten Spieler nicht aufgestellt hatte.

Die von der Agentur Infront organisierte chinesische Basketball-Profiliga CBA ist besser gemanagt, allerdings ist auch sie nicht vor Skandalen gefeit. Ein amerikanischer Basketball-Journalist hat vor der aktuellen Saison herausgefunden, dass 22 Spieler ihr Alter geändert haben. Die meisten Spieler sind tatsächlich älter als angegeben, was eine in China vermutete Praxis bestätigen würde: Ältere Jugendliche spielen bei jüngeren Mannschaften mit – und holen dadurch größere Erfolge. Nun hat ein chinesischer Journalist noch entdeckt, was schon länger vermutet worden ist. Yi Jianlian, chinesischer Basketballstar beim NBA-Klub New Jersey Nets, dürfte nicht 21 Jahre alt sein, wie er bei der NBA angegeben hat. Sondern drei Jahre älter.

Der Begeisterung für Basketball in China dürfte der Skandal aber keinen Abbruch tun. 450 Millionen Menschen sehen regelmäßig NBA-Spiele, ähnlich viele spielen gelegentlich Basketball. Auch im Tennis und Golf steigen die Zahlen, ebenso in den Fitnessstudios. Das Ausüben von Sport, das bisher vor allem von älteren Menschen in Parks betrieben worden ist, ist längst zum Symbol des sozialen Aufstiegs geworden. Allerdings mit chinesischem Einschlag, wie der amerikanische Blogger Josh feststellen musste.

Der amerikanische Lehrer aus der Provinz Xinjiang hatte sich in seiner Freizeit einem örtlichen Basketballklub angeschlossen. Weil er sich aber der in China üblichen Freizeitaktivitäten wie anschließendem Abendessen mit Schnapstrinken verweigerte, schwand seine Einsatzzeit zusehends. Seine Mannschaft war vom Spielertrainer, einem örtlichen Geschäftsmann, angemeldet und gesponsert worden – was Folgen hatte. Eines Tages saßen viele Geschäftsfreunde auf der Tribüne und sahen ein Spiel, das in die Verlängerung ging. Es folgte ein Flüstern – und plötzlich blieben die besten Spieler des Gegners auf der Bank sitzen. Müßig zu erwähnen, wer das Spiel gewonnen hat. Der Spielertrainer konnte sich von seinen Geschäftsfreunden feiern lassen.

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