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Harmlos am Ball. Philipp Lahm (im Hintergrund Bundestrainer Joachim Löw) hat aufgeschrieben, was er als junger Fußballer „selbst gern gelesen hätte“. Foto: dapd

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Sport: Ein relevanter Unterschied

Philipp Lahm hat in seinem Buch doch etwas Neues zu erzählen: über das Innenleben einer Mannschaft, ihre Hierarchien und die Machtverhältnisse

Die Historie des TSV 1860 München ist reich an Fehltritten und Misserfolgen. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von einem Nachwuchsspieler namens Franz Beckenbauer, dessen Wechsel zu den Sechzigern eigentlich schon feststand. Dann spielte er mit seinem alten Klub gegen die Löwen, wurde von seinem Gegenspieler geohrfeigt – und entschied sich doch lieber für die Bayern. Philipp Lahm, als Kapitän der Bayern und der Nationalmannschaft ein später Nachfolger Beckenbauers, ist den Sechzigern ebenfalls durch die Lappen gegangen. Gerade zehn war Lahm, als er bei 1860 zum Probetraining eingeladen wurde. Warum es dann doch nicht klappte, hat er jetzt in seinem Buch „Der feine Unterschied“ beschrieben. „Das Erste, was ich sehe, ist der Zaun hinter dem Tor. Der hat große Löcher. ’Nein’, sage ich. ’Hier will ich nicht spielen.’“ Philipp Lahm mag es nun mal gerne ordentlich.

Es ist schon eine kuriose Geschichte, dass ausgerechnet der Musterschüler Lahm in diesen Wochen zum Bad Boy des deutschen Fußballs aufgestiegen ist. Charakterlosigkeit ist ihm nach der Veröffentlichung seines Buchs vorgeworfen worden, Diskriminierung, Geltungssucht und einiges mehr. Aber stimmt das überhaupt? Lahm selbst ist immer noch der Ansicht, dass er „ein leises Buch“ geschrieben hat. Und man muss ihm Recht geben: „Der feine Unterschied“ ist ein harmloses, reichlich unspektakuläres Werk, das gelegentlich etwas altklug daherkommt. Der ganze Wirbel erzählt jedenfalls mehr über unsere aufgeregte Mediengesellschaft als über den Autor.

Es wirkt manchmal schon fast ein wenig überangestrengt, wie Lahm versucht, niemandem auf die Füße zu treten. Sein frühes Bundesligadebüt beim VfB Stuttgart verdankt er der Schusseligkeit eines Kollegen, der seine Schienbeinschoner nicht schnell genug hinter die Stutzen bekommt und deshalb nicht eingewechselt werden kann. Nicht mal den Namen seines Mitspielers verrät Lahm. In seinem Buch werden keine unbekannten Skandale enthüllt, selbst die saftigen Anekdoten aus dem Leben eines Fußballprofis sucht man vergebens.

Das liegt daran, dass „Der feine Unterschied“ keine Autobiografie im klassischen Sinne ist. Überhaupt weiß man nicht so genau, was das Buch eigentlich will. „Wie man heute Spitzenfußballer wird“, heißt es im Untertitel, als wenn es sich um eine konkrete Handlungsanweisung für Nachwuchsfußballer handelte, der man auf dem Weg in die Nationalmannschaft einfach nur folgen müsste. „Dieses Buch ist ein Buch, wie ich es selbst gerne gelesen hätte, als ich ein junger Fußballer war“, schreibt Lahm in seinem Vorwort. „Es ist ein Buch darüber, wie Spitzenfußball heute funktioniert.“ „Der feine Unterschied“ dient Philipp Lahm sozusagen zur Selbstvergewisserung der eigenen Ansichten – und ist damit auch eine indirekte Antwort auf Oliver Kahn, der ihm und seiner Generation eine gefährliche Führungsschwäche vorgeworfen hat.

Wenn es um das Innenleben einer Mannschaft geht, das Funktionieren der Gruppe, die Hierarchien und Machtverhältnisse, hat Lahm tatsächlich etwas zu erzählen – und eine starke Meinung zu vertreten. So schreibt er über das Scheitern der Nationalmannschaft bei der EM 2004: „Bei diesem Turnier hat sich die Mannschaft noch einmal zu sehr auf die Impulse Einzelner verlassen, auf die Autorität des Trainers und die Arbeit der sogenannten Führungsspieler, die nun auch in der öffentlichen Kritik stehen, aber mit dem Scheitern der Mannschaft steht auch das Prinzip, einzelnen, starken Figuren die Verantwortung für das ganze Team aufzubürden vor dem Ende.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Die Alphatiere der alten Schule würden in einer Mannschaft von heute auf Unverständnis und Ablehnung stoßen.“

Wahrscheinlich hätte Lahm diese These mit ein paar anschaulichen Details aus der Nationalmannschaft unterfüttern können, etwa von der EM 2008, als das Alphatier Michael Ballack ein letztes Mal aufbegehrte; genau das aber tut er nicht. Es gibt keine vorsätzlichen Indiskretionen. Umso verrückter ist es, dass Lahm eben dies – der Verstoß gegen das Gesetz der Vertraulichkeit – nun vorgeworfen wird. Er selbst hat die allgemeine Erregung auf die unsachgemäße Präsentation seines Buches durch die „Bild“-Zeitung zurückgeführt. Man muss deshalb kein Mitleid mit Philipp Lahm haben. Viel mehr wundert man sich, dass auch er so naiv war zu glauben, er könnte das Blatt für seine Zwecke einspannen. In Wirklichkeit verfolgt „Bild“ nur ein Interesse: das eigene.

Philipp Lahm: Der feine Unterschied. Wie man heute Spitzenfußballer wird. Verlag Antje Kunstmann, 272 Seiten, 19,90 Euro.

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